Vergackeiert

Geschrieben von: am 30. Mai 2022 um 8:18

Neue Wende im Vorfeld des EU-Gipfels: Die Sache mit dem Öl-Embargo entwickelt sich zur Farce. Nachdem Ungarn Widerstand angekündigt hatte, machte die EU-Kommission am Sonntag einen Kompromissvorschlag. Der sieht vor, dass Pipeline-Öl bis auf weiteres von dem Embargo ausgenommen werden soll. Pikant ist, dass in diesem Fall auch Deutschland weiter Öl über den Nordstrang der Druschba-Röhre beziehen wolle, und zwar über das Jahresende hinaus. Das steht allerdings im Widerspruch zu den Träumereien der Grünen, die kürzlich erst ankündigten, die Lieferungen drastisch reduzieren und sogar bis 31.12.22 einstellen zu wollen.

Wirtschaftsminister Habeck ist deshalb sogar zur Raffinerie PCK nach Schwedt gereist, dem Endpunkt der Druschba-Pipeline, um dort lässig auf dem Tisch stehend, den verärgerten Mitarbeitern zu sagen, dass er sie nicht vergackeiern wolle. Nun macht das Kanzleramt offenbar Rührei aus dem Gesülze des Star-Ministers.

Was der Embargo-Kompromiss der EU überhaupt noch bezwecken soll, außer eine nachhaltige Schädigung einzelner Mitgliedsstaaten, bleibt indes schleierhaft. Einfluss auf den Krieg der Russen gegen die Ukraine hat das alles nicht. Entsprechend verärgert sollen nun auch Belgier, Niederländer, Balten, Griechen und Italiener sein, die jetzt per Tanker teureres nicht-russisches Öl kaufen müssen. Aber auch dafür gebe es ja theoretisch eine Lösung. Deutschland versorgt dann einfach diese Länder aus der Druschba-Röhre mit, wie es beispielsweise Polen mit russischem Gas versorgt, nachdem die keines mehr direkt beziehen wollen und dürfen. Es lässt sich außerdem weiter ordentlich für eine angeblich russlandfreundliche Politik beschimpfen. Feine Sache.

Hauptsache die EU beschließt irgend etwas, auch wenn es einfach nur noch Unsinn ist. Das scheint jedenfalls das Ziel zu sein. Bloß nicht eingestehen, dass man komplett gescheitert ist und vielleicht fragen, wie tragbar eigentlich noch eine Kommissionschefin von der Leyen ist, die vor ein paar Wochen im kategorischen Imperativ sagte: „Wir werden dafür sorgen, dass wir uns geordnet von russischem Öl verabschieden.“ Nun wird es wohl weder einen geordneten, noch irgend einen Abschied vom russischen Öl geben, sogar einer der sonst üblichen faulen Formelkompromisse droht vollends zu scheitern.

Aber dafür gibt es wieder genügend Schuldige, auf die man vorwurfsvoll mit dem Finger zeigen kann, nur um die eigenen moralischen Hirngespinste nicht weiter hinterfragen zu müssen. Dabei sollte spätestens die Zahl sechs Fragen aufwerfen. Denn so viele Sanktionspakete hat die EU nach drei Monaten Wirtschaftskrieg bereits geschnürt. Wirkung beim Feind: kaum, in manchen Bereichen sogar eher positiv. Wirkung beim Freund: deutlich spürbar und zwar negativ. Die grüne Außenkriegsministerin beklagt deshalb sogar eine gewisse „Kriegsmüdigkeit“ und sendet bereits Durchhalteparolen. Ein Briefing in Washington wäre wohl ratsam.

In den USA, einem der bislang kaum genannten Hauptkriegsakteure, macht sich nämlich immer mehr Skepsis breit. Präsident Biden solle doch verstärkt auf den ukrainischen Präsidenten einwirken und ihm seine Grenzen aufzeigen, fordern die Meinungsmacher der New York Times. Würde man so etwas in Deutschland sagen, wäre ein solidarischer Shitstorm und ein 4:1 Zangenangriff bei Markus Lanz garantiert. Der Krieg um eine alberne Moralvorstellung darf eben nicht verloren werden. Was bleibt, ist ein Gipfel der Ratlosen, über den behauptet wird, er zeige nun die Erosion einer europäischen Einigkeit. Als ob es so etwas wie Geschlossenheit in dieser Krise je gegeben hätte. Aber das gehört eben auch zum Prinzip des Vergackeierns. So tun als ob.


Bildnachweis: Mediamodifier auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Dieter  Mai 30, 2022

    Gerhard Schröder hat seinen Aufsichtsratsposten bei Rosneft niedergelegt, weil das moralisch nicht zu vertreten war.

    Dafür kaufen wir in Zukunft Gas aus Katar, die 2018 19,5 % Anteile von Rosneft kauften und damit ihre guten Beziehungen zu Russland ausbauten.

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