Parallelwelten

Geschrieben von: am 20. Apr 2022 um 20:47

Nach der Pressekonferenz des Bundeskanzlers müsste eine Erkenntnis wohl lauten, am Kanzler prallt die Kriegshysterie der Medien und großer Teile der Politik einfach ab. Er habe sich eng mit den wichtigsten Verbünden (G7) abgestimmt und dabei festgestellt, dass alles seine Richtigkeit hat. Kritiker mögen doch mal in die Welt hinaus blicken und erkennen, dass alle anderen Partner auch so handeln wie Deutschland das tut. Der Heulfaktor in den sozialen Netzwerken war daraufhin groß, zeigt aber nur die Parallelwelten auf, in denen sich viele gedankenlos bewegen.

Die Karikatur eines Frontberichterstatters meint:

https://twitter.com/ronzheimer/status/1516454764116119556

Das soll wohl heißen, dass etwas an den Aussagen des Kanzlers nicht stimmt. Schließlich haben viele Länder über Twitter angekündigt, Waffen zu liefern, also Länder wie USA, Kanada, Japan, Australien oder zuletzt die Niederlande. Das Problem ist nur, dass man über Twitter nichts liefern kann. Der Kanzler wollte wohl auf den Unterschied zur realen Welt hinweisen. Als Kriegsberichterstatter wäre deshalb eine Aufklärung darüber hilfreich, wie die Lieferkette an die Front eigentlich aussehen soll. Bislang ist nur bekannt, das Züge mit europäischen Spitzenpolitikern nach Kiew fahren. Ob neben den breiten Egos auch noch Platz für Haubitzen ist, unklar. Bekannt ist aber, dass Bundeswehrstandorte immer seltener über einen eigenen Gleisanschluss verfügen.

Frau Strack-Zimmermann weiß aber:

Zu Fuß wäre natürlich auch eine Option, kennt man ja von früher und schwere Waffen als Marschgepäck, ein Kinderspiel. Das muss doch zu machen sein. Man kann natürlich auch hinfliegen und hoffen, dass die taktisch etwas fahrig wirkenden Russen trotz Lufthoheit nichts merken. Beim Rückflug könnten die Amerikaner dann ja wie in Afghanistan ein paar Flüchtlinge auf den Tragflächen ihrer Transportmaschinen mitnehmen. Doch eigentlich ist ja alles schon verloren. Denn der Chefkomiker des ZDF, und bald wohl unfreiwillig Angestellter von Elon Musk, analysiert messerscharf:

https://twitter.com/janboehm/status/1516454861528866816

Später macht er sich noch über den Satz des Kanzlers lustig, es dürfe keine Alleingänge geben, weil es ja nun so aussieht, als sei es Deutschland, das sich einen exklusiven Sonderweg erlaube. Dass es vielleicht nur so aussehen soll, könnte man fragen, tut der Twitter-Clown aber nicht. In seinem Universum ist die Sachlage nämlich längst klar, weil Realitäten nicht einfach nur ausgeblendet, sondern per Knopfdruck weggeblockt werden können. Übrig bleibt dann aber eine schwache Blase, aus der es in Analogie zur emotionalen Pissrinne beständig nachtröpfelt. Böhmermann als Klofrau dieser Bedürfnisanstalt fragt sich natürlich auch nicht ernsthaft, wie der Kanzler eigentlich dazu käme, an Freund, Feind und der NATO vorbei einen Alleingang zu wagen.

Vielleicht besitzt er ja doch Führungsstärke und stellt die anderen Regierungschefs mal ordentlich in den Senkel. Vielleicht gibt es aber auch einfach keinen Alleingang, was zu der Frage führt, was denn überhaupt die Position der NATO ist? Welche Ziele verfolgt sie und warum werden jetzt angeblich Panzer oder gar Kampfflugzeuge geliefert, die von Polen schon einmal den Ukrainern zur Verfügung gestellt werden sollten, aber nicht direkt, sondern über Ramstein in Deutschland? Ein Vorschlag, den die Amerikaner und die NATO rasch wieder vom Tisch nahmen. Nun sieht es aber so aus, als liefern alle schon immer schwere Waffen nur Deutschland nicht. Ist das so? Oder fällt dem schwachen Kanzler, der noch nicht so lange im Amt ist und mit sehr viel Opposition in den eigenen Reihen seines Ampelbündnisses zu kämpfen hat, bloß die Rolle eines gelegenen Prellbocks zu, den es ja braucht, um die noch größere Schwäche des westlichen Militärbündnisses zu verstecken.

Hinter all der gedankenlosen Kriegstreiberei ist das Gerede von schweren Waffen in einer Welt mit Atomraketen hochproblematisch. Die NATO kann sich einen offenen Konflikt mit Russland nicht leisten und will das erklärtermaßen auch nicht, genau aus diesem gewichtigen Grund, der von Twitter-Ikonen inzwischen zunehmend belächelt wird. Die nukleare Drohung wird aber außerhalb der sozialen Netzwerke durchaus noch ernstgenommen, was wiederum bedeutet, dass die Ukraine militärisch verloren ist. Russland darf den Krieg aber auch nicht gewinnen, so will es die Sprachregelung. Ein Dilemma für das Bündnis, das mit dem zögernden Scholz, der eigentlich Führung versprochen hatte, eine Art Projektionsfläche für Kritik gefunden hat. Auf ihn wird aus allen Rohren geschossen, um das schlechte Gewissen zu besänftigen, das sich meldet, weil man die Ukraine nun einmal geopolitisch im Stich lassen muss. Der Krieg hätte schließlich vermieden werden können. Man hat es aber darauf ankommen lassen. Scholz auch. Als führenden SPD-Mann kann man ihn aber zusätzlich in die russische Tasche einsortieren.

Der Kanzler bewegt sich aber nicht außerhalb der Absprachen, wie er selbst betonte, sondern in Einklang mit den Bündnispartnern, die im Grunde genommen blank dastehen. Das begleitende Getöse ist ziemlich schlechte Öffentlichkeitsarbeit einer ebenso widerlichen Kriegspartei, deren Sicht weitgehend kritiklos und sogar verstärkend von einer miserabel aufgestellten Presse übernommen wird. Die Russen haben Probleme mit ihrem Kriegsgerät, weil sie die Logistik irgendwie vergaßen, die Ukrainer sollen aber ohne Logistik ein fremdes Kriegsgerät erfolgreich bedienen können. Waffen, Waffen, schwere Waffen. Es klingt wie Aktionismus im Angesicht vollkommener Ratlosigkeit. Es ist aber eben keine gute Idee, die Eskalationsspirale immer weiter zu drehen, nur weil die Sanktionen, die es bald in sechster Auflage geben soll, doch nicht so nachhaltig auf den Aggressor wirken, wie erhofft. Auch hier sprach Olaf Scholz ja Klartext, als er davon berichtete, wie Russland unter hoher Inflation und einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts zu leiden habe. Da wirkt etwas, nur fragte niemand nach, ob es eigentlich auch die Richtigen trifft, da der Kreml seinen Angriffskrieg trotz der Wirtschaftsdaten unbeirrt fortsetzt.

Das mag wohl auch daran liegen, dass offenbar viel Einigkeit über das besteht, was Politikwissenschaftlerin Florence Gaub neulich in der Sendung Markus Lanz behauptete. Demnach sähen die Russen zwar wie Europäer aus, seien aber eigentlich keine und hätten auch einen anderen Bezug zu Gewalt und Tod. Rassismus ist woke und die Russlandfeindlichkeit deutscher Medien einschlägig. Sie nehmen kein Blatt mehr vor den Mund und bewusst oder unbewusst in Kauf, sich für plumpe Kriegspropaganda einspannen zu lassen, mit dem Ergebnis, dass Deutschland nun auch noch mehr Rechnungen bezahlt, wenn sich die Ukraine irgendwo Waffen besorgt. Die EU-Kommission hatte ja der ukrainischen Führung einen Fragebogen für den Antrag auf EU-Mitgliedschaft übersandt, der auch schon ausgefüllt nach Brüssel zurückgeschickt worden sein soll. Was da genau gefragt wurde, ist nicht bekannt. Etwas wäre aber sehr wichtig zu wissen und zwar eine Antwort auf die Frage, wer sämtliche Waffen nach dem Krieg eigentlich wieder einsammelt.


Bildnachweis: Screenshot, Pressekonferenz 19.04.2022 via phoenix.

0

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge