Twitter macht Politik

Geschrieben von: am 07. Apr 2022 um 8:05

„Offensichtlich macht das Ansehen bei Twitter die Politik in Deutschland.“ So sieht es Virologe Klaus Stöhr im Interview mit dem Fernsehsender WELT. Er wirft Gesundheitsminister Lauterbach vor, bei seiner Rücknahme der Isolationslockerung dem Druck der Twitter-Gemeinde gefolgt zu sein. Das stimmt, nur steckt der Minister wie die gesamte Politik in einem Dilemma. Das Pandemiemanagement war stets auf eine Eindämmung des Virus ausgelegt (NoCovid). Das ist nun nicht mehr erforderlich. Die Akzeptanz dieser simplen Notwendigkeit gelingt vielen noch nicht.

In Deutschland gab es einen Freedomday, doch kaum jemand feierte, obwohl alle Coronaregeln, einschließlich der Maskenpflicht, gefallen sind. Folgt man den Verantwortlichen, ist nicht mehr als eine Art Maßnahmenpause eingetreten. Konkrete Vorgaben sind dringenden Empfehlungen ohne Rechtsgrundlage gewichen, deren Einhaltung trotzdem mit moralischer Impertinenz gefordert wird. Der Bundesgesundheitsminister nutzt diese Haltung sogar ganz offen als Drohung. Sollte keine Impfpflicht beschlossen werden, käme es im Herbst wieder zu Beschränkungen, Schließungen oder gar einem Lockdown, kündigte er an. Viele Medien teilen diese Sicht und die abwegige Furcht vor einer erneuten Eskalation der Lage, die harte Eingriffe in Grundrechte erforderlich macht.

Im Spiegel ist zum Beispiel zu lesen.

Wer da seit etwa zwei Jahren vorbildlich Maske trägt, geimpft ist, sich privat einschränkt und unter widrigen Bedingungen im Homeoffice arbeitetet, zweifelt plötzlich, ob das, was er da tut, überhaupt noch eine Rolle spielt. Oder wozu er sich eigentlich die ganze Zeit die Mühe gemacht hat. Dabei bleiben Masketragen und Isolation selbstverständlich effektive Maßnahmen, um das Virus einzudämmen.

Masketragen und Isolation sind bei der augenblicklichen Verbreitung und Zirkulation des Virus eben keine effektiven Maßnahmen mehr und die hier zum Ausdruck kommende Annahme eines epidemiologischen Stillstands ist unhaltbar. Der Infektionsdruck ist durch die Omikron-Variante einfach zu hoch, als das man ihm dauerhaft ausweichen könnte. Eine oder mehrere Impfungen schützen nicht vor Ansteckung. Man müsste daher schon einen menschenverachtenden chinesischen Maßnahmenkatalog bei der Bekämpfung des Virus beschließen, wollte man denn noch so etwas wie Eindämmung erfolgreich betreiben. Doch ist Eindämmung unter diesen Bedingungen überhaupt noch erforderlich? Die Antwort ist nein. Allein die Vorstellung bedingt schließlich Maßnahmen ohne Ende, da es immer Menschen geben wird, die erstens nicht geimpft sind oder zweitens mit und ohne Impfung schwer erkranken und sterben werden.

Wenn die Maßnahmen also keinen messbaren Einfluss mehr haben, ist auch die Empörung über die Forderung, auf diese ganz zu verzichten, schlichtweg lächerlich. Da die Impfung selbst auch keinen wirksamen Fremdschutz bietet, ist das Gerede über hohe Impfquoten, die es unbedingt bräuchte, um auch andere mitzuschützen, die sich nicht impfen lassen können, ebenfalls Unsinn. Der natürlichen Durchseuchung kann nun einmal niemand entkommen, sie allenfalls ein wenig aufschieben, nur warum? Sie ist letztlich auch notwendig, um jene Bevölkerungsimmunität zu erreichen, von der man glaubte und immer noch glaubt, sie nur durch Impfung erreichen zu können. Der Aerosol-Experte Gerhard Scheuch fragte kürzlich in einem Tweet den Gesundheitsminister treffend: „Was sagen Sie den Menschen, die Sie gewählt haben, wenn im Herbst trotz Impfpflicht wieder ,Lockerungen‘ zurückgenommen werden müssen? Impfen ist Selbstschutz und schützt kaum vor Ansteckung.“

Die Lehre aus der Omikron-Welle ist ja gerade, dass die Impfung nicht vor hohen Fallzahlen schützt. Die Vorstellung, dass sich mit ihr die Zirkualtion des Virus verlangsamen ließe, ist falsch. Die Vorstellung, dass sich nur mit ihr eine Überlastung des Gesundheitssystem in Zukunft vermeiden lasse, ist ebenso falsch. Denn diese Überlastung hat zu keinem Zeitpunkt in den vergangenen zwei Jahren bestanden. Die Fachanwältin für Strafrecht und Dozentin an der Hochschule Mainz, Jessica Hamed, stellt im Cicero sogar fest. „Stattdessen wird bundesweit von mehreren Staatsanwaltschaften geprüft, ob ein Anfangsverdacht wegen Subventionsbetrug bezüglich plötzlich ,verschwundener‘ Intensivbetten vorliegt; die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und damit einen Anfangsverdacht bestätigt.“ Eine Impflücke zu beklagen, die bis heute niemand verlässlich beziffern kann, weil einfach die Daten dazu fehlen, ist daher Unsinn. Entscheidend ist, erst mehr über die Immunität der Bevölkerung in Erfahrung zu bringen. Dafür wäre im Sommer genug Zeit.

Stattdessen soll aber jetzt auf Biegen und Brechen eine Impfpflicht beschlossen und danach erst mit einem enormen bürokratischen Aufwand (Stichwort: Briefe) geschaut werden, wer nun eigentlich geimpft, ungeimpft oder genesen ist. Frank Lübberding schreibt dazu verwundert auf Welt: „Die Abgeordneten wollen somit etwas auf der Grundlage von Daten beschließen, die sie noch gar nicht haben. Und die sie nach ihrer eigenen Logik auch gar nicht brauchen, weil der besagte Gesetzentwurf unverdrossen auf jede epidemiologische Erkenntnis verzichtet. Er setzt auf den Nachweis des individuellen Immunitätsstatus von weit mehr als 60 Millionen Menschen in diesem Land. Das hat nur leider nichts mit Epidemiologie als Wissenschaft zu tun, weshalb niemand außerhalb des deutschen Paralleluniversums solche Gesetzentwürfe überhaupt zur Diskussion stellt.“

Es ist ein Skandal, dass dieses Land mit seinen Institutionen nicht in der Lage ist, verlässliche Daten zu erheben. Stattdessen werden podcastende Wissenschaftler hofiert, die außer Konjunktiven und einer Bewertung ausländischer Studien selbst nichts anzubieten haben und daher lieber politische Ratschläge erteilen, die immer wieder große Verbreitung finden. Dabei wird hierzulande nicht einmal repräsentativ getestet, sondern willkürlich zumeist bei Kindern und Jugendlichen, die das geringste gesundheitliche Risiko tragen. Die so gewonnenen Daten sind deshalb nutzlos, eignen sich aber wunderbar, um dauerhaft Angst und Schrecken zu verbreiten, vor allem über Twitter und andere Social Media Kanäle, deren zum Teil völlig durchgeknallte Fangemeinden immer mehr die Richtlinien der Politik bestimmen.


Bildnachweis: MrJayW auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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