Beim nur mäßig lustigen Pandemiespiel, wer hat es verbockt, haben sich die Länder am Montag noch einmal eine Abfuhr geholt. Sie hätten gern noch strengere Coronaregeln, können diese aber selbst nicht begründen, weshalb sie den Bund nun für Lockerungen kritisieren. Der hat aber nur die Irrlehre einer politischen Virologie mit parlamentarischer Mehrheit in die Schranken gewiesen, die fälschlicherweise immer noch mit Wissenschaft in Verbindung gebracht wird.
Nun gilt nur noch, einfach nicht mehr beachten. Bund und Länder hatten schließlich viele Monate Zeit, zu klären, wie es nach dem bereits festgeschriebenen Ende der Pandemiemaßnahmen am 20. März weitergehen soll. Sie taten aber nichts, erst kurz vor Ablauf der Frist entstand wieder die übliche Hektik. Ein Auslaufen aller Maßnahmen kam aus Gründen der Gesichtswahrung nicht infrage und man beschloss daher eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Es lässt demnach noch „Basisschutzregeln“ zu, aber auch eine optionale Übergangsregelung aller bisher erdachten Instrumente bis zum 2. April. Doch auch diese Frist läuft ab und die Länder stehen plötzlich vor dem Problem, ihre Maßnahmen nun wirklich begründen zu müssen. Vorher war das nicht unbedingt der Fall. Da reichte oftmals nur der Verweis auf die Annahme des Schlimmsten.
Ende der Begründungsfreiheit
So verfuhr zum Beispiel die niedersächsische Landesregierung, die mit ihrer Weihnachtsruhe, die später zur Neujahrs- und Winterruhe umetikettiert worden war, weitgehend begründungsfrei Grundrechte an den eigenen Stufenplänen vorbei einschränken durfte. Selbst das sonst eher kritische OVG Lüneburg erachtete das amtliche Nichtwissen über die Gefährlichkeit der neuen Omikron-Variante als rechtmäßig an. Hauptsächlich deswegen, weil die leichtere Übertragbarkeit des Erregers erkennbar war, die aber, wie man inzwischen weiß, eben nicht zu einer höheren Krankheitslast beiträgt, sondern im Gegenteil, zu einer deutlichen Entkopplung von Infektionsgeschehen und Hospitalisierung. Das musste nun auch der Ministerpräsident einräumen, allerdings nicht mit Erleichterung, wie man vermuten könnte, sondern verbunden mit einer Kritik daran, dass er auf der Grundlage des neuen Infektionsschutzgesetzes nicht mehr so willkürlich Verordnungen erlassen kann, wie er möchte. Stephan Weil sagte:
„Wir müssen konkrete Gefahren durch das Virus nachweisen, das Virus muss also gefährlich sein, was bei Omikron nicht der Fall sei.“
Quelle: NDR
Das klingt nicht nur einleuchtend, sondern ist es auch, aber man fragt sich, was eigentlich vorher galt. Da brauchte man in der Regel keinen Nachweis, es reichte das Bauchgefühl derer, die den Ministerpräsidenten wissenschaftlich beraten. Und das sind dann wiederum die, die es jetzt komisch fänden, wenn sie Maske trügen, aber keine Maskenpflicht mehr bestünde. Man sei außerdem noch lange nicht mit der Pandemie durch, allein heute, (also am 18. März, dem Zeitpunkt der Äußerung), habe man mehr als 36.000 Neuinfektionen gezählt. Nur was spielt das noch für eine Rolle bei fehlender konkreter Gefahr? Dass das Personal in der kritischen Infrastruktur und auch sonst reihenweise ausfällt, liegt nur indirekt am Virus, dafür in erster Linie an nach wie vor restriktiven Quarantänevorschriften, die es ja nur deshalb gibt, weil es mal richtig war, Infektionsketten zu durchbrechen. Bei den ungenauen Meldeinzidenzen im vierstelligen Bereich ist das aber inzwischen sinnlos, unverhältnismäßig und damit komplett bescheuert. Doch dass Maßnahmen bei einer gewissen Dynamik vielleicht nicht mehr wirken, darauf kommt eine Landesregierung, die sich für ihren katastrophalen Kurs permanent lobt, einfach nicht.
Ihr geht es im Prinzip auch nur noch darum, die Verantwortung für die alternativlose Entscheidung zur Durchseuchung nicht übernehmen zu wollen. Deshalb kritisiert man lieber den Bund für eine Regelung, die sich streng an der nachweisbaren Gefahrenlage orientiert. Deren Vertreter, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kommt an der FDP nicht mehr vorbei, ist aber Profi genug, nun so zu tun, als läge es ja nur an den Ländern selbst, weitere harte und seiner Meinung nach notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Die müssten ja einfach nur die Hotspot-Regelung aktivieren und alles wäre gut. Das sei ja ganz leicht, so leicht, dass man keine zusätzlichen Grenzwerte, konkrete Bestimmungen oder Handreichungen mehr brauche. Die Länder widersprechen, weil das geänderte Gesetz tatsächlich die hohen Hürden festschreibt, die man angesichts von schweren Grundrechtseinschränkungen eigentlich von Anfang an hätte erwarten dürfen.
Zu viel Fiktionstoleranz
Ein Beispiel ist die Hospitalisierungsinzidenz. Sie ist inzwischen kein Indikator mehr für die Schwere der Krankheit, sondern lediglich für die organisatorischen Probleme beim Umgang mit positiven Befunden. Meldepflichtig sind ja nur Fälle, bei denen Covid-19 auch der Grund für die Einlieferung in eine Klinik ist. In Wirklichkeit fließen häufig aber alle positiven Befunde in die Hospitalisierungsinzidenz mit ein und verzerren damit das gesamte Lagebild. Begründet wird dieses Vorgehen dann damit, dass auch bei Patienten mit der Infektion als Nebenbefund besondere Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssten. Aber das wäre eben ein organisatorisches und kein medizinisches Problem. Grundrechtseinschränkungen darauf zu stützen, ist folglich überzogen und haltlos. Warum gibt es nun aber so viele positive Fälle? Das liegt an der Durchseuchung, die notwendigerweise immer am Ende einer Pandemie steht, in Deutschland aber mit keinem Wort als erforderlich erwähnt wird.
Deutschlands Bekämpfungsstrategie war permanent darauf ausgerichtet, Infektionen zu vermeiden und einzudämmen. Bis heute dominieren daher die Bruchstücke einer absurden NoCovid-Vorstellung in offiziellen Äußerungen sowie in Verordnungs- und Absonderungstexten. Selbst im komischen Gefühl, eine Maske tragen zu wollen, wenn es gar nicht vorgeschrieben ist. Es gibt kein Vertrauen in Empfehlungen, sondern nur Misstrauen gegenüber der Bevölkerung, der man ein eigenverantwortliches Verhalten ohne restriktive Regeln partout nicht zutraut. In gewisser Weise ist das Gerede über Solidarität dann auch wieder lustig, weil diese mit immer kleinlicheren Auslegungen des Ordnungsrechts und strengeren Bußgeldkatalogen abgesichert werden muss. Das komische Gefühl der Expertin, die mit ihrem Namen nicht mal mehr in der Schwarzwaldklinik noch glaubwürdig auftreten könnte, ist daher nur noch ein belangloses Echo jener vollkommen abgehobenen Kontrollillusion, die krachend gescheitert ist.
Dass sich solidarisches Verhalten mit ständiger Panikmache und der Androhung von Ordnungsrecht nun einmal nicht herstellen lässt, zeigen auch die leeren Regale im Supermarkt. Beim Hamstern bleibt sich jeder selbst der Nächste, egal ob geimpft, genesen oder doch nicht gestorben. Daher läuft die Pandemie am 2. April politisch aus, der FDP sei Dank. Die Pointe ist, dass eine Wissenschaft, die sich bereitwillig ideologisieren ließ, also selbst Politik betreiben wollte und dafür auch breite Unterstützung bekam, nun mit den Mitteln der parlamentarischen Mehrheit kurzerhand erledigt wird. Der Teil der Wissenschaft, der zur politischen Virologie verkommen ist, hat das und die Folgen einer ramponierten Glaubwürdigkeit nun selbst zu tragen. Da helfen auch Preise nichts, die man sich seit Wochen und Monaten gegenseitig in die Arme legt. Es gilt, was die Autorengruppe um Matthias Schrappe in ihrer jüngsten ad-hoc Stellungnahme festgehalten hat.
Die Szene, die sich vor unseren Augen abspielt, erhält unweigerlich einen geradezu paradigmatischen Anstrich: nicht die Fiktion ist das Problem, sondern die breite Bereitschaft, diese zu tolerieren.
Bildnachweis: Gerd Altmann auf Pixabay
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.