Da es in der Geopolitik immer um Interessen geht, ist die propagierte Einheit des Westens, über die seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine geredet und berichtet wird, reines Wunschdenken. In Wirklichkeit läuft es darauf hinaus, dass Europa und insbesondere Deutschland den Preis für den Konflikt zahlen wird. Ein Teil des Establishments scheint das sogar zu begrüßen. Frieren für die Freiheit, nennt sich das dann.
Deutschlands Elite ist gern moralisch auf hohem Niveau unterwegs und gewohnt dumm, wenn es darum geht, die Auswirkungen des eigenen Geplappers einmal zu Ende zu denken. Einen wirtschaftlichen Niedergang kann eigentlich niemand wollen, doch hierzulande scheint man sogar zum Äußersten bereit. Man glaubt an den ökonomischen Selbstmord als eine wirksame Waffe gegen den russischen Bären. Dabei sollte nach dutzenden Kriegen, die ebenfalls als Operationen, Stabilisierungseinsätze, Antiterrorkämpfe oder Friedensmissionen verklärt worden sind, klar sein, dass weiterhin nur der eine Satz gilt: It’s the economy, stupid!
Die westliche Selbsterhöhung täuscht zum Beispiel darüber hinweg, dass im globalen Süden, der unter westlichen Kriegen gelitten hat und leidet, ganz anders gedacht wird, wenn es um die Frage einer Verurteilung der russischen Aggression geht. Sogar NATO-Partner wie die Türkei sehen die Dinge anders. Hier weiß man die westliche Heuchelei genau einzuordnen. Zu frisch sind die Erinnerungen an das jahrzehntelange Desaster in Afghanistan, als zum Schluss Transportflugzeuge mit Menschen auf den Tragflächen vor laufenden Handy-Kameras aus Kabul abhoben. Aufklärung bis heute, Fehlanzeige. Wir sind ja die Guten. Leider redet man sich als Hilfstrupp für amerikanische Interessen weiterhin ein, das Richtige zu tun. Es ist aber eine für den Kriegsverlauf folgenlose Rhetorik. Nicht aber für die eigene Wirtschaft.
Immerhin hat der zuständige grüne Minister und Vizekanzler erkannt, dass ein Kappen der Energieversorgung aus Russland verheerende Folgen haben würde. Das lässt sich ja gar nicht durchhalten, stellt er fest, vermutlich weil Deutschland nun einmal nicht aus lauter Ex-Bundespräsidenten besteht, die vielleicht einmal ein paar Jahre weniger Lebensglück und Lebensfreude ertragen können. Womit sich der Zitatgeber als öffentlich alimentierter Vortragsreisender natürlich nicht selbst meint. Auch hier gilt: It’s the economy, stupid! Doch das Argument hält sich trotzdem wacker. Man müsse die Annahme des russischen Gases nur verweigern, damit Putin in die Knie gezwungen wird und seinen Krieg nicht mehr finanzieren kann. Dabei stellt Russland als zweitgrößter Waffenexporteur der Welt das verwendete Kriegsgerät eben selbst her, braucht dafür also keine Euros aus Deutschland, sondern nur die eigene Währung.
Anders Deutschland, dass gerade ein 100 Milliarden Euro Sondervermögen auflegen will, um mal ordentlich aufrüsten zu können. Dass die Einkaufstour dann auch zum größten Waffenexporteur der Erde, den USA führt, lässt dabei kaum jemanden ins Grübeln geraten. Wenn Kampfjets aus amerikanischer Produktion mit deutschen Steuergeldern bezahlt werden, ist das gut für die Doppelmoral und natürlich ein wirksames Mittel im Sinne der Abschreckung, obwohl die Atomraketen aus Kaliningrad immer noch nur vier Minuten nach Berlin benötigen. Aber Russland verstehe ja nur diese Sprache, heißt es. Dass aber in erster Linie die amerikanische Rüstungswirtschaft von derlei Entscheidungen profitiert und damit genau dort auch für ein Mehr an Lebensglück und Lebensfreude gesorgt wird, kann nur erkennen, wer den Satz versteht. It’s the economy, stupid!
Rationalität
Bleibt eigentlich die Frage, warum die Russen dem Westen nicht selbst den Gashahn abdrehen. Na ganz einfach, auch hier gilt der gleiche Satz. Denn trotz des Krieges und der vielen Ferndiagnosen zum Geisteszustand des Kreml-Chefs scheint es dann doch ein bestimmtes Maß an Rationalität auf dessen Seite zu geben, das man in den Kreisen der deutschen Freiheitskämpfer hingegen vergebens sucht. „Das sollte man als Chance begreifen, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Voraussetzung wäre, dass sich insbesondere in Europa die Einsicht breit macht, dass wir schon jetzt die Verlierer dieses Krieges sind und weiterer Schaden nur dann vermieden werden kann, wenn man ernsthaft einen Kompromiss mit Russland sucht.“ (Quelle: Makroskop)
Eine Alternative dazu gibt es auch gar nicht, auch weil die Einheit des „Westens“ eine Illusion ist. Das fängt bei den Interessen der USA an und hört bei den Hardlinern unter den Ost- und Südosteuropäern auf, die gerade eine eigene Ukraine-Politik verfolgen. Da wedelt der Schwanz mit dem Hund, auch wenn der Hund beteuert, das Vorgehen sei mit ihm abgestimmt. Aus deutscher Sicht wäre es schon mal ein Gewinn, wenn wenigstens auf das ständige Moralisieren und den Bekenntniszwang verzichtet würde. Es führt nur zur Lächerlichkeit. Dass Putins Gasableser gerade selbst auf die Ehrenbürgerwürde der Stadt Hannover „unwiderruflich“ verzichtet hat, ist da nur ein Beispiel. Nun weiß der grüne Oberbürgermeister nämlich nicht, ob er die angeschobene Abstimmung über die förmliche Aberkennung des Titels im Stadtrat Ende März abblasen muss oder nicht, weshalb jetzt Juristen mit der Klärung dieser Frage beauftragt sind.
Da sieht man überschätzte Amtsträger bei der Arbeit, die sich schon mit einer Form absurder Symbolpolitik verheben und damit dem Spott der Öffentlichkeit preisgeben. Es gilt daher nicht nur, den Satz: It’s the economy, stupid!, wieder und wieder in Erinnerung zu rufen, sondern auch eine Feststellung, die Henry Kissinger bereits 2014 in der Washington Post traf. „Für den Westen ist die Dämonisierung von Wladimir Putin keine Politik, sondern ein Alibi für das Fehlen einer Politik.“ Das gilt insbesondere für Deutschland und seine Doppelmoralisten in Regierungsverantwortung, die im Augenblick noch von einer großen Welle der Betroffenheit und Unterstützung zehren. Doch:
Wie groß wird die Solidarität unserer Mitbürger noch sein, wenn sie erwerbslos sind oder die Gasrechnung auf 800 Euro pro Monat steigt, der Strompreis sich verdreifacht und an den Tankstellen vier oder fünf Euro für den Liter verlangt werden? Da kann ein Joachim Gauck sich auch mal aus Solidarität abends den dicken Kaschmirpulli anziehen. Sein Fahrer wird die Tankrechnung schon bezahlen können – bei 385.000 Euro Amtsausstattung pro Jahr ist das drin. Die meisten unserer Mitbürger dürften das nicht ganz so locker sehen und sich fragen, wofür wir eigentlich nun unseren – massiv ungleich verteilten – „Wohlstand“ opfern. Vielleicht laufen dann ja Spendenticker im US-Fernsehen. Zahlt Euren Ablass für die tapferen Deutschen, die aus Solidarität mit der Ukraine ihr Land ruiniert haben.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.