Asymmetrische Haushaltsführung

Geschrieben von: am 03. März 2022 um 14:58

Dieser Angriffskrieg ist ein Verbrechen und er muss sofort beendet werden. Die russische Führung denkt aber nicht ans Aufhören, sondern setzt ihre Offensive unter Inkaufnahme zahlreicher Opfer weiter fort. Zeichen der Deeskalation sind bislang nicht zu erkennen. Eher das Gegenteil ist der Fall, was den Konflikt und das Leid der Menschen verlängert. Die rollenden Panzer haben nun auch in der deutschen Innenpolitik eine bemerkenswerte Dynamik ausgelöst.

Es ist äußerst besorgniserregend, dass der Keml seine Kampfhandlungen weiter intensiviert. Militärische Rückschläge, wie sie im Westen kommuniziert werden, scheinen die Führung in Moskau nicht weiter zu beeindrucken. Auf der anderen Seite hat die ukrainische Regierung Waffen an Zivilisten ausgegeben, damit diese gegen die russischen Truppen kämpfen können. Das ist zweifellos keine heroische Angelegenheit, sondern sehr verstörend und ebenfalls eine kühle Instrumentalisierung der eigenen Bevölkerung. Ähnlich ist der Aufruf zu verstehen, sich mit Molotow-Cocktails gegen Panzer zu wehren. Das ist gegen eine militärische Übermacht, die ihr Potenzial noch gar nicht vollends entfaltet hat, weder eine kluge Strategie noch auf andere Weise irgendwie legitim. Doch eine zentrale Frage bleibt: Wer sammelt diese Waffen denn hinterher (sofern es ein Nachher dann noch gibt) wieder ein?

Das und die gedankenlose Lieferung von weiteren Waffen durch westliche Staaten, einschließlich Deutschlands, tragen nüchtern betrachtet nur dazu bei, den Konflikt noch komplizierter zu machen als er ohnehin schon ist und diesen in die Länge zu ziehen, obwohl er militärisch nach Meinung aller Experten nicht zu gewinnen ist. Die Lieferung von Militärgerät ist somit Beihilfe zum Krieg, auch wenn die Bundesregierung beteuert, militärisch gar nicht eingreifen zu wollen. Sie ist dann aber trotzdem Kriegspartei, was im irrationalen Überschwang blau-gelber Solidaritätsbekundungen leicht in Vergessenheit zu geraten droht. Darunter fällt auch der Coup des Bundeskanzlers vom Sonntag, der die eigenen Genossen und Koalitionspartner mit einer 180-Grad-Wende in der Verteidigungspolitik düpierte.

Politische Opportunität

Offenbar nur in Absprache mit dem Finanzminister soll es ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr und damit die Aufrüstung geben, einfach so. Das zeigt zunächst einmal, dass die Armut in diesem Land kein Versehen, sondern pure Absicht ist. Interessant ist nun die politische Opportunität. Während sich Teile der Linken noch sortieren und von konsternierter Schweigsamkeit bis deutliche Ablehnung alles vorzufinden ist, haben die Konservativen bereits rasch reagiert und Unterstützung mit einigen Vorbehalten signalisiert. An sie richtete sich auch der Bundeskanzler in seiner Ansprache, nicht an die eigenen Leute, die noch während der Sondersitzung des Parlaments eiligst ihre Redemanuskripte ändern mussten, um auf die neue Lage zu reagieren.

Vor dem Ausbruch des Krieges beabsichtigten CDU und CSU eine Verfassungsklage gegen den Nachtragshaushalt der Bundesregierung anzustrengen, weil dieser aus ihrer Sicht ein rechtswidriger Versuch sei, die Schuldenbremse im Grundgesetz zu umgehen. Die Regierung will ja 60 Milliarden Euro aus bestehenden Kreditermächtigungen in einen sogenannten Energie- und Klimafonds umleiten, um davon später zu zehren und Investitionen tätigen zu können. Man könnte das auch Sondervermögen nennen. Frage: Wenn das eine verfassungswidrig sein soll, wie können die 100 Milliarden Euro für Verteidigung es dann nicht sein, Herr Merz? Darauf gab der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in seiner Rede erst einmal keine Antwort, nur den üblichen neoliberalen Reflex, wonach es im Gegenzug an anderen Stellen dann aber keine Wohltaten mehr geben dürfe.

Das sieht Finanzminister Christian Lindner sehr ähnlich. Er bezeichnete das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro zunächst einmal nicht als Schulden, sondern als Kredite, die Investitionen in die Freiheit seien. Parallel dazu stellte der Minister aber ebenfalls klar, dass die Schuldenbremse einerseits ab 2023 wie geplant wieder gelten solle und es andererseits, wie im Koalitionsvertrag verabredet, keine Steuererhöhungen geben werde. Diese Rechnung kann nicht aufgehen, auch wenn man das neue Sondervermögen von der Haushaltsberechnung ausklammert. Denn zusätzlich soll der laufende Budgetbeitrag für Verteidigung ebenfalls steigen und zwar auf über 2 Prozent des BIP. Folglich müsse es, um in der Logik des konservativen Haushälters zu bleiben, Einsparungen in anderen Bereichen geben. Dies ließ Lindner in Interviews bereits durchblicken. Er versteht das Sondervermögen demnach als einen Hebel, um die Kabinettskollegen, die ihn und seine FDP in der Regierung bislang noch nicht sonderlich ernst und wahrgenommen haben, auf eine bestimmte Ausgabenlinie zu zwingen.

Gruseliger Fahrplan

Es deutet sich also ein gruseliger Fahrplan an, der die widerlegten Weisheiten des Neoliberalismus, wonach man nur ausgeben könne, was man auch vorher eingenommen habe, mit den Vorzügen einer expansiven Fiskalpolitik kombiniert. Während der erste Teil, bei dem es um Schuldenbremse und ausgeglichene Haushalte geht, nach Corona zur restriktiven Dogmatik zurückkehrt, dürfte der zweite Teil, das große Sondervermögen, Begehrlichkeiten wecken, die über den angekündigten Rahmen hinausgehen. So trachten die Grünen bereits auf einen Ausgleich für die unfreundliche Überrumpelung durch Kanzler Scholz. Sie sagen, dass der Sicherheitsbegriff ja deutlich breiter zu verstehen ist und darunter nicht nur Bundeswehr oder Rüstung, sondern auch Energiepolitik und Entwicklungszusammenarbeit verstanden werden könne. Dagegen wehrt sich erwartungsgemäß die Union. Deren Vorsitzender Merz hat inzwischen auch den Widerspruch zur Verfassungsklage erklärt.

Das seien zwei verschiedene Sachverhalte. Bei der Klage gehe es um eine Zweckentfremdung von Mitteln, die eigentlich für die Folgen von Corona gedacht waren und nun für den Klimaschutz eingesetzt werden sollen. Das klingt danach, als sei die zusätzliche Verschuldung bei denen, die auf den Fetisch Schwarze Null stehen, ja doch kein Problem, wenn sie nur richtig deklariert würde. Rüstung ja, alles andere nein, dazu zählen vor allem auch öffentliche Leistungen, die einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, zur Bildung oder zur Bekämpfung von Armut leisten. Dieser Aspekt fällt gänzlich unter den Tisch oder steht sogar mehr denn je zur Disposition. Das wäre ja das Feld für eine funktionierende Sozialdemokratie. Doch hier hat man noch alle Hände voll zu tun, sich von Altlasten, wie der eines Gerhard Schröder zu trennen. Beinahe jeden Tag gibt es Meldungen, wie isoliert der Ex-Kanzler doch inzwischen sei. Allerdings für Schlagzeilen der Kategorie „Borussia Dortmund schmeißt Schröder raus“, reicht das alles nicht. Dafür sind Parteienrecht und Parteiordnungsverfahren dann doch zu streng geregelt.

Es ist sowieso ein Treppenwitz der Geschichte, das Schröder nicht über Hartz IV, den herbeigejubelten größten Niedriglohnsektor Europas oder die Rentenkürzungen in die ewige Verdammnis gewünscht wird, sondern weil er ein Kumpel von Putin ist. Würde Diplomatie noch funktionieren, könnte man diesen Kontakt ja bewusst nutzen. Aber allein daran zu denken, rechtfertigt bereits einen Shitstorm nach dem anderen.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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