Scholz und die SPD unter Druck

Geschrieben von: am 24. Feb 2022 um 17:38

Gestern hat die Ampel-Koalition hektisch ein paar Entlastungen beschlossen, unter anderem der Verzicht auf die EEG-Umlage, um den Anstieg der Energiekosten zu dämpfen. Das geschah offenbar auch mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der kurz darauf in Osteuropa ausbrechen sollte. Innenpolitisch ist die Lage für die Sozialdemokraten und ihren Kanzler Scholz nun besonders heikel. Oppositionsführer Friedrich Merz läuft sich bereits warm. Ein Analyseversuch.

Im Kriegsfall stehen alle zusammen. Geschlossenheit ist jetzt wichtig, das gelte auch für die Opposition, wie der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und CDU-Chef Friedrich Merz im ZDF Morgenmagazin sagte. Er erklärte weiter, dass es nun nicht nur einen Krieg in Europa gebe, sondern auch einen Krieg gegen die Demokratie und gegen unsere Freiheit, die man notfalls auch militärisch verteidigen müsse. Das ist die Sprache der Falken.

Damit gibt Merz einen Ton vor. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach zuvor von einem dunklen Tag für Europa und der grüne Bundeswirtschaftsminister Habeck gerät ins Stottern, als er auf die Zukunft von Nord Stream 2 angesprochen wird. Der Kanzler und insbesondere seine SPD sind in der Bredouille, weil sie im Vorfeld bereits als zu russlandfreundlich identifiziert und stigmatisiert worden sind. Das dürfte in den abendlichen Talkshows noch vertieft werden. Bis heute steht eine unbedachte Äußerung von SPD-Parteichefin Saskia Esken als Sinnbild für ein unprofessionelles Auftreten, das einseitig auf Bonuspunkte für das Ampelbündnis ausgerichtet war. Ein Fehler, denn Scholz hat nichts erreicht und auch nichts erreichen können.

https://twitter.com/EskenSaskia/status/1493625593841299459

Mehr als ein Witz auf der Pressekonferenz in Moskau ist von der Krisendiplomatie des Kanzlers nicht übriggeblieben. Und sonderlich beeindruckend war der Humor von Scholz auch nicht. Zutreffend ist, dass Deutschland in der Außenpolitik gar keine besondere Rolle spielt. Die Abstimmung mit Frankreich wirkt nicht sehr harmonisch und kooperativ. Wie sich Berlin in diesem Konflikt zu verhalten hat, entscheidet eher Washington, wie der amerikanische Präsident in der Nacht bereits klarstellte. Zwar ist von enger Abstimmung die Rede, doch das ist bei nüchterner Betrachtung nicht mehr als eine Einbahnstraße. Was mit Blick auf Nord Stream 2 im letzten Jahr noch als ungebetene amerikanische Einmischung halbherzig kritisiert worden war, ist jetzt keine haltbare Position mehr.

Für die amtierende Regierung ist die Lage damit heikel. Sie muss vorausdenken und die Zeit nach dem russischen Angriffskrieg im Blick behalten, also eine Strategie zur Deeskalation entwickeln, wenn die These stimmt, das Sicherheit und Frieden in Europa ohne Russland nicht möglich ist. Damit wirkt sie per se weicher als eine Opposition, die frisch sortiert frei aufspielen kann. Der unsägliche Norbert Röttgen hat heute schon Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert und den Druck auf seinen Nachfolger, den neuen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth (SPD) erhöht.

Da der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor einer Woche noch von berechtigten Sicherheitsinteressen der Russen sprach, dürfte er zur Zielscheibe von innenpolitischen Attacken werden. Möglicherweise muss er sogar zurücktreten, wenn es beim ausgegebenen harten Kurs der Falken bleibt, bei dem auch nur geringe Abweichungen, die Verständnis für die russische Seite erkennen lassen, gnadenlos niedergemacht werden.

Im Plenum dürfte es genug Scharfmacher geben, die rhetorisch beschlagen und zum Abschuss verbaler Giftpfeile bereit sind. Es könnte möglicherweise zum Aufstieg des JU-Chefs Tilman Kuban kommen. Harte Reaktionen sind nun angekündigt, doch die müssen auch wirksam sein. Die Sanktionen gegen Russland waren es bislang nicht. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Eskalationsspirale einfach ungebremst weitergeht. Solange die Falken das Sagen haben, wird sich daran kaum etwas ändern. Die Frage ist deshalb, ob die Bundesregierung bei der Frage von Waffenlieferungen standhaft bleibt und ob sie mittel- bis langfristig eine Strategie anzubieten hat. Sonst läuft sie der Entwicklung weiter hinterher.


Bildnachweis: Screenshot, Übertragung aus dem Bundeskanzleramt, 24.02.22

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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