Aufgabe ist es, dass Gesundheitssystem künftig vor einer Überlastung zu bewahren. Deshalb müssen die Menschen nun zur Impfung verpflichtet werden. In den Augen der Befürworter ist das ein legitimes Mittel, um das Ziel zu erreichen. Aber das ist völliger Unsinn.
Prävention ist ein wichtiger Aspekt, aber eben keine Voraussetzung für den Zugang zu den Leistungen des Gesundheitssystems. Hier wird jeder behandelt, egal wie vernünftig oder unvernünftig er sich in seinem Alltag verhält. Das ist der Kern des Solidarprinzips, von dem nur in einigen Ausnahmefällen begründet abgewichen wird. Unter diesen Bedingungen hat das Gesundheitssystem schon immer alle Aufgaben, die an es gestellt worden sind, bewältigt oder eben nicht bewältigt. Die Überlastung von Kliniken und Personal ist keine Corona spezifische Neuheit, sondern saisonaler Alltag, den man natürlich besser regeln könnte. Es ist daher auch Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass ausreichend Kapazitäten im Gesundheitssystem vorhanden sind, um kranke Menschen zu behandeln und zu versorgen. Man möchte annehmen, dass das spielend möglich ist, in einem Land, dass mehr Betten pro 1000 Einwohner bereitstellt als andere und das etwa 12 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts oder rund 411 Milliarden Euro pro Jahr für Gesundheit ausgibt.
Landen nun die enormen Geldsummen, die auch in dieser Krise bewegt worden sind, dort, wo sie benötigt werden? Zum Beispiel bei den Pflegekräften oder einem nachhaltigen Gesundheitsmanagement? Gibt es eine Überprüfung der eingesetzten Mittel? Kommt hinten mehr Gesundheit raus, wenn man oben mehr Geld hineinwirft? Es ist einigermaßen schräg, die Begründung für eine allgemeine Impfpflicht auf das Argument einer Gefährdung aller Bürger, egal wie alt, zu stützen, es gleichwohl aber zu versäumen, in der gefährlichsten Gesundheitskrise aller Zeiten genügend PCR-Testkapazitäten vorzuhalten. Allein die Stadt Wien soll mehr Tests abwickeln können als ganz Deutschland zusammen. Das ist ein wenig beschämend. Vor diesem Hintergrund wirkt dann auch der aufgesetzte Alarmismus, der gerade wieder zur Schau getragen wird, reichlich deplatziert. So schlimm kann es ja gar nicht sein, wenn man es für nötig erachtet, auf bestimmte Messinstrumente, die man Goldstandard nennt, am Ende zu verzichten, obwohl die Modellierer die Katastrophe bereits vor Wochen als Wand beschrieben haben.
Im Grunde spricht aber auch weiterhin nichts dafür, dass das Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt oder durch diese Pandemie zusammenbrechen könnte, um mal das letzte lächerliche Argument für eine Impfpflicht zu entkräften. Es gibt Spitzenbelastungen, die kurze Zeit und regional auftreten. Es sind auch schon immer Patienten von einem in ein anderes Krankenhaus verlegt worden, um für Entlastung zu sorgen. Wenn natürlich Bundeswehrmaschinen eingesetzt werden, die von Bayern in den Norden fliegen, klingt das gleich wieder wahnsinnig dramatisch. Wo liegt denn aber der Unterschied zu einem Hubschrauber des DRK, fragt der Intensivmediziner Thomas Voshaar im Deutschlandfunk? Zur Wahrheit gehört eben auch, dass ein Großteil der Kollegen in den Medien, wie auch ein Großteil der Politiker, die sie tagein, tagaus hofieren, komplett bescheuert ist.
Es ist vorbei
Team Vorsicht, Umsicht oder Vorsorge haben gelinde gesagt, einen an der Waffel. Die Impfdebatte im Bundestag hat das diese Woche noch einmal eindrucksvoll gezeigt. Drei Stunden Orientierung mit Argumenten von vorgestern. So schwebte immer noch die längst widerlegte Vorstellung von Immunität durch den Saal, die man nur durch Impfung erreichen könne. Ein verantwortungsvoller, solidarischer Fremdschutz sozusagen, der gar nicht existiert, wie ein Zufallstest vor dem Grünen Parteitag am Wochenende ergab. Alles andere, also die Infektion, sei ein potenziell tödliches Spiel, sogar wenn man geimpft, aber nicht geboostert ist oder trotzdem vollständig geimpft und aufgefrischt, das Impfschema seit kurzem aber nicht mehr anerkannt wird, weil auf den Fluren des Gesundheitsministeriums kommunikativ etwas schiefgelaufen ist.
Der Genesene hat es inzwischen auch immer schwerer, weil er sich nach Delta wieder mit Omikron infizieren könne und angeblich nicht so gut geschützt sei, wie jemand, der doppelt gegen die längst verschwundene Wuhan-Variante des Virus geimpft worden ist. So ein Quatsch wird mit moralgetränkter Tonalität im Plenum vor- und wieder zurückgetragen, bis hin zu einem Gesundheitsminister, der in seiner offenbar nur vorgetäuschten Gelehrtheit auch noch Hegel falsch zitiert. Worum geht es denn nun? „Der Schutz eines Impfverweigerers vor sich selbst ist kein verfassungsrechtlich legitimes Ziel“, schreibt der Chefredakteur von LTO in dieser Woche. Fertig. Thema erledigt. Er bezieht sich auf eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestag. Darin steht.
Wenn schon einem Kranken eine medizinische Behandlung zu Heilungszwecken nicht aufgenötigt werden darf, dann darf sie erst Recht einem Gesunden nicht zu seinem vorbeugenden Schutz aufgenötigt werden. Eine Impfpflicht, die allein dem Selbstschutz der Geimpften dienen würde, wäre mithin kein legitimes Ziel.
Die Impfpflicht wird also scheitern, aber nicht, weil dieser Bundestag keinen Gesetzentwurf zustande brächte – es werden ja vielleicht sogar noch mehr -, sondern weil die Infektionsdynamik auf der einen Seite und die politische Beendigung der Pandemie auf der anderen Seite der deutschen Grenze, das Ansinnen unter sich begraben wird. Es gehört zur Unaufrichtigkeit, die bereits begonnene natürliche Durchseuchung mit der Verlängerung nutzloser Grundrechtseinschränkungen formal zu leugnen. Es fällt der deutschen Politik eben schwer, den eingeschlagenen Weg zu verlassen. Mit dem Virus leben, heißt eben nicht, Infektionen weiterhin zu vermeiden und wie blöde jetzt vor allem Kinder morgens, mittags und abends zu testen. Denn gehen die Kinder wieder haufenweise in Isolation, müssen das auch die Eltern tun, denen dann auch keine verkürzte Quarantänezeit hilft, um die kritische Infrastruktur doch noch vor einem möglichen Infarkt zu retten.
Die Krankheitslast nimmt trotz steigender Fallzahlen beständig ab. Es ist vorbei.
Bildnachweis: André Tautenhahn
JAN.
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.