Bemerkenswerte Routine

Geschrieben von: am 24. Jan 2022 um 22:27

Weihnachtsruhe, Winterruhe und bald Frühlingsruhe? Parallel dazu steigen die Infektionszahlen ungebremst. Die geltenden Maßnahmen wirken also nicht. Sie werden dennoch immer weiter verlängert, weil diese Art der Pandemiepolitik samt Grundrechtseinschränkungen zu einer bemerkenswerten wie bequemen Routineangelegenheit geworden ist. Das alles verstellt aber den Blick auf das Wesentliche. „Der Frust im Innern braucht jetzt dringend etwas Ablenkung nach außen.“

Für Lockerungen bestehe kein Anlass, ist zu hören, vor allem, weil man noch zu wenig über die Omikron-Variante wisse. Das ist ein Witz, denn aktiv geschieht nichts, um an diesem Erkenntnismangel etwas zu verändern, also quasi Licht ins Dunkel zu bringen. Die Regierung gibt keine Wissenschaft in Auftrag, verlässt sich beinahe ausschließlich auf die Studienlage des Auslands und nimmt diese dann auch noch sehr selektiv wahr. Ein Beispiel ist die handstreichartige Verkürzung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate ohne Übergangszeit. Hier beschreitet Deutschland einen Sonderweg und der zuständige Minister gibt an, über klare wissenschaftliche Erkenntnisse zu verfügen, die diesen Schritt unumgänglich machen. Dabei dient die Wissenschaft in diesem Fall nur als Scheinargument für eine rein politische Entscheidung.

So erklärte der Bundesgesundheitsminister, dass sich Genesene nach nur drei Monaten erneut mit der Omikron-Variante infizieren können. Das ist erstaunlich schlicht für einen bekennenden Literatur-Junkie, der sich vornehmlich des Nachts mit ausgewählten wissenschaftlichen Studien zum Thema Coronavirus beschäftigt. In keiner von denen steht aber, dass die Ansteckung nach der Genesung nun ein sonderliches Problem darstellt. Dafür ist die Bildung eines Immungedächtnisses infolge der Infektion deutlich nachhaltiger als bloß drei Monate, was im Grunde genommen auch dem wissenschaftlichen Basiswissen über Atemwegsinfektionen entspricht. Nun könnte man sagen, mit Omikron hätte sich die Lage entscheidend verändert, da die Variante leichter übertragbar ist. Nur was spielt das für eine Rolle, auch Geimpfte und Geboosterte stecken sich wieder häufiger an.

Der Bundesgesundheitsminister hat allerdings nicht erklärt, ob Genesene nach einer erneuten Infektion mit Omikron nun kränker sind, als Geimpfte oder Geboosterte und man daher ihren Status ändern müsse. Das kann er auch nicht, denn erfreulich ist: Omikron macht eigentlich niemanden mehr schlimm krank, selbst die Ungeimpften nicht. Aber das ist wieder so eine aus der Luft gegriffene Behauptung, die in Deutschland niemand unterschreiben will. Das wisse man halt nicht, das müsse man noch abwarten. Fragt sich nur wie lange? Die Daten des Auslands liegen vor. Es ist nicht anzunehmen, dass Deutschland eine andere Entwicklung einschlagen wird. Es sei denn, Coronafälle in Krankenhäusern würden anders gezählt, etwa weil es für Corona mit Beinbruch mehr Geld gibt, als für einen Beinbruch mit Corona. Aber das ist jetzt nur eine freche Unterstellung.

Fallensteller

Denn Deutschland erhebt seine Daten ja gewissenhaft. Allerdings bewege sich das Gesundheitssystem nach zwei Jahren Pandemie immer noch in einer digitalen Einöde, sagt Prof. Dr. Uwe Janssens, also ein dauerpräsenter Intensivmediziner, der in den Medien trotz digitaler Einöde stets vor einer Überlastung der Krankenhäuser warnt. Das beträfe übrigens nicht nur Corona, sondern grundsätzlich alles, was im Krankenhaus passiert, so Janssens weiter. Interessant. Beim Bejammern der Zustände herrscht wohl ebenfalls Routine. Beim Lügen auch. So erweckt der Bundesgesundheitsminister den Eindruck, die Änderung des Genesenenstatus sei ohne sein Wissen erst nach der Bundesratssitzung am Freitag, den 14. Januar an ihn herangetragen worden.

Zutreffend ist, dass seine parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar über das kritisierte Vorgehen schon einen Tag vorher in der Bundestagsdebatte am 13. Januar Auskunft gab. Da hörte aber offenbar niemand zu, mit Ausnahme der schwarzen Ministerpräsidenten, die der zerstreuten Fehlbesetzung im Gesundheitsministerium über den Bundesrat so eine Art Haseloff-Falle bauten. Der Erste Vizepräsident der Ländervertretung und Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt hatte Lauterbach ausdrücklich gewarnt, Einfluss auf RKI und PEI auszuüben. Der versprach wiederum umgehend, sich auf jeden Fall daran zu halten und die Falle schnappte zu. Der Bundesrat billigte die Änderung der Corona-Verordnungen einstimmig und RKI und PEI setzten das Regelwerk gleich um. Nun behauptet Lauterbach, nicht informiert gewesen zu sein, obwohl seine Staatssekretärin den Ablauf bereits skizzierte. Ein Punkt für die CDU.

Und es könnten weitere folgen, weil Karl Lauterbach auch im Amt lieber andere Prioritäten setzt. Zum Beispiel mit Oliver Kahn sprechen, um hinterher auf Twitter darüber zu berichten. Da dürfte noch eine Menge Arbeit auf Kevin Kühnert, den neuen Generalsekretär der SPD, in diesem Wahljahr zukommen. Nicht allein wegen Lauterbach, sondern auch wegen anderer Themen, die nun routinemäßig weggearbeitet werden. Wolfgang Michal hat da mal eine Auswahl an bemerkenswerter Meinungsvielfalt der Hauptstadtpresse zusammengestellt und mit der treffenden Bemerkung kommentiert. „Der Frust im Innern braucht jetzt dringend etwas Ablenkung nach außen.“

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Bildnachweis: Screenshot der MPK vom 24. Januar 2022 via ZDF

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Jörg Wiedmann  Januar 25, 2022

    Im Bundestag gilt der Genesenstatus weiter für 6 Monate, für das Volk leider nur 3 Monate.
    Das muss dann wohl eine neue Variante des Virus sein die exakt zwischen Politik und Volk unterscheiden kann.
    Auf Grund der selben Studien und wissenschaftlicher Grundlage wurde der Genesenstatus in der Schweiz auf 12 Monate verlängert. Ja die Schweizer sind eben weniger anfällig.
    Der Wahnsinn ist kaum mehr auszuhalten.
    Und Panik Karl sollte zum Schutz der Bevölkerung und auch zu seinem eigenen Schutz dringend demissioniert werden.