Finanzminister Christian Lindner hat in einem Interview mit der Bild am Sonntag Milliardenentlastungen für die Bürger in Aussicht gestellt. Damit kehrt die neoliberale Haushaltsdogmatik zu Beginn des neuen Jahres zurück. Denn die Ankündigung von Steuerentlastungen dienten immer nur als Leckerli, um von einer massiven Kürzung öffentlicher Ausgaben, die mit dem Begriff „Priorisierung“ verschleiert werden soll, abzulenken. Doch es steckt auch noch ein bisschen mehr dahinter.
Das wird teuer. Die Bekämpfung der Corona-Pandemie geht ins Geld. Rund 130 Milliarden Euro nahm der ehemalige Finanzminister Olaf Scholz im Jahr 2020 auf, weitere 240 Milliarden Euro ließ er sich vom Parlament für das Jahr 2021 genehmigen. Nicht alles davon wird gebraucht, aber rund 60 Milliarden Euro sollen als eine Art Reserve für geplante Investitionen der Ampelkoalition auch in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen (Klima- und Transformationsfonds). Das sieht der Entwurf des Nachtragshaushaltes seines Nachfolgers Christian Lindner vor, der kürzlich vom neuen Kabinett gebilligt worden ist.
Dies ist möglich, weil die Schuldenbremse pandemiebedingt ausgesetzt bleibt. Zu einer nachhaltigen Änderung der bisherigen Fiskalpolitik führt das aber gerade nicht, wie Lindner nun mit der Ankündigung eines Corona-Steuergesetzes belegt. Der Abgesang auf das neoliberale Modell (unter anderem hier, hier und hier) war daher verfrüht. Es steht zu befürchten, dass neben dem Aufwärmen einer bekannten Rhetorik, auch die dazugehörige restriktive Haushaltspolitik zurückkehren wird. Seine Ministerkollegen mahnt Lindner bereits zu Sparsamkeit. Die Spielräume seien in diesem Jahr eng. Vorhaben sollten daher priorisiert und bisherige Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden. Von 2023 an solle die Schuldenbremse wieder gelten. Es könne nur der Wohlstand verteilt werden, der zuvor erwirtschaftet worden sei.
Die Vertreter des Neoliberalismus setzen dabei nicht auf ein Zurückdrängen des Staates, wie häufig unterstellt, sondern machen sich ihn zur Beute, wirken also auf Gesetze hin, die staatliche Interventionen zugunsten des Kapitals ermöglichen. Deshalb wurde der Koalitionsvertrag mit seinen Formulierungen über „Superabschreibungen“ und großzügige Regelungen zur Verlustverrechnung gerade auch aus Wirtschaftskreisen sehr begrüßt, sogar der designierte CDU-Vorsitzende und BlackRock-Intimus Friedrich Merz spendete zumindest dem Sondierungspapier anerkennenden Beifall, während er als Oppositionspolitiker den fertigen Koalitionsvertrag natürlich öffentlich kritisieren muss. Der neue Finanzminister Christian Lindner sitzt daher als Vertreter der neoliberalen Denkschule an genau der richtigen Stelle.
Kleiner Satz mit großer Wirkung
Doch seine Sprache über die Menschen und den Mittelstand, die profitieren sollen, bleibt verräterisch. Das Gerede verschleiert erneut, dass minimale Entlastungen beim Durchschnittsbürger ungleich großen Steuergeschenken an Unternehmen gegenüberstehen. Doch selbst das ist nur ein Nebenkriegsschauplatz. Denn viel wichtiger ist der Schaden, der angerichtet würde, wenn aus ideologischen Gründen abermals dringend erforderliche Investitionen unterbleiben und insbesondere Finanzmittel für personelle Aufwendungen nicht zur Verfügung stünden. Dann steigt die Belastung derer immer weiter an, die auf öffentliche Leistungen angewiesen sind. Das ist der Großteil der Bevölkerung.
Oder, um es mit Verweis auf ein aktuelles Beispiel zu sagen. Das Gejammer über Gesundheitsämter, die noch immer an Wochenenden und Feiertagen nicht oder nur eingeschränkt arbeiten, hilft wenig, wenn gleichzeitig die Überzeugung verteidigt wird, dass enge Gürtel, also eine rigorose Sparpolitik, besonders heilsam wirkten und daher so schnell wie möglich die Einhaltung von Schwarzen Nullen sowie der Schuldenbremse erfolgen müssen. Dass das nicht gut gehen kann, zeigt diese Krise, in der sich der „Organisationsweltmeister“ mit Faxgeräten bis auf die Knochen blamiert. Zum Teil hat das die neue Ampelregierung auch erkannt und in ihren Koalitionsvertrag deshalb hineingeschrieben, dass die Berücksichtigung der Sondervermögen bei der Schuldenregel künftig anders zu erfolgen hat.
Bislang fielen auch die Abflüsse aus diesen Töpfen unter die Schuldenbremse. Das wird sich ändern. „Als Ausgaben im Rahmen der Schuldenregel werden dann die Zuführungen des Bundes erfasst, nicht mehr doppelt auch die Mittelabflüsse aus den Sondervermögen“, steht da im Finanzkapitel ziemlich weit hinten im Koalitionsvertrag. Ein kleiner Satz mit großer Wirkung und eine äußerst begrüßenswerte Regelung, da unter der gegenwärtig ausgesetzten Schuldenbremse diese Sondervermögen nun ordentlich bestückt werden dürfen. Das sind die 60 Milliarden Euro aus dem Nachtragshaushalt zum Beispiel. Der Abfluss dieser Gelder, der theoretisch auch nach 2023 erfolgen kann, also zu einem Zeitpunkt, an dem die Schuldenbremse formal wieder gilt, fiele dann nicht mehr unter ihre verfassungsrechtliche Definition. Sie würde also in keinem Fall gebrochen, auch wenn aus diesen Sondervermögen rund 100 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen zur Verfügung stünden.
Das öffentliche Bild
Also doch kein Rollback zum Jahresanfang? Es bleibt abzuwarten und Skepsis ist angezeigt, da die Ampelregierung nicht definiert hat, für was sie Gelder konkret zur Verfügung stellen will. Christian Lindner ist da als Finanzminister in einer strategisch guten Position, wenn es darum geht, irgendwann vor den eigenen Wählern das Gesicht zu wahren. Das neoliberale Gewäsch in der Bild am Sonntag zum Jahresauftakt ist Teil dieser Imagepflege. Lindner will als solider Haushälter im Sinne der eigenen Ideologie verstanden werden. Dass er kurz zuvor einen Nachtragshaushalt vorgelegt hat, durch den 60 Milliarden Euro in ein Sondervermögen umgeleitet werden, passt da nicht so recht ins Bild. Daher der Korrekturversuch mit der beliebten Nebelkerze Freibier für alle und natürlich ohne Steuererhöhungen.
Die braucht es allerdings auch gar nicht, die Debatte darum wohl schon, vor allem um die Schattenboxer aus der politischen Linken zu beschäftigen, die sich in Sachen Finanzpolitik bis heute kaum weitergebildet haben. Sie erklären lieber, die Ampel hätte ohne mehr Steuereinnahmen ein Finanzierungsproblem. Das hat sie aber nicht. Es ist eben grundfalsch zu behaupten, dass der Staat nur das umverteilen könne, was er zuvor erwirtschaftet oder eingenommen habe. Das ist neoliberale Ideologie, die Linke und Liberale auf seltsame Weise inzwischen teilen. Der Staat kann aber zu jedem Zeitpunkt seine Ausgaben erhöhen. Das hat die Krise gezeigt und das zeigen die Bemühungen der Ampel, auch in der Folge die Schuldenbremse zu umgehen, etwa durch neue Investitionsgesellschaften oder eigene Unternehmen wie Deutsche Bahn oder BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben).
Die Ironie dabei ist nur, dass Investitionen und Ausgaben künftig eben nicht mehr durch das Parlament nach öffentlicher Debatte beschlossen, sondern in diesen Gesellschaften vorgenommen werden. Das zeigt wiederum, wie bescheuert es von Anfang war, eine Schuldenbremse ins Grundgesetz zu schreiben. Sie ist aus ökonomischer und jetzt eben auch aus politischer Sicht eine große Torheit. Jedoch fehlen auf absehbare Zeit die Mehrheiten, um diesen Fehler auch formal wieder zu korrigieren. Da muss man pragmatische Lösungen finden. Die Ampel hat das getan, wohl aber einen Minister an entscheidender Stelle platziert, der als fiskalischer Bremser national wie auch auf europäischer Bühne auftreten wird. Das hat er übrigens von seinem Vorgänger gelernt. Als Olaf Scholz 2018 als Finanzminister antrat, sagte er in seiner ersten Regierungserklärung.
Ich habe überall in Europa gesagt: Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister, egal welches Parteibuch er hat. Ich glaube, die Botschaft ist gut angekommen.
Quelle: Bundesfinanzministerium
Manche Dinge ändern sich eben nie.
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JAN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.