Da die Meldeinzidenzen bei Neuinfektionen und Krankenhauseinweisungen im Augenblick sinken, werden nunmehr bevorzugt Omikron-Fälle gezählt. Hier lässt sich ein Wachstum darstellen und die Botschaft einer weiteren bedrohlichen Welle oder gar Wand vorab konstruieren. Ob das auch so eintritt, bleibt abzuwarten. Relevant wird sein, wie die Entscheidungsträger darauf reagieren. Denn immer deutlicher zeichnet sich ab, dass nicht mehr das Virus selber, sondern die veranlassten Gegenmaßnahmen zu einem Problem werden.
Der Expertenrat der Bundesregierung hat es in seiner Stellungnahme vom 19. Dezember angedeutet. „Sollte sich die Ausbreitung der Omikron-Variante in Deutschland so fortsetzen, wäre ein relevanter Teil der Bevölkerung zeitgleich erkrankt und/oder in Quarantäne. Dadurch wäre das Gesundheitssystem und die gesamte kritische Infrastruktur unseres Landes extrem belastet.“ Der Expertenrat bleibt an dieser Stelle bewusst vage, um zu verschleiern, dass es einen Unterschied zwischen der Erkrankung als solcher und der angeordneten Quarantäne gibt. Die Absonderung, auch von Geimpften oder Genesenen, die Kontakt mit einem Omikron-Infizierten hatten, müsste schließlich nicht sein.
Doch eine Empfehlung, diesen Automatismus der „NoCovid-Ideologie“ zu überdenken, gab der Expertenrat nicht ab. Er beschrieb vielmehr die Belastung der kritischen Infrastruktur, wenn einträte, was bisherige Praxis bei Neuinfizierten und deren Kontaktpersonen war. Das heißt, nicht das Virus, sondern die Gegenmaßnahmen wie Quarantäne und Isolation/Absonderung führen erst zu einem Problem, das sich als bedrohlich beschreiben lässt. Da sich die Ausbreitung von Omikron aber durch die klassischen Eindämmungsmaßnahmen nicht aufhalten lässt, hier ist insbesondere auch der nachlassende Impfschutz gemeint, ist es unsinnig, an diesen wirkungslosen Gegenmaßnahmen festzuhalten und sich dann darüber zu beklagen, dass das Land lahmliegen könnte.
Da es aber gleichzeitig eine dilettantisch organisierte Impfkampagne zu retten gilt, wird ein Vorschlag wohl aller Voraussicht nach lauten, dass Geboosterte wieder früher am gesellschaftlichen Leben teilnehmen dürfen, als Ungeboosterte oder Ungeimpfte. Das soll die Impfungen weiter vorantreiben, von denen man sich immer noch die Rettung verspricht. Deshalb rühmt man sich auch, mit 30 Millionen Impfungen mehr als andere geschafft zu haben. Grundlage für diese Albernheit wäre allerdings die Annahme, dass die Boosterimpfung einen höheren Schutz böte. Doch das ist nur eine gewiss nachlassende Momentaufnahme und in der Logik auch vollkommen abwegig. Denn Ziel muss ja weiterhin sein, die Pandemie zu überwinden. Das gelingt aber nicht mit einer Art Impfabo bis zum Sankt-Nimmerleinstag, sondern nur durch eine Infektion, die nicht mehr so schwerwiegend ist. Die Variante Omikron könnte da vermutlich ein Kandidat sein. Israelische Experten schöpfen jedenfalls Hoffnung.
In Deutschland herrscht dagegen weiterhin allerhöchste Alarmstufe im Angesicht einer skandalösen Unwissenheit. Der Chef des RKI hatte vor Weihnachten eine „maximale Kontaktbeschränkung“ als Empfehlung herausgegeben. Dass diese Maximal-Besorgnis vollkommen übertrieben ist, dämmert inzwischen auch den Pandemie-Hardlinern, die vor allem ans eigene politische Überleben denken. So wird es zu Veränderungen bei den Quarantäneregelungen kommen müssen, wenn klar ist, dass die neue Coronavariante sehr viel milder verläuft. Trotzdem bleibt ein Kernproblem bestehen. Das Prinzip Teile und herrsche. Die gesamte Impfkampagne basiert auf einem abstrusen Belohnungs- und Bestrafungssystem. Deshalb werden künftig Geboosterte wohl besser gestellt als andere, um den Anreiz zur Drittimpfung zu erhöhen. Doch das ist absurd, wenn die natürliche Infektion keine Bedrohung mehr für weite Teile der Bevölkerung darstellt. Sie ist dann sogar eine Chance, endlich den Grad an Herdenimmunität zu erreichen, von der man lange Zeit annahm, sie sei allein durch die Impfung erreichbar.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.