Es ist bezeichnend: Während der RKI-Chef Lothar Wieler in einem besorgten Ton erklärt, dass man nach wie vor nicht sicher einschätzen könne, ob Omikron weniger krank mache, liefern wieder andere Länder die Daten, die eine Antwort auf diese Unsicherheit erleichtern. Die deutsche Behörde steuert außer Mahnungen vor dem Schlimmsten und einer albernen wie abgesprochenen Kabbelei mit dem Gesundheitsminister zum Ausklang dieses elenden Jahres kaum etwas Relevantes zur wissenschaftlichen Diskussion bei.
Deutschland ist mehrheitlich ein Land der Schwarzseher. Seine Medien lieben Horrorszenarien. Die klicken schließlich gut. Gleichzeitig wird im Brustton der Überzeugung davon geschwafelt, wie wichtig es sei, der Wissenschaft mehr Gehör zu schenken. Doch was aus dieser Richtung zuletzt gekommen ist, sind nicht mehr als Schmalspurexpertisen, die sich allein an einem Worst-Case-Szenario festklammern, um ein Maximum an Angst zu erzeugen. Offenbar glaubt man, nur auf diese Weise die Menschen vom weiteren Mitmachen überzeugen zu können. Wissenschaft wäre das aber nicht, sondern lediglich eine Form der politischen Einflussnahme. Die Regierung wiederum muss ihre Durchhalteparolen mit einem wissenschaftlichen Anstrich versehen, um den letzten Rest an Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren.
Da sitzen sie nun, der Chef des RKI, wie auch der Gesundheitsminister und jammern im Chor über Dinge, die sie leider immer noch nicht so genau wissen. Antworten selbstständig zu suchen, wollen sie aber auch nicht, also keinen Auftrag erteilen, um beispielsweise festzustellen, wie gefährlich die neue Virusvariante nun tatsächlich ist. Man erfüllt ja kaum die Quote der verordneten Sequenzierung. Da verlässt man sich lieber auf andere, deren Studienergebnisse man aber dann gleichwohl mit äußerster Vorsicht betrachtet. Teile der Öffentlichkeit ticken ähnlich. In der Pandemie der Ahnungslosen bleibt die Schwarzmalerei das oberste Gebot. Zwei Beispiele.
Experten warnen vor übereilten Schlussfolgerungen
Eine Entwarnung ist das nicht
Vorsicht, nicht Zuversicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und das nervt gewaltig. Man kann die behauptete Vorsicht auch mit Willkür übersetzen. So hat das Land Niedersachsen beschlossen, eine Weihnachtsruhe zu verhängen, erst bis 2. Januar, inzwischen ist der 15. Januar als Enddatum festgelegt. Während dieser Zeit gelten die Regeln der Warnstufe 3, die laut Indikatoren aber nicht einmal im Entferntesten erreicht wird. Beschlossen ist die Ruhezeit trotzdem, auch mit Segen des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg. Nach dem Beschluss der Kammer kam übrigens erst der Weihnachtsruhenaufschlag durch die Landesregierung. Aber das ist ja alles Vorsicht und keine Willkür.
Trotzdem könnte nach den Feiertagen der seltsame Fall eintreten, dass eine Weihnachtsruhe nach Warnstufe 3 gilt, die Betrachtung der Leitindikatoren aber dazu führt, dass das Land die Warnstufe 2 aufheben und per Verordnung die Warnstufe 1 feststellen muss. Es gelten dann aber trotzdem weiterhin die Regelungen der Warnstufe 3. Alles klar? So sieht es aktuell im beschaulichen Norden aus.
Da hilft tatsächlich nur viel Ruhe, denn der Alkohol stößt hier vermutlich an die Grenzen seiner Möglichkeiten. In diesem Sinne, ein ruhiges Weihnachtsfest, weniger Schwarzseherei und der Wunsch, stattdessen etwas mehr Zuversicht zu wagen. Dann wird das kommende Jahr vielleicht nicht ganz so bescheuert wie dieses. Ein großer Dank gilt allen Lesern sowie Spendern, die dem Autor die ein oder andere zusätzliche Tasse Kaffee ermöglichten.
Bildnachweis: André Tautenhahn
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.