Die Impfpflicht ist nicht nur mit doppel-pf schwer hinzuschreiben, sie ist auch schwer zu begründen. Die erste Instanz, auf die man diese heikle Frage zunächst abzuwälzen versuchte, ist daran nun gescheitert. Der Deutsche Ethikrat kann keine einheitliche Position formulieren. So bleibt die Impfpflicht das, was sie von Anfang an war. Ein Spielball politischer Auseinandersetzung.
Die Kehrtwende bei der Impfpflicht ist ein schwerwiegender Wortbruch. Allerdings beteiligten sich auch alle maßgebenden politischen Kräfte daran, so dass in der Öffentlichkeit der Eindruck einer vertretbaren Kurskorrektur entstand, die auch in der Bevölkerung augenscheinlich auf große Zustimmung stößt. Das war sie aber nie, weil die Folgen stets außer Acht gelassen wurden. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist als erste auf den Weg gebracht worden. Erste Klagen und Eilanträge vor dem Bundesverfassungsgericht sind eingegangen. Außerdem werden Pflegeverbände unruhig. Sie befürchten weitere Personalengpässe und damit „katastrophale Auswirkungen“ auf die Altenpflege. Sie plädieren daher auch für eine allgemeine Impfpflicht. Dabei ließe die sich noch weniger gut begründen.
Dass sich die Bundesregierung um die Beantwortung der Frage drückt, war bereits beim Kurswechsel der Ampelparteien erkennbar. Die waren zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht im Amt, aber getrieben von Opposition und Öffentlichkeit zum Handeln gezwungen. Dabei ging es nie um die Impfpflicht als Teil der Pandemiebekämpfung, sondern um eine Störung der Koalitionsharmonie. Immerhin war es dem neuen Kanzler gelungen, drei Parteien mit widerstreitenden Interessen in einer seltsamen Form des politischen Gleichgewichts zu vereinen.
Selbst die hoch umstrittenen Themen in Finanz- und Klimapolitik boten keinerlei Spaltpotenzial. Die Koalitionäre standen fest zusammen. Bei der Impfpflicht zeigten sich nun aber Risse. Die Grünen preschten während der Koalitionsverhandlungen im November vor und verkündeten zunächst eine Einigung der Ampelpartner, die umgehend dementiert werden musste. Katrin Göring-Eckardt bezahlte diesen Fauxpas teuer. Sie wurde nichts in der neuen Regierung und erhielt als Trostpflaster erneut einen Vizeposten im Bundestagspräsidium. Ein anderer, der spätere Justizminister Marco Buschmann (FDP), befriedete die explosive Lage noch vor Vereidigung der neuen Regierung mit einem Vorschlag, der Zeit verschaffte und das harmonische Zeremoniell der Amtseinführung nicht überschattete.
Und zwar solle die allgemeine Impfpflicht auf Basis von Gruppenanträgen aus dem Parlament heraus debattiert und über diese später unter Aufhebung des Fraktionszwangs als reine Gewissensentscheidung abgestimmt werden. Buschmann wie auch Scholz stellten klar, dass die Regierung selbst keine Vorlage einbringen werde. Nun hätte man vermuten können, dass aufgrund der gebotenen Eile und der nachzulesenden Äußerungen zur Dringlichkeit einer Impfpflicht umgehend Anträge aus den Reihen der Abgeordneten formuliert würden. Es sind ja schließlich dank des Wahrechts auch mehr als genug da. Es geschah aber nichts. Lediglich eine Gruppe von FDP-Abgeordneten um Wolfgang Kubicki stellten einen Entwurf vor, der sich gegen eine allgemeine Impfpflicht wendet. Damit sind die Verfechter einer raschen Impfpflicht düpiert.
Konflikte schüren
Dieser Konflikt war auch Teil der Ministerpräsidentenkonferenz vom gestrigen Tage. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ätzte gegen die FDP und fordert nun, dass die Ampelregierung einen Vorschlag machen und eine eigene Mehrheit im Bundestag für die Impfpflicht zustande bringen müsse. Vorausgegangen war das Aufsetzen des Punktes allgemeine Impfpflicht in den Beschlussentwurf, was maßgeblich von den Ländern vorangetrieben wurde. Übriggeblieben ist nun die Formulierung: „Die Länder bitten den Bundestag und die Bundesregierung, die diesbezüglichen Vorbereitungen zügig voranzutreiben und kurzfristig einen Zeitplan vorzulegen.“ Das ist eine leere Forderung, da es weiterhin dabei bleibt, dass der Bundestag die Initiative ergreifen müsse.
Die Hoffnung der Opposition ist, dass sich die Ampelpartner über die Frage zerstreiten. Die Grünen treiben die Debatte nun weiter an und die verschmähte Katrin Göring-Eckardt springt da natürlich über das hingehaltene Stöckchen.
„Über eine Impfpflicht entscheidet man nicht leichtfertig, man sollte sie aber auch nicht einfach so mit oberflächlichen und vermeintlichen Freiheitsargumenten von vornherein ablehnen, wie es gerade von einigen Kollegen der FDP geplant ist.“
Quelle: RND
Ihr Kollege Janosch Dahmen fordert mehr Tempo und bezeichnet die Stellungnahme des Ethikrates als wichtigen Wegweiser. Aber genau das ist er nicht, da offenbar Dahmen wie auch Göring-Eckardt die Tragweite der Empfehlungen nicht begreifen. So schreibt der Ethikrat: „Eine Ausweitung der Impfpflicht muss flankiert werden von einer Reihe von Maßnahmen… Empfohlen werden eine direkte Einladung von Impfverpflichteten, ein datensicheres nationales Impfregister sowie kontinuierliche Evaluation und Begleitforschung.“ Wie soll das eigentlich technisch gehen? Wo sind die personellen Kapazitäten, um Millionen Impfverpflichtete einzuladen und wo ist die Zeit, die man braucht, um in den Datensätzen die Namen von den Leuten herauszufinden, die längst verstorben sind?
Dass es kein Impfregister gibt und damit unklar ist, wer überhaupt geimpft oder ungeimpft ist, wird nicht weiter diskutiert. Es scheint wie eine Lappalie, dabei ist das der entscheidende und mitunter schwierigste Punkt bei einer erfolgreichen Umsetzung der Impfpflicht. Jens Berger schreibt:
Eine denkbare Methode wäre es, jeden Bürger anzuschreiben, der ungeimpft ist, und aufzufordern, bis zu einem Stichtag einen Impfbescheid einzureichen. Doch der Staat weiß nicht, wer geimpft und wer ungeimpft ist. Also bleiben zwei Alternativen: Ungeimpfte werden über Kontrollen ermittelt. Das verstößt aber gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Ein derart massiver Eingriff in die Grundrechte darf sich in der Umsetzung nicht auf Willkür oder Zufall stützen. Bliebe die Alternative, alle Bürger anzuschreiben und ihren Impfstatus abzufragen. Wer soll das machen? Wie lange soll das dauern? Dies wäre eine bürokratische Sisyphusarbeit, die massenhaft Ressourcen und Personal bindet.
Quelle: NachDenkSeiten
Stattdessen verharren die Grünen im Gestern. Janosch Dahmen erklärt: „Wir können als Gesellschaft die Pandemie nur hinter uns lassen, wenn wir lernfähig und offen für Kurskorrekturen bleiben.“ Er begründet immer noch den Bruch von Wahlversprechen und merkt nicht, dass die Umsetzung der Impfpflicht in einer politischen Katastrophe enden wird. Das ahnen SPD und FDP, aber auch die Opposition, die die Schlichtheit der grünen Regierungsdilettanten genüsslich ausnutzt, um der Koalition als Ganzes eine Gallenkolik zu bescheren. Der Sache dient dieses absurde politische Spiel freilich nicht. Denn egal wie man zu einer Impfpflicht steht, sie kommt viel zu spät und ist mit Blick auf die derzeit verfügbaren Impfstoffe, die nur eine begrenzte bis gar keine Wirkung gegen die neue Omikron-Variante mehr haben, lediglich eine sinnlose Verschwendung von Ressourcen.
Bildnachweis: Screenshot aus der Übertragung, Bund-Länder-Treffen, phoenix, 21. Dezember 2021
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.