Eingeübte Praxis

Geschrieben von: am 21. Dez 2021 um 8:07

Man kann es nur wiederholen, es kommt nicht darauf an, Kontakte zu reduzieren, sondern die gefährlichen Kontakte zu vermeiden. Daher ist der Holzhammer auch das denkbar schlechteste Mittel. Darauf hat das OVG Lüneburg, das wegen seines 2G-Beschlusses in der vergangenen Woche derzeit massiv in der Kritik steht, auch hingewiesen. Gefährliche Kontakte sind die, die Infektionen auslösen. Und dafür, jetzt kommt’s, muss man nicht einmal mit jemandem Kontakt aufnehmen. Es reicht ein Fahrstuhl mit abgestandener Luft. Die werden aber nicht zugangsbeschränkt wie Geschäfte, in denen man, warum auch immer, gefährliche Infektionen vermutet. Wir haben in der gesamten Pandemie die Logik und simples Schulwissen über Bord geworfen und dafür den Holzhammer als Wissenschaft verklärt. Das setzt sich auch mit dem neuen Expertenrat fort.

Statt alternative Vorschläge zu unterbreiten, formuliert das Gremium einen Forderungskatalog, den die Politik offenbar nicht ablehnen kann, darf oder soll. Dieses Muster ist bekannt und unterscheidet sich kaum von dem Vorgehen aus dem vergangenen Jahr, als Leopoldina-Papiere mit seitenlangen Unterschriftenanhängen als wissenschaftlicher Beitrag im Bundestag präsentiert wurden. Der Autor Frank Lübberding schreibt auf Welt Online.

Ein solcher Expertenrat muss der Politik Handlungsalternativen anbieten, anstatt wieder in das bisherige Muster apodiktisch formulierter Empfehlungen zurückzufallen. Deren Unzulänglichkeit ließ sich bei den diversen Stellungnahmen der Leopoldina-Experten beobachten. Ansonsten würde die Politik tatsächlich zum Vollzugsbeamten von Expertenräten.

Der Expertenrat formuliert nun ein einziges Szenario, dessen Annahmen nicht näher erläutert werden. Welche Berechnungen den neuerlichen Kontaktbeschränkungen zugrunde liegen, nennt der Expertenrat nicht, auch auf Nachfrage nicht, wie die Stuttgarter Zeitung schreibt. Die Beratungen seien vertraulich heißt es dagegen. Das ist einigermaßen seltsam, da das Gremium selbst ein „stringentes Erklären“ für entscheidend hält und der Politik empfiehlt, Kontaktbeschränkungen gut zu planen und zu kommunizieren. Stattdessen wird aber weiter Angst und Panik verbreitet, wie gestern ein Landrat in den Tagesthemen, der auch im Expertenrat sitzt und viel faktenbasierte Modulationen gesehen hat, die allerdings der allgemeinen Öffentlichkeit noch verborgen bleiben.

Die Kritische Infrastruktur ist bedroht. Es ist bitterer Ernst, sagt der Landrat. Das stimmt. In den letzten Wochen gab es zum Beispiel neue Dienstanweisungen an Feuerwehren, die bei Einsätzen die 2G-Regel einzuhalten haben. Das heißt, Kameraden, die ihren Impfstatus aus welchem Grund auch immer nicht offenlegen wollen, dürfen nicht mehr mitlöschen, wenn es irgendwo brennt. Es gäbe also Personal für die kritische Infrastruktur, das aber von ihr ausgeschlossen bleibt, weil man sich mit einem Virus infizieren könnte, das mittlerweile auch wieder Geimpfte und Genesene krankmachend befällt. Der Landrat sorgt sich außerdem um die Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung in seinem Landkreis und wundert sich vielleicht morgen darüber, warum in seinem Supermarkt um die Ecke das Klopapier schon wieder aus ist. Unverantwortlich, aber symptomatisch.

Das dilettantische Hühnerhaufen-Gegacker im Vorfeld einer Ministerpräsidentenkonferenz ist eingeübte Praxis. Auf diese Weise sollen die eigentlichen Entscheider zu Beschlüssen genötigt werden. Wichtig ist, dass Medien dabei helfen, den Teufel an die Wand zu malen. Ob nun Tagesthemen oder Tagesspiegel („Deutschland ist in einen horriblen pandemischen Strudel geraten.“), niemand wird mehr seinem Auftrag gerecht, sachlich zu informieren. Das RKI steuert ebenfalls wie auf Knopfdruck einen Beitrag zur allgemeinen Beunruhigung bei und schätzt wegen der Omikron-Variante die Gefahr einer Ansteckung nun für zweifach Geimpfte und Genesene als „hoch“ ein. Es warnt vor einer schlagartigen Erhöhung der Fallzahlen und Überlastung des Gesundheitssystems. Warum also noch eine MPK, es ist bereits entschieden.

Dabei ist die Physik der Aerosole gar nicht so schwer zu verstehen. Übertragungen haben etwas mit Personen und Räumen in Abhängigkeit zur Zeit zu tun. Dr. Gerhard Scheuch erklärt diese Zusammenhänge übrigens immer sehr anschaulich, hat sogar zusammen mit Kollegen einen Lufthygiene-Check entwickelt, um ein Qualitätsmerkmal für Innenräume zu finden, damit man diese leicht als sicher oder unsicher einstufen kann. Das scheint nur niemanden der politisch Verantwortlichen zu interessieren. Sie schießen lieber weiter mit Kanonen auf Spatzen, weil das regelmäßig für Schlagzeilen sorgt. Immerhin: im Freien ist die Ansteckungswahrscheinlichkeit gering. Das hatte im Sommerhalbjahr auch die Politik als wissenschaftliche Erkenntnis akzeptiert und das Draußen als das neue Drinnen freudig proklamiert. Im Winterhalbjahr will sie davon auf Weihnachtsmärkten und ähnlichen Veranstaltungen aber nichts mehr wissen, verlangt sogar mitunter PCR-Tests für Aktivitäten im Freien. Ein seltsamer Rückfall.

Dass Spaziergänge mit anderen an der frischen Luft das Infektionsrisiko im Prinzip senken, ist eine logische Konsequenz aus der physikalischen Betrachtung der Eigenschaften von Aerosolen. Spaziergänge sind derzeit aber verpönt, schließlich könnten sich daraus ja Fackelzüge entwickeln und niemals begründete Proteste gegen politisch Verantwortliche, die versehentlich (sic!) mit falschen Zahlen hantierten, weil für sie die IT-Systeme der Verwaltung irgendwie immer noch Neuland sind. Mancherorts gibt es daher schon Allgemeinverfügungen, in denen spezielle Spaziergänge im Freien nun verboten sind. Wenn die Regierung also vorsätzlich oder fahrlässig irreführend kommuniziert, ändert sie nichts an dieser Kommunikation, äußert lediglich Bedauern und lässt einfach die nächste Anordnung mit seltsamen Vorgaben im Amtsblatt verkünden. Ob sich mit dieser Form der Ansprache die gewünschten Kontaktbeschränkungen nun final realisieren lassen, bleibt abzuwarten. Nur eins scheint sicher. Die Weihnachtszeit könnte diesmal für deutlich mehr Bewegung als sonst sorgen.


Bildnachweis: Screenshot, Dinner for One with Freddie Frinton and May Warden.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Jens Stieckenroth  Dezember 21, 2021

    Vielen Dank für diesen mal wieder sehr treffenden Artikel!
    Es tröstet ein wenig, wenn die Dinge so klar und mit Witz auf den Punkt gebracht werden. Trotzdem bleibt das alles unfassbar traurig. Statt zu einer verbundenen Gesellschaft zu werden, die sich gemeinsam den Herausforderungen stellt, hat sich Deutschland in einen aufgeschreckten und verängstigten Hühnerhaufen verwandelt. Da haben die Füchse leichtes Spiel…