Immer wieder freitags überschlagen sich die Ereignisse. So als wollte die Woche zum Ausklang sagen, dass nehme ich doch nicht mehr mit in die nächste. Eine neue Virusvariante bereitet Sorgen und die halbe Bananenrepublik Deutschland dreht schon wieder durch. Wir haben zwar keine brauchbaren Daten, dafür aber Karl Lauterbach, der alles sofort fachlich einzuschätzen weiß. Die Ulknudel aus Leverkusen ist allerdings gar nicht der Gipfel. Die Krönung ist: Es ist schon wieder kein Impfstoff da.
Soeben versandte die niedersächsische Sozialministerin Daniela Behrens eine Pressemitteilung. Darin steht Unglaubliches.
Seit heute Vormittag erreicht uns aus allen Landesteilen sowohl von den Impfteams der Kommunen als auch aus den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte die Nachricht, dass die bestellten und vom Bundesgesundheitsministerium zugesagten Impfstoffmengen für die kommende Woche nicht in vollem Umfang lieferbar seien. Die Beschränkung der Liefermengen geht dabei nach den Schilderungen der Praxen und der Gesundheitsämter weit über die in der vergangenen Woche vom BMG angekündigte Kontingentierung hinaus und betrifft offenbar auch den Impfstoff von Moderna. Das ist ein schwerer Schlag für die Impfkampagne, die in Niedersachsen gerade massiv an Fahrt aufgenommen hat. Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister hat noch in dieser Woche im Kreise der Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder wiederholt zugesichert, dass ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehe und nun erleben wir diese unhaltbaren Zustände.
Und dann verlangt die Ministerin noch allerhand, damit ihr eigenes Versagen mit den Impfteams nicht so auffällt. Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister, der das Chaos nach Meinung der Niedersächsin zu verantworten hat, ruft derweil nach einem weiteren Bund-Länder-Treffen in den kommenden Tagen. Er kritisiert die Ampelregierung, obwohl die noch gar nicht im Amt ist, für ihr zögerliches Verhalten und sagt über die Impfkampagne, dass es in der aktuellen Situation sinnvoll sei, nicht so strikt den Empfehlungen der STIKO zu folgen. Mit anderen Worten, er möchte gern, an der fachlichen Einschätzung der unabhängigen Experten vorbei, mehr impfen, nur womit? Derzeit schnappen Leute, die sich immer für besonders solidarisch halten, unter 60 sind und gern abwertend mit dem Finger auf Ungeimpfte zeigen, die dritte Dosis den Menschen weg, die sie tatsächlich bräuchten.
Die geschlossene Gesellschaft
Der Staat koordiniert hier überhaupt nicht mehr, sondern hat so etwas wie Freibier für alle ausgerufen. Die Folge: Lange Schlangen an provisorischen Impfzentren, weil es die großen ja nicht mehr gibt. Es ist ein einziges Desaster. Warum? Weil unglaublich viel Ressourcen mittlerweile bei sinnlosen Kontrollen verschwendet werden, die sich aus der Ankündigung ergeben, die bescheuerten Regeln tatsächlich auch überprüfen zu wollen. Deshalb klappern Polizeikräfte mittlerweile Friseursalons ab, um dort festzustellen, dass die Kontaktdaten von Kunden nicht richtig erfasst werden. Zu welchem Zweck eigentlich, wenn die Gesundheitsämter die Nachverfolgung längst aufgegeben oder, wie in Niedersachsen, per Verordnung gleich ganz in die Hände der Betroffenen gelegt haben (Infizierte müssen Kontaktlisten selber anlegen).
Ordnungsbehörden werden nun auch damit beauftragt, auf Weihnachtsmärkten nach dem Rechten zu schauen, um zu überprüfen, ob Geimpfte auch tatsächlich keinen Glühwein an Ungeimpfte weiterreichen. Übrigens: Auf viele Weihnachtsmärkte dürfen Ungeimpfte aus Infektionsschutzgründen nicht gehen, aber in die langen Schlangen der mobilen Impfteams stundenlang einreihen, das geht schon. Impfpässe, das nächste Thema. Immer mehr gefälschte Dokumente seien im Umlauf. Daher müssen schnell Gesetze geändert und drakonische Strafen angedroht werden. Übrigens auch dann, wenn man ohne Test im Bus zum Testzentrum fahren will. Das staatliche Misstrauen ist das Ergebnis einer gescheiterten Politik.
Vielleicht drehen die Leute auch deshalb komplett durch, weil sie nicht wahrhaben wollen, dass sie mit falschen Marketing-Versprechen an der Nase herumgeführt worden sind. Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, sondern eine Pandemie der falschen Versprechen, der fehlenden Daten und einer Regierung, die ihr Versagen nicht mehr vertuschen kann und sich daher gegenseitig den schwarzen Peter zuschiebt. So verlangen einzelne Länder nach härteren Maßnahmen. Also pünktlich einen Tag nach dem Auslaufen der epidemischen Lage, weil sie den Eindruck erwecken wollen, dass dieser Beschluss der Ampelparteien ein politischer Fehler war. Dabei hätte den Ländern bis zum Stichtag das komplette Instrumentarium bis hin zum Knallhartlockdown zur Verfügung gestanden, sogar mit Nachwirkung bis zum 15. Dezember. Es geht also nicht um Pandemiebekämpfung, sondern nur um Schuldverschiebung.
Noch immer hängt das Land an dem irren NoCovid-Gedanken. Der erscheint nun aber im neuen Gewand. Man glaubt, das Virus irgendwie wegimpfen zu können und baut dafür eine Art geschlossene Gesellschaft auf mit einem sozialen Pass als Eintrittskarte, in dem der Einzelne auf seinen Nutzen für die Gemeinschaft reduziert wird. Die Anzahl der Pikse entscheidet dann darüber, ob man dazugehören darf oder nicht. Ein simples wie gefährliches Ausgrenzungsregime. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn man sich solidarisch dabei fühlt, einem anderen den Impftermin vor der Nase weggeschnappt zu haben. Und der Rechtsstaat. Er schweigt. Noch. Am Dienstag will das Bundesverfassungsgericht dann endlich etwas liefern zur Bundesnotbremse. Nun muss man hoffen, dass der Senat auch darüber hinaus ein paar Leitplanken verbauen wird, die das administrative Chaos ordnen helfen. Dieser politische Kindergarten ist ja seit 20 Monaten nicht in der Lage dazu.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.