Jeder gegen jeden

Geschrieben von: am 18. Nov 2021 um 11:45

Nun tobt ein Kampf auf offene Bühne. Jeder gegen jeden und alle gegen Ungeimpfte, so lautet im Moment noch das Motto. Gut möglich, dass sich doppelt Geimpfte bald einreihen müssen, wenn sie ihren Termin zur Drittimpfung absichtlich versäumen. Mit drohender Ausgrenzung lässt sich prima disziplinarischer Druck aufbauen. Der RKI-Chef greift derweil bei einem Showtermin rechtzeitig zu den Bund-Länder-Gesprächen den Unions-Ministerpräsidenten unter die Arme. Er sagt, Schuld an der Katastrophe sei vor allem die Politik und meint wohl insbesondere die künftige Ampelkoalition. Dabei hat Wielers Behörde einen unfassbaren Datensalat zu verantworten.

Man weiß gar nicht, wer geimpft ist und wer nicht, man weiß auch nicht so genau, welchen Impfstatus Intensivpatienten haben und man weiß auch nicht, wo die Klinikbetten sind, deren Aufbau mit viel öffentlichem Geld gefördert worden war. Der Verbleib des Geldes, ist ebenso ungewiss. Und man weiß darüber hinaus sonst nichts, weil es keine eigene belastbare Studienlage gibt. Wieler sollte daher nicht gefeiert, sondern eigentlich gefeuert werden. Aber diejenigen, die seit fast zwei Jahren ohne brauchbare Daten nur im Panikmodus die Apokalypse beschwören, werden in diesem Land als Heilige verehrt. Nun ist man aber an einem Punkt angekommen, an dem sich die Widersprüchlichkeit nur noch durch hysterisches Geschrei, quasi durch eine allgemeine Schimpfpflicht, übertünchen lässt.

Man kann also eine Krankheit, die man nicht hat, auf jemanden übertragen, der dagegen geimpft ist. Umgekehrt können aber auch die Geschützten die Ungeschützten infizieren mit einer Krankheit, vor der die Geschützten eigentlich geschützt sind. Und nur die Ungeschützten belasten das Gesundheitssystem, weil das alles sonst ja keinen Sinn ergibt. Dabei ist die Sachlage relativ eindeutig. Es trifft wie gehabt Ältere und Vorerkrankte schwer, darunter Ungeimpfte, Geimpfte wie auch Geboosterte. Wichtig wäre daher, vor allem diese Bevölkerungsgruppe besser zu schützen. Die dort herrschende Impflücke ist ein Problem, nicht aber die Impflücke bei Jugendlichen. Der Booster für alle ist irgendwie schwachsinnig, wenn Oma deshalb erst einen Termin im Januar bekommt, nur weil Twitter-Timo schneller war.

Es hat auch nur bedingt etwas mit Logik zu tun, 2G für alle Geimpften zu machen und zu behaupten, das sei sicher und helfe dabei, das Infektionsgeschehen zu kontrollieren. Seit dem Beginn des Karnevals in der vergangenen Woche ist dieser Konflikt innerhalb der 2G-Gesellschaft deutlich ausgebrochen. Daher werden Modelle wie 2G+ und Kapazitätsgrenzen bereits diskutiert, die mit Sicherheit diejenigen ablehnen werden, die mit der Impfung eine vollständige Rückgabe ihrer Rechte verbanden. Da hilft ein noch schärferer Ton gegenüber Ungeimpften herzlich wenig. Der Widerspruch bleibt. Wer jetzt plötzlich wieder Infektionen vermeiden will, kommt daher um einen Lockdown nicht herum. Erst für die Ungeimpften und dann für alle. Der Weg dahin ist wichtig, weil es nicht darum geht, das Virus zu kontrollieren, sondern den zunehmenden Frust derer, die man mit einem unfassbaren Kommunikationsdesaster hinter die Fichte geführt hat.

Insofern geht es nur um eine politische Dimension und da punktet im Augenblick die Union. Sie weiß offensichtlich, wie man die politische Virologie zum eigenen Vorteil einsetzt. CDU und CSU haben die Wahl verloren und ärgern nun mit Hilfe der Medien und eines heillos überforderten RKI-Chefs die Ampelpartner, die das mit ihrem Zukunftsbündnis noch nicht so recht auf die Reihe kriegen. Man hat sich wie bei der Impfung eben irgendwie mehr davon versprochen. Die Union betreibt dagegen Opposition, also etwas, das die anderen, die ja jetzt nett zusammen regieren wollen als Muttis Schoßhündchen stets vergessen hatten. Die fordern nun wiederum eine staatstragende Rolle von der Union ein, so wie sie es vorher auch immer taten. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn die Union ihre Restmacht über den Bundesrat demonstriert. Einen Vermittlungsausschuss gibt es ja noch nicht und die Zeit drängt, die Ausstoßung apokalyptischer Warnungen nicht weiter administrativ zu begleiten, sondern mit allerlei nutzloser Symbolik zu behandeln.

Und in der Tat hat der öffentliche Druck dazu geführt, dass sich nur der Name der epidemischen Lage ändert, ansonsten bleibt alles so, wie es ist, ergänzt um weiteren Unfug wie einer kaum zu kontrollierenden 3G-Regel im ÖPNV. Natürlich wird es einen weiteren Lockdown und zwar für alle geben (siehe bereits hier und hier), vermutlich auch Schulschließungen. Beginnen wird es aber bei Bars und Clubs, die ja bereits als neue Infektionstreiber identifiziert worden sind. Klar ist, die Pandemiebekämpfung würde deutlich besser mit brauchbaren Daten funktionieren. Die liegen aber immer noch nicht vor und so muss man weiterhin an Erzählungen glauben. Und die haben wiederum den Vorteil, dass man sie leicht an die politischen Notwendigkeiten des Tages anpassen kann. Irgendwann bricht die Welle und die Erzählung wird lauten, dass es genau am letzten harten und beherzten Eingreifen gelegen haben muss. Und dann sind auch schon wieder irgendwo Wahlen.


Bildnachweis: Ryan McGuire auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Rauschi  November 23, 2021

    Mir macht die aktuelle Entwicklung wirklich Angst, wohin führt es, wenn jeder vor jedem Angst haben soll, weil das Gegenüber eine potentielle Gesundheitsgefahr darstellen könnte?
    Wenn Gesunde wie Kriminelle behandelt werden sollen, nur weil ein „Impfstatus“ nicht korrekt ist?
    Wenn es auf einmal nur noch drei Sorten von Menschen gibt, die Geimpften, die Genesenen und die Ungeimpften?
    Seit wann ist die Welt so infantil, das ohne Widerrede hin zu nehmen?

  2. Arnold  November 26, 2021

    Das Schlimme ist, dass sich dieses Chaos in allen Medien breit macht. Schaut man auf eine Seite von Impfskeptikern (z.B. Multipolar) dann findet man jede Menge berechtigter Kritik an der Praxis der Behörden. Schaue ich jedoch näher hin stelle ich entsetzt fest, dass viele Quellen nicht sauber recherchiert sind und manche Behauptung recht Hemdsärmlig daher kommt. Kurz gesagt, es gibt nichts mehr worauf man sich verlassen kann.
    Und wenn mir jemand erzählt er wisse genau was abgeht, dann kann ich mir sicher sein, dass derjenige die unzuverlässigste Quelle ist.

    • Rauschi  November 26, 2021

      @Arnold
      Mir reichen die offiziellen Studien aus Schweden, die belegen, wie stark und schnell die „Impfungen“ an Wirkung verlieren.
      Israel spielt schon mit einer vierten Dosis, was muss ich da noch wissen, um zu entscheiden, dieses Abo lieber nicht zu beginnen?
      Was genau war denn an den Quellen falsch?
      Ich lese unter anderem hier, das sind immer alle Quellen angegeben:
      http://www.tkp.at