Es ist Montag, der 1. November 2021 und noch niemand hat sich darüber Gedanken gemacht, ob am 31. Dezember der Jahreswechsel mit Böllern gefeiert werden darf. Die Zeit für eine Entscheidung drängt. Denn wegen des bundesweiten Verkaufsverbotes im vergangenen Jahr dürften die meisten Sprengstoffarsenale leergefegt sein, mit Ausnahme derer, die ab und zu Munition aus Bundeswehr- und Polizeibeständen abzweigen. Aber die zählen ja nicht. Warum ich aufs Böllern komme, na ja, weil die Politik zu Beginn der Woche wieder eine Gagrakete nach der anderen zündet.
So will der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister die gerade erst geschlossenen Impfzentren wieder aufsperren lassen, damit dort ganz schnell zum zweiten Mal geboostert werden kann. Ja, zum zweiten Mal. Denn die zweite Dosis nach der Erstimpfung gilt in Fachkreisen bereits als Booster, weshalb die Drittimpfung, um die es jetzt geht, inzwischen auch eher als Auffrischung tituliert wird. Auffrischung ist wiederum mit Blick auf den geschäftstüchtigen Gesundheitsminister die richtige Vokabel. Denn der veranstaltet den Zinnober, der die Länder irritiert, nur, weil er beim Kampf um den CDU-Vorsitz im Gespräch bleiben will.
Schließlich will ihn Überflieger Friedrich Merz in sein Team, eine liberal-konservative Allianz, wegloben. Ein Angriff von der Seite sozusagen oder vielleicht der Auftakt zu einem Bündnis gegen den transatlantischen Streber Norbert Röttgen, dessen Kandidatur um den CDU-Vorsitz als sicher gilt? Der Erbfolgekrieg in der Union ist so unspannend und durchschaubar wie nie und hält bestimmt noch einige Rohrkrepierer auf dem Rücken der Pandemie parat. Richtig knallen tut es dagegen in der Linkspartei, die sich heute von Sahra Wagenknecht distanzierte. Die hatte bei Anne Will mal wieder eine eigene Position vertreten, was der woken und divers denkenden Linken, die auf Twitter alles wegblockt, nicht in den Kram passt. Anne Will soll gefälligst andere einladen, die auch die Meinung der Linken vertreten, heißt es aus dem parteiinternen Arbeitskreis „Frivoler Unsinn, Charakterlosigkeit und Kakophonie“, kurz FUCK.
Dabei hatte Wagenknecht eigentlich nur darauf hingewiesen, dass das Gesundheitssystem immer schneller überlastet, weil es seit Jahren auf Profit getrimmt und kaputtgespart wird. Schließlich gebe es im Augenblick weniger Krankenhäuser, Betten und Pflegekräfte als vor der Coronakrise. Mit anderen Worten: Während man im letzten Jahr heuchelnd in die Händchen patschte, um Pflegekräfte danach mit einem lächerlichen Bonus abzuspeisen, implodierte das wackelige Konstrukt eines fragilen Systems. Und nun schicken sich einige Pflegenotstandsleugner auch noch an, mit einer Impfpflicht den finalen Sprengsatz in den Trümmern zu platzieren. Vielleicht war es auch nicht so gemeint. Schließlich geht es nur um Knalleffekte. Wie gut, wenn man zu Beginn der Arbeitswoche dann auch mal abschalten kann. Am Dienstag geht es dann aber richtig los. Versprochen.
Bildnachweis: Screenshot Spiegel Online, 01.11.2021
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.