Heute kommen SPD, Grüne und FDP zu einer „vertiefenden“ Sondierungsrunde vertraulich zusammen. Die könnte aber wegen der von der FDP nicht vertraulich, sondern ganz öffentlich vorgetragenen finanzpolitischen Vorstellungswelt über kurz oder lang in einem Ampel-Begräbnis münden.
„Schulden schaffen keine Zukunft“, sagt der Generalsekretär der Liberalen, Volker Wissing in einer Sonntagszeitung kurz vor dem Treffen. Ein Ampelbündnis hätte mit dieser These keine Zukunft mehr und Norbert Walter-Borjans mit seiner Feststellung recht, dass die Liberalen so etwas wie Voodoo betreiben. Es würde auch einen Rückschritt bedeuten, wenn sich durchsetzte, was die FDP hier als rote Linien öffentlich markiert. Die Große Koalition wäre in diesem Punkt sogar fortschrittlicher, da es in der Union dem Anschein nach immer mehr Stimmen gibt, die Dogmatik der Schuldenbremse zu überdenken.
Dass Schulden keine Zukunft schaffen, können nur Scharlatane behaupten. Der Ökonom Heiner Flassbeck schrieb kürzlich:
Wer die Schulden des Staates diskutiert, ohne zu sagen, wer die Schulden unter welchen Umständen stattdessen machen soll, wenn der Staat sie nicht macht, ist grundsätzlich ein Scharlatan. Dass die sogenannte Wirtschaftswissenschaft es zulässt, dass solche Scharlatane den Menschen suggerieren, es könne wirtschaftliche Entwicklung ohne Schulden geben, ist mit Abstand ihr größtes Versagen.
Quelle: Relevante Ökonomik
Die Schuldenbremse im Grundgesetz erlaubt eine Kreditaufnahme von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Außerdem gibt es Ausnahmen von der Regel in Krisenlagen. Die gelten auch weiterhin. So hat die alte Bundesregierung in ihrem Haushaltsentwurf für das kommende Jahr die Schuldenbremse bereits das dritte Mal infolge ausgesetzt. Das ist auch notwendig, damit der Bund knapp 100 Milliarden Euro zusätzlich aufnehmen kann. Das sind noch einmal rund 19 Milliarden Euro mehr als im Frühjahr gedacht. Der Grund sind die Corona-Folgen. Erst 2023 plant Finanzminister Olaf Scholz wieder mit einer Rückkehr zur Schuldenbremse. Wie, das weiß heute noch niemand.
Den neuen Haushalt muss die neue Regierung allerdings noch verabschieden. Mit anderen Worten: Die FDP müsste dann also gegen ihre Überzeugungen stimmen oder so tun, als hätten diese mit der Ausnahmeregel im Grundgesetz nichts zu tun oder aber einen komplett neuen Haushalt aufstellen, der ohne neue Schulden auskommt und dem entspricht, was sich Volker Wissing so vorstellt. Auf jeden Fall müsste es dann aber auch einen Vorschlag geben, mit welcher Magie der künftige Finanzminister Christian Lindner die Schuldenregel ab 2023 wieder einhalten will. Spätestens dann dürfte die liberale Logik an Grenzen stoßen.
Denn Fakt ist: Damit der Staat solvent bleibt, braucht es einen größeren Berg an neuen Schulden. Da die Union diesen Plänen bereits im Kabinett Merkel zugestimmt hat, stünde sie mutmaßlich auch für die Verabschiedung eines Haushalts bereit. Und in der Tat sind die Stimmen in der Union, was die Finanzpolitik anbelangt nicht mehr so fundamental-dogmatisch wie bei der FDP. So ist der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans für eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. Allerdings bleibt er dabei auch nebulös. Bereits im Frühjahr gab es allerdings ähnliche Äußerungen, unter anderem von Kanzleramtsminister Helge Braun.
Weil sie da ist…
Die Schuldenbremse hat eine große Schwäche und die besteht darin, dass sie da ist. Das geben ja mittlerweile auch die Befürworter zu, wie der Ökonom Clemens Fuest, der in der FAS mit Blick auf die Finanzpolitik einer Ampel-Regierung von einer Quadratur des Kreises spricht. Sein Vorschlag lautet nun:
Eine Alternative zum Ausweichen auf Nebenhaushalte würde darin bestehen, im Jahr 2022, für das die Schuldenbremse krisenbedingt noch einmal ausgesetzt bleiben soll, eine Rücklage zu schaffen, mit der diese Aufgaben finanziert werden. Auch dabei handelt es sich ehrlicherweise um eine Art Nebenhaushalt. Immerhin wäre das eine einmalige Operation, die sich nicht ohne Weiteres wiederholen lässt. Die Defizitgrenzen der Schuldenbremse würden von 2023 an wieder eingehalten.
Man legt also mit Hilfe der Ausnahmeregel jetzt und im nächsten Jahr ein paar oder ganz viele Milliarden Euro zusätzlich zurück, um diese dann ab dem Jahr 2023 aufbrauchen und die Schuldenbremse wieder einhalten zu können. Da kann man mal sehen, zu welch abenteuerlichen Blüten das Dilemma mit der Schuldenbremse führt, die nun einmal da im Grundgesetz steht und folglich auch eingehalten werden muss. Wer hat denn bloß diese Regel dort hineingeschrieben, die jetzt sogar Ordoliberale wie Fuest dazu veranlasst, auf Umgehungstricks zurückzugreifen? Welchen Mechanismus man auch immer wählt, um eine Erkenntnis kommt keine künftige Regierung herum. Sie muss mehr Schulden machen. Es lohnt nicht, darüber wochenlang zu sondieren.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.