Gestern hat die Landesregierung eine neue Version der Coronaverordnung vom 24. August veröffentlicht, die schon einmal am 21. September geändert worden war und eine vergleichsweise lange Gültigkeit bis zum 10. November hat. Neu ist eine Regelung für Herbst- und Weihnachtsmärkte, die man angesichts der gestrigen Entwicklungen auf Bundesebene nur noch als hochgradig lächerlich bezeichnen muss. Denn die Datengrundlage für die Fortsetzung der epidemischen Lage war leider falsch, auch in Niedersachsen.
Dies räumte Gesundheitsminister Jens Spahn überraschend ein, als er die Korrektur der Impfquote in einem vorbereiteten Statement verkündete. Das war bemerkenswert, da sein Versuch, einen einstudierten Text in die Kamera zu sprechen, nicht auf Anhieb gelang und er deshalb mehrfach neu ansetzen musste. Dabei lief die Übertragung auf dem Sender Welt bereits, und der Zuschauer konnte die Dramaturgie einer Inszenierung miterleben, die ganz offensichtlich einem anderen Zweck diente, nämlich allein der Person Jens Spahn, die in der CDU noch etwas werden will.
Wenig später kündigte Parteichef Armin Laschet ja so etwas wie einen Rücktritt auf Raten an und da musste Spahn noch schnell mit einer positiven Nachricht in die Schlagzeilen kommen. Dass nun aber die Impfzahlen deutlich höher liegen als bislang gedacht, ist schon länger bekannt. Die NachDenkSeiten haben darüber bereits hier und hier berichtet. In den Medien wurde die Nachricht aber erst gestern nach dem Auftritt von Spahn zu einer großen Neuigkeit aufgeblasen, auch weil der Minister mit dem unglücklichen Händchen versprach, dass es nun keine Verschärfung von Maßnahmen mehr geben müsse.
Hier wird also die folgenreiche Pandemiepolitik nach Gutdünken zur Eigen-PR im Kampf um die Laschet-Nachfolge umfunktioniert und viele Medien fallen darauf herein. Dabei ist diese Datenkorrektur des RKI erneut ein skandalöser Vorgang und die Frage berechtigt, warum es jetzt überhaupt noch Maßnahmen geben muss, die ja ganz offensichtlich auf kaum belastbaren Annahmen beruhen. Selbst die niedersächsische Landesregierung weiß nicht genau, wie viele Menschen in ihrem Zuständigkeitsbereich bereits geimpft sind, wie in dieser Woche auf Nachfrage herauskam. Dennoch nimmt man diese Unsicherheit weiterhin zum Anlass, weitreichende und detailverliebte Schutzmaßnahmen zu erlassen oder diese von Dritten zu verlangen.
Die Willkür der Landesherren und Damen
So wird den Betreibern von Herbst- und Weihnachtsmärkten jetzt vorgeschrieben, Hygienekonzepte zu erstellen, die erklären, wie der Verzehr von Speisen und Getränken sowie Fahrgeschäfte unter der Vorgabe der 3G-Regelung sicher umgesetzt werden können. Dabei gilt:
Wer auf einem Weihnachtsmarkt Speisen oder Getränke (auch Glühwein ist möglich) zu sich nehmen oder ein Fahrgeschäft nutzen möchte, muss zuvor die vollständige Impfung, die Genesung oder eine aktuelle negative Testung nachweisen. Dies gilt nicht für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren oder für Menschen, die sich aufgrund medizinischer Kontraindikation oder der Teilnahme an einer klinischen Studie nicht impfen lassen dürfen. Wer auf einem Weihnachtsmarkt nur bummeln und/oder etwas einkaufen möchte, benötigt – ebenso wie im Einzelhandel – keinen Nachweis.
Quelle: Niedersächsische Staatskanzlei
Eingeleitet werden diese beinahe unerfüllbaren Vorgaben mit einer floskelhaften Beschreibung der Jahreszeit, ergänzt um die gönnerhafte Haltung der Landesherren und Damen, die Herbst- und Weihnachtsmärkte wieder erlauben zu wollen, aber nur unter bestimmten Bedingungen.
Die Blätter fallen, es wird langsam kühler und regnerischer – der Herbst ist da und auch Weihnachten lässt nicht mehr lange auf sich warten. Zu dieser jetzt anbrechenden dunkleren Jahreszeit gehört für viele auch der Besuch von Herbst- und Weihnachtsmärkten. Diese Märkte sollen trotz der noch andauernden Pandemie mit bestimmten Maßgaben ermöglicht werden.
Diese verlangte Bestimmtheit ist bemerkenswert, angesichts der erschreckenden Unwissenheit, auf der diese Forderungen an Dritte beruhen. Dieses sonderbare Regelwerk gehört daher in den Papierkorb. Die willkürliche Einschränkung von Grundrechten wie der allgemeinen Handlungsfreiheit und dabei insbesondere die Gängelei von Ungeimpften muss jetzt aufhören. Die Ziele sind erreicht, doch nun rächt sich, dass es neben vagen Andeutungen kein konkretes Ausstiegsszenario gibt. Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens wechselt daher einfach mal den Parameter, spielt die Impfquote plötzlich herunter (dabei hieß es doch, jede Impfung zählt, deshalb rollen die Impfbusse weiter) und nimmt nun die Belegung in den Krankenhäusern zum „unbestechlichen“ Maßstab.
Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) sprach von einer guten Nachricht. „Noch besser wäre es allerdings, wenn alle Impfungen auch ordnungsgemäß an das RKI gemeldet würden“, sagte Behrens der HAZ. Auf die Maßnahmen des Landes im Kampf gegen die Pandemie habe die Impfquote aber nur mittelbare Auswirkungen: „Wir bewerten die Infektionslage anhand unserer Indikatoren, die vor allem auf die Belastung unserer Krankenhäuser abstellen“, betonte die Ministerin. Diese Zahlen seien unbestechlich.
Quelle: HAZ
Auch das ist ein Skandal und nicht mehr hinnehmbar. In der Landespressekonferenz ist der Leiter des Krisenstabes Heiger Scholz in dieser Woche darauf angesprochen worden, wie denn die Landesregierung die Tatsache bewerte, dass vermehrt Kinder in den Kliniken behandelt werden müssen, allerdings nicht wegen Corona, sondern wegen anderer Atemwegsinfektionen wie dem RS-Virus. Seine Antwort: Das sei für diese Jahreszeit normal und daher nicht weiter auffällig. Diese Landesregierung, dieser Krisenstab und diese Pandemiepolitik sind ein Witz. Am Ende werden sie von einem noch inkompetenteren Bundesgesundheitsminister vorgeführt, der sein Amt lediglich für billige Parteipolitik und persönliches Fortkommen missbraucht. Das war am Anfang so, als Merkel ihren parteiinternen Kritiker zum Gesundheitsminister machte. Das war während der Pandemie so, als Spahn, der auch mal Staatssekretär im Finanzministerium war, beim Umgang mit Steuergeldern jedes Maß verlor, und das ist nun am Ende der Großen Koalition immer noch so, wenn es um die weitere Karriereplanung des CDU-Politikers geht. Der angerichtete Schaden ist groß, die Pointe bleibt aus.
Bildnachweis: TV-Sender Welt via YouTube, 07.10.2021
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.