Derzeit liest und hört man häufig, die Ampel sei sehr wahrscheinlich das nächste Regierungsbündnis. Jedoch täuschen das Wahlergebnis wie auch die derzeitigen Umfrageergebnisse über die tatsächliche Machtperspektive hinweg. Denn sonderlich logisch wäre die Ampel aus Sicht der kleineren Partner nicht.
Denn unter einem vergleichsweise starken Kanzler Scholz (geschlossene Partei, breitbeiniges Auftreten und so) können Habeck und Lindner, die sich medial gerade in Stellung bringen, kaum glänzen, unter einem schwachen Kanzler Laschet hingegen schon, das aber nur, solange der auch der Kandidat der Union bleibt. Ein anderer starker Mann, Söder zum Beispiel, würde die beiden kleineren Parteien wieder dominieren. Deren Verhandlungsbereitschaft ergibt sich also in erster Linie aus der Führungsschwäche der Union.
Aus Sicht von Markus Söder und der CSU wäre ein Jamaika-Bündnis zum jetzigen Zeitpunkt keine gute Option, da er das Amt des Kanzlers dann schon selbst übernehmen müsste, um es auch in vier Jahren noch beanspruchen zu können. Käme hingegen Laschet oder ein anderer für die Union ins Amt, könnte der wiederum seine Machtstellung ausbauen, festigen und in vier Jahren mit Amtsbonus zur Wiederwahl antreten wollen.
Für Söder wäre daher die Große Koalition unter Scholz das ideale Modell. Er könnte dadurch seine Kanzlerambitionen sogar in so einer Art mitregierender Opposition von München aus wahren und entweder bei der nächsten Bundestagswahl oder aber schon früher, per konstruktivem Misstrauensvotum, die Kanzlerschaft anstreben, weil die Option mit Grünen und der FDP weiterhin bestehen bliebe. Das gilt auch für seine Konkurrenten in der CDU, wie Spahn, Merz, Röttgen und Co.
Die Neuauflage der GroKo wäre auch im Sinne der Wähler, die zwar aktuell dieses Bündnis nicht wollen, andererseits aber Scholz als Kanzler. Es wäre somit keine Überraschung, wenn die Strategie der CSU und anderer aus der Union darin bestünde, die Verhandlungen mit FDP und Grünen möglichst lange offen zu halten, um sie am Ende zusammen mit Laschet scheitern zu lassen. Ähnlich wie 2017 könnte dann wieder die GroKo als bereits ausgeschlossenes Bündnis ins Spiel gebracht werden, bei dem man die entsprechenden Posten für eine Profilierung behielte und nur darauf warten müsste, bis der Stern von Scholz verglüht.
Grün-gelbe Disharmonie
Dafür müssen die Verhandlungen um ein Ampelbündnis aber ebenfalls scheitern. Unwahrscheinlich ist das nicht, da mit FDP und Grünen zwei Parteien auftreten, die in erster Linie eine Klientel aus der Oberschicht vertreten. Das brachte Jakob Augstein zuletzt treffend auf den Punkt. Die Ampel wäre aus seiner Sicht die Fortsetzung der Großen Koalition mit anderen Mitteln. Scholz wäre also gar kein richtig starker Kanzler, sondern allenfalls das erste Ampelmännchen der Republik.
Ob sich die SPD hinter Scholz so etwas bieten lässt, ist fraglich, aber jetzt auch nicht so entscheidend. Wichtiger ist doch wohl, ob denn die Harmonie zwischen Grünen und FDP tatsächlich so besteht, wie es die veröffentlichten Bilder nahelegen. Denn eigentlich passen beide Parteien programmatisch überhaupt nicht zusammen. Das zeigt nicht zuletzt das Geheimnis um die Inhalte der Gespräche, die beide Parteien am Freitag vorgeführt haben. Es gab rund 100 grün-gelbe Sätze, um nichts zu sagen.
Dabei liegen die Unterschiede auf dem Tisch. Die einen wollen die Schuldenbremse reformieren, die anderen daran festhalten. Die einen wollen die Reichen stärker zur Kasse bitten, die anderen einen Verzicht auf Steuererhöhungen und sogar ein Super-Abschreibungsprogramm für Investitionen, obwohl es nie einfacher und billiger war, sich Kapital an den Märkten zu beschaffen. Investiert wird eben nur, wenn der Staat den Rahmen und die Impulse dafür setzt. Das geht aber nicht mit starren Neuverschuldungsregeln.
Christian Lindner als Finanzminister wäre also eine regelrechte Katastrophe, nicht nur für Deutschland, sondern vor allem auch für Europa, das eine Rückkehr zu den bornierten Fiskalpaktregeln fürchtet. Da wäre eine Neuauflage der Großen Koalition, in der selbst die Union die Ausnahme des Stabilitätsdogmas krisenbedingt mittrug, augenscheinlich das kleinere Übel. Am heutigen Tag der Republik gehen die Verhandlungen also weiter. Es werden nicht die letzten sein.
Bildnachweis: Screenshot Welt Nachrichtensender via YouTube, 03.10.21
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.