Was für eine Woche: In Berlin hat es am vergangenen Sonntag eine Traumwahlbeteiligung von stellenweise 150 Prozent gegeben. Das ist so viel, dass die Wahlergebnisse in einigen Bezirken nur geschätzt werden können. Aber auch im Bund, der bekanntlich in Berlin liegt, sind wir ein großes Stück weiter bei der Bildung einer neuen Bundesregierung. SPD, CDU und CSU sowie Grüne und FDP ist es gelungen, ihre Terminkalender zu sondieren. An allen Tagen kann miteinander geredet werden. Nur am Samstag nicht. Da feiert Edmund Stoiber seinen 80. Geburtstag.
Warum sollte Deutschlands bröckelndes Image als Organisationsweltmeister vor Wahlen auch halt machen? Um die Lage zu retten, müssen dann eben auch mal Hausmeister ran und eine Sackkarre mit Stimmzettelkartons durch die Laufstrecke eines Marathons schieben. Im Terminkalender der Hauptstadt ist es eben zu unglücklichen Überschneidungen gekommen. Der Bund wollte oder konnte die Bundestagswahl auf Nachfrage des Senats nicht verschieben und eine Absage des Berlin-Marathons hätte niemand verstanden.
Andere haben daraus gelernt und üben sich in asymptomatischen Verhandlungen einer geheim tagenden Foto-AG. Die potentiellen Koalitionspartner im neu gewählten Bundestag haben nun eine Woche lang ihre Termine abgestimmt. Nun bereiten die einen Teams, die anderen eine Matrix für denkbare Gespräche vor. Es gilt, bloß keinen Fehler zu machen, denn Deutschland muss vernünftig regiert werden, entweder mit einem Zukunftsbündnis (Jamaika) oder einem Fortschrittsbündnis (Ampel). Denkfaulheit kann man den handelnden Akteuren da sicherlich nicht vorwerfen.
Es gebe natürlich auch noch die Große Koalition, die aber als Zweckbündnis keinen guten Ruf mehr besitzt. Sie wäre aber allemal erträglicher, als wenn Union, FDP und AfD Christian Lindner aus Versehen zum Bundeskanzler wählen. Der soll ja schließlich Finanzminister unter wem auch immer werden und die Forderungen nach einem Tempolimit ausbremsen. Die Stimmung ist jedenfalls gut. Die SPD verbessert sich trotz fragwürdigem Klassenfoto mitten in einer Welle von Jusos in den Umfragen und Deutschland fiebert mittlerweile der Ampel entgegen, muss aber zunächst noch mit einem phrasendreschenden Kreisverkehr vorlieb nehmen.
Bildnachweis: André Tautenhahn
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.