Es bleibt dabei, das aggressive Werben der Behörden für eine Impfung dient weniger der Gesundheit der Bevölkerung als vielmehr einer Politik, die ihr Scheitern bei der Pandemiebekämpfung kaschieren will. Ungeimpfte sind daher gewissermaßen auch das Sinnbild für das Versagen der Regierung. So lange es diese Gruppe gibt, kommen die Verantwortlichen aus der Sackgasse, in die sie sich nun hinein manövriert haben, nicht mehr heraus. Bislang hat man es mit Drohungen probiert, wie dem allseits beklatschten Ausschluss aus dem öffentlichen Leben oder der Einführung kostenpflichtiger Tests. Erfolgreich ist das mit Blick auf die Impfquote jedoch nicht. Es ist auch kontraproduktiv bei der Bekämpfung der Pandemie.
„Es macht keinen Sinn, eine pandemische Lage nationaler Tragweite festzustellen und anschließend Testungen kostenpflichtig zu machen. Das ist ein Widerspruch in sich“, sagte Wolfgang Kubicki heute im Bundestag. Aber das ist eigentlich nebensächlich. Das große Scheitern der Pandemiebekämpfer wird noch einmal besonders bei den Schulen deutlich. Nachdem fast überall die Sommerferien beendet sind, und in NRW zum Beispiel schon wieder tausende Schüler pauschal ins Distanzlernen verbannt wurden, haben sich Bund und Länder auf eine Vereinheitlichung von Quarantäneregeln verständigt. Demnach sollen es nicht mehr 14 Tage und schon gar nicht ganze Schulklassen sein, die bei einer festgestellten Infektion in den Hausarrest müssen. Die angestrebte Einzelfallregelung plus Sitznachbar und die Verkürzung der Quarantänezeit auf 5 Tage löst aber den zentralen Widerspruch nicht auf.
Zentraler Widerspruch bleibt
Kinder und Jugendliche gehören der Risikogruppe nicht an, sie erkranken wenn überhaupt nur mild. Folglich ist Covid-19 durchaus vergleichbar mit anderen Infektionen, für die es solche einschneidenden Sicherheitsvorkehrungen im Schulalltag jedoch nicht gibt. Eine Quarantäne ergibt nur dann einen Sinn, wenn infizierte Kinder oder deren Kontaktpersonen abgesondert werden müssen, weil sie andere gefährden. Aber wer soll das sein? Jeder, der zur Risikogruppe gehört, kann sich persönlich mit einer Impfung schützen. Das gilt für Lehrer, Erzieher, Eltern, Großeltern, für alle. Es gibt schlichtweg keine Grundlage, Kinder mit Quarantäne oder Schulschließungen zu drangsalieren, nur weil die Regierung bei der Pandemiebekämpfung versagt und statt Einsicht zu zeigen, lieber auf Ungeimpften herumhackt.
Es ergibt auch keinen Sinn, Druck auf Kinder und Jugendliche auszuüben, sich per Impfung vor einer Krankheit zu schützen, die für sie keine Bedrohung darstellt, sondern lediglich der Regierung hilft, die angestrebte Impfquote zu erreichen und damit das Gesicht zu wahren. Entsprechend schwierig gestaltet sich dann auch die Impfkampagne bei Jugendlichen. Sie werden nicht mit einem Vorteil für ihre eigene Gesundheit umworben, weil es dafür nun einmal keinerlei überzeugende Argumente gibt, sondern mit der Rückgabe von Freiheiten geködert (Impfen gegen Maßnahmen), die, und da schließt sich allmählich der Kreis, völlig zu Unrecht beschnitten werden. Das zeigt das Lavieren von Bund und Ländern bei der Quarantänefrage, aber auch die Reaktion von Eltern, wenn sie nach Kontakten ihrer positiv getesteten Kinder befragt werden.
Um eine behördliche Quarantäneanordnung, die kaum noch nachvollziehbar ist, zu vermeiden, werden hier immer häufiger unbrauchbare Angaben gemacht. Das gilt übrigens für die Kontaktnachverfolgung insgesamt. Sie ist gescheitert, weil die Menschen einfach nicht mehr mitmachen. Deshalb wird inzwischen überlegt, die Kontaktverfolgung nur noch auf die vulnerablen Gruppen zu konzentrieren, in der Hoffnung, dass sich die Angerufenen dann wieder an den Bemühungen zur Nachverfolgung beteiligen. Offiziell verkauft wird das wiederum mit der Impfquote. Da müsse man halt nicht mehr jeden Kontakt ermitteln. Entscheidend ist aber, dass die Nachverfolgung noch nie gelang und eher durch aus der Ferne übermittelte Anordnungen zur Absonderung von Kontaktpersonen auffiel, die noch nicht einmal getestet worden waren oder gar ein Recht auf Freitestung in Anspruch nehmen durften. Dadurch verfestigte sich wiederum der Eindruck von Behördenwillkür.
Soziale Räume schützen
Da hilft es nun auch nichts, die Impfung damit zu bewerben, hinterher nie mehr in Quarantäne zu müssen. Das entfällt sowieso, wenn die Bürger die Ämter einfach auflaufen lassen oder die Schnelltests als Vorstufe zu einem PCR-Test entfallen, weil sie demnächst etwas kosten. Unter den Bedingungen dieser absurden Strategie laufen künftig mehr Infizierte sprichwörtlich frei herum, egal ob geimpft, ungeimpft oder genesen. Denn infiziert sein, können weiterhin alle, doch bei den Geimpften und Genesenen soll das künftig keine Rolle mehr spielen. Das ist wieder so eine Unlogik im Regierungshandeln. Was für Geimpfte gilt, soll für Ungeimpfte nicht gelten, weil die wiederum andere Ungeimpfte, zum Beispiel Kinder bedrohen. Dabei tun sie das nicht mehr als infizierte Geimpfte, die gar nicht mehr getestet werden müssen und somit in der Regel auch nicht wissen, ob sie ansteckend sind, wenn sie ohne Einschränkungen ihre Freiheiten mit anderen genießen.
Die Unterscheidung zwischen Geimpften und Ungeimpften bringt den Kindern, die nicht geimpft werden können, folglich überhaupt nichts. Es ist lediglich ein politischer Eiertanz um die simple Erkenntnis, dass die Kinder oder die, die nicht geimpft werden können, so oder so mit dem Virus in Kontakt kommen werden. Tatsache ist, dass das bei Kindern weniger besorgniserregend ist, als beispielsweise wochen- oder monatelange Schul- oder Kitaschließungen nebst Kontaktbeschränkungen. „Wenn man Schulen schließt, werden die Schäden für die Kinder und Jugendlichen erheblich schwerer sein, als wenn sie sich anstecken“, sagt der Bundessprecher der Kinder- und Jugendärzte Jakob Maske. Also doch Durchseuchung? Nein, allerdings ist die Angst davor auch übertrieben. Warum die Infektionswellen brechen, weiß bis heute niemand so genau. Es hat aber wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass die Population keine homogene Schafsherde ist, wo so ein Erreger einfach mal, wie im Modell beschrieben, durchrauscht. Die Gesellschaft ist vielmehr durch unterschiedliche soziale Räume geprägt, in denen es mal ein stärkeres oder ein schwächeres Infektionsgeschehen geben kann.
Ohne Kohortenstudien, die nie ernsthaft gemacht worden sind, bleibt das Gerede über den möglichen Verlauf eines Infektionsgeschehens anhand von Modellen nicht mehr als Spekulation. Niemand weiß es genau. Klar ist nur, dass es von Anfang an wichtiger gewesen wäre, die Pflegeheime als in sich abgeschlossene soziale Räume mit Menschen aus der Hochrisikogruppe in besonderer Weise zu schützen, statt den absurden Versuch zu unternehmen, dies indirekt über eine allgemeine Senkung der Infektionszahlen in der Gesamtbevölkerung zu erreichen. Auch das ist krachend gescheitert. Nirgendwo wurde mehr gestorben als im Altenheim, trotz Lockdown, Lockdown und Lockdown, den es, wie man neuerdings wieder hört, nie so richtig gegeben haben soll. Dass die Kinder nun dicker geworden sind, liegt wahrscheinlich auch an den Ungeimpften. Das Übergewicht macht diese übrigens tatsächlich zu Risikopatienten. Wer also Kinder ganz sicher gefährden will, macht die Schulen dicht und schließt sie weiterhin von der gesellschaftlichen Teilhabe einfach aus.
Zahlensalat zum Nachtisch
Trotz allem sind die Fallzahlen dennoch niedrig oder werden undifferenziert erfasst. Jörg Dötsch, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Köln sagt, dass bei neun von zehn Kindern, die in seine Klinik eingeliefert würden, nur der Covid-19-Test positiv, Corona selbst aber nicht der Grund für die Einlieferung sei. Es stellt sich also die Frage, warum Ungeimpfte, Kinder wie Erwachsene, per se als Corona-Fälle gezählt werden, während bei Geimpften inzwischen die Covid typische Symptomatik maßgeblich ist. Es ist die Sackgasse, in der die Pandemiepolitik steckt. Von dort ist auch immer häufiger die getrennte Inzidenzerfassung zu hören. Demnach sei die Inzidenz bei den Ungeimpften deutlich höher als bei den Geimpften, die, falls sie sich infizieren, aber nur milde Verläufe zu befürchten hätten. Es sei daher ratsam, sich impfen zu lassen. Das stimmt im Prinzip, nur zeigen die Daten aus den Krankenhäusern, die endlich eine viel wichtigere Rolle spielen, eben auch, dass infizierte Ungeimpfte offenbar ebenfalls nur milde Verläufe haben.
Zwar werden die Patientenzahlen in dramatisch anmutenden Prozentwerten angegeben, die Bettenbelegungen in absoluten Zahlen zeigen aber keinerlei besorgniserregende Signifikanz. Alle Ampeln stehen auf grün. Die meisten infizierten Ungeimpften kommen eben nicht haufenweise schwer krank in die Klinik, wie es durch die hohen Prozentangaben suggeriert wird. Die Politik macht sich daher mit der Fortsetzung des statistischen Zahlensalats einmal mehr lächerlich. Ein weiteres Beispiel ist die Anzahl der Impfungen überhaupt. Die Regierung kennt die genauen Daten nicht und spielt die kürzlich bekannt gewordenen Nachmeldungen in sechsstelliger Höhe als nicht so entscheidend herunter. Das passt allerdings nicht zur Parole, jede Impfung zählt. Wer daher bereits an der korrekten Erfassung der verabreichten Spritzen scheitert, sollte auch keine Zielimpfquoten formulieren, sondern sich lieber darum kümmern, wie die Defizite im Meldesystem behoben werden können.
Würde man dann noch genau wissen, warum so eine Infektionswelle bricht, hätte man auch die passenden Maßnahmen parat. Stattdessen dreht sich die Diskussion erneut im Kreis. Die übliche Symbolpolitik wird lediglich um den Vorwurf ergänzt, die Ungeimpften und demnächst wieder die Ostdeutschen seien irgendwie Schuld am Fortgang der Pandemie. Das ist traurig und auf Dauer nicht haltbar, da sich die Spaltung der Gesellschaft auf diese Weise nur weiter verschärft. Dass man in einer Sackgasse steckt, zeigt auch die abermalige Änderung des Infektionsschutzgesetzes, welche die Regierung komischerweise mit dem Gesetz zur Flutopferhilfe verband, um eine möglichst breite Zustimmung am Ende im Parlament zu erzwingen, was auch gelang. Die Opposition verlangte für die zweite Lesung des Gesetzespakts trotzdem eine namentliche Abstimmung nur über die Artikel, die das Infektionsschutzgesetz betreffen. 344 waren dafür, 280 dagegen.
Bildnachweis: Violinka / Pixabay
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.