Eine G-Punkt Posse

Geschrieben von: am 06. Sep 2021 um 6:00

Nach diesem Wochenende müssen wir alle wieder umdenken, vor allem was den G-Punkt anbelangt. Es gibt ja drei davon. Geimpft, Genesen und Getestet. Und zwar genau in der Reihenfolge, was visuell mit farbigen Männchen durch die Regierenden unterstrichen wird: ein sattes grün für sicher, nicht ganz so grün für nicht ganz so sicher und gelb für halb gefährlich. Diese Reihenfolge ist nun aber offenbar falsch.

Die Experten sind sich nämlich zunehmend einig darin, dass die natürliche Infektion den stabilsten und besten Schutz vor dem Virus bietet. Selbst der mit Preisen überhäufte Top-Virologe Christian Drosten wünscht sich per jüngster Podcast-Folge im NDR – neuerdings auch als Videomitschnitt – endlich die Infektion, sogar mehrere am Stück, weil nur sie nachhaltige Immunität verspricht, allerdings die Impfung vorausgesetzt. Das Problem: Die Politik hängt mal wieder weit zurück. Hier gilt immer noch der Grundsatz, nur die Impfung zählt. Eine nachweislich durchgemachte Infektion endet per Definition nach sechs Monaten wieder im Status des Ungeimpften, also in einem Zustand der menschenverachtenden Verantwortungslosigkeit.

Klar scheint aber zu sein, dass die über Infektion erworbene Immunität deutlich robuster ausfällt (oder hier) und vor allem länger anhält, als die Impfung. Warum, weil die Infektion über die Atemwegsorgane erfolgt und sich dort dann auch die so wichtigen Gedächtniszellen bilden, die das Virus später wieder schnell erkennen. Durch eine Impfung in den Oberarm merken sich die Schleimhäute in Mund und Nase zunächst einmal nichts. Das erklärt dann wiederum die gleich hohen Viruslasten bei Geimpften und Ungeimpften im Rachen, die bei Studien wiederholt gemessen worden sind und langsam Eingang in den wissenschaftlichen Konsens finden.

Der Genesene und nicht der Geimpfte müsste also der erste G-Punkt in der farbig lustigen 3G-Regel-Grafik sein. Aber steht der Geimpfte denn nun zurecht auf Platz zwei? Zweifel sind mittlerweile auch hier angebracht, da die Wirksamkeit der Impfung ebenfalls Gegenstand aktueller Untersuchungen geworden ist. Die Ergebnisse zeigen wiederum (hier und hier und hier), dass der tatsächliche Schutz auf rund 50 bis rund 70 Prozent gefallen ist und nicht mehr jenseits der 90 Prozent liegt, wie von den Herstellern angegeben, die sich allerdings auch auf den Wildtyp des Virus bezogen haben. Durch Delta hat sich die Wirksamkeit der Impfung erkennbar verringert. Das ist nicht schlimm, nur stimmt die 3G-Regel der amtlichen Regierungsmaler dann halt nicht mehr.

Denn der Rückgang bei der Wirksamkeit des Impfstoffs könnte offenbar noch stärker ausfallen als die Fehlerquote eines tagesaktuellen Schnelltests. Folglich rückt das G für Getestet im lustigen 3G-Ranking auf den zweiten Platz auf, während das G für Geimpft, wenn auch knapp, nunmehr an das Ende der Tabelle rutscht. Aber immerhin ist die Impfung noch besser als gar kein Nachweis, die rote Laterne bleibt dem G-eimpften also erspart. Wobei? Wie viele Ungeimpfte und Ungetestete sind eigentlich schon unerkannt g-enesen? Antikörpertests könnten helfen, besitzen aber gar kein G. Oder hat die Impfung bei der Infektion sogar einen Vorteil, wie böse Zungen unken? Man will es um des G-Punkt Willen lieber nicht so genau wissen. Bleibt zu hoffen, dass das vierte G, die Grippe, das amtliche G-emale nicht noch einmal ordentlich durcheinanderbringt.


Bildnachweis: Landesregierung Niedersachsen

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Jens Stieckenroth  September 6, 2021

    Ich betrachte mich als 4G = gesund.