Zwischen Test und Simulation

Geschrieben von: am 03. Sep 2021 um 9:00

Die Impfquote bereitet Sorgen. Sie ist nach Einschätzung der Experten wie Christian Drosten zu niedrig. Der Herbst könnte damit wieder zu einem klinischen Problem werden, eigentlich ziemlich sicher. Drosten geht davon aus, dass es ohne Kontaktbeschränkungen nicht gehen wird. Auf der anderen Seite gibt es vermehrt Impfdurchbrüche, die sich nicht mehr ignorieren lassen. Diese seien aber unproblematisch, da schwere Krankheitsverläufe eher selten sind. Das ist eine interessante wie auch manipulative Sichtweise, weil im Subtext erklärt wird, dass Ungeimpfte als Ungeschützte hauptsächlich mit schwerer Erkrankung rechnen müssen. Dabei sind niedrige Krankheitslasten die Regel und nicht der stationäre Aufenthalt in einer Klinik. Man könnte daher auch zu der Einschätzung kommen, dass der vorhandene natürliche Schutz bei Jüngeren bereits sehr gut ist, insbesondere bei Kindern.

Die Fixierung auf die Impfung verstellt den Blick auf die Realitäten. Natürlich steigen die Fälle, natürlich steigen auch die schweren Verläufe und die Hospitalisierungen. Es wäre auch töricht, etwas anderes zu erwarten. Das Bild sähe auch nicht wesentlich anders aus, wenn die Impfquote höher liege. Diskutiert werden muss über relevante Krankheitslasten. Warum sollten junge Ungeimpfte gefährdeter sein als geimpfte Hochbetagte? Die Diskussion um eine dritte Boosterimpfung zeigt klar, dass eine Gefährdung weiterhin streng in Abhängigkeit zum Alter gesehen werden muss. Wenn die Experten aber erklären, dass es mit einer Impfquote von mittlerweile über 60 Prozent und insbesondere mit einer Impfquote von weit über 80 Prozent bei den Alten trotzdem zu einem Problem in der öffentlichen Gesundheitsversorgung kommen wird, ist die Frage zu stellen, welche Schutzwirkung die Impfung dann eigentlich bietet. Ohne Impfung gab es schließlich keine Überlastung des Gesundheitssystems.

Behauptet wird, dass die Infektion nun vermehrt die Bevölkerungsteile treffen wird, die sich nicht durch Impfung schützen wollen oder können. Das Wort Durchseuchung wird hier als Angstverstärker verwendet. Nur was ändert die Impfung daran? Sie schützt nachweislich nicht vor der Infektion und Weitergabe, so dass die Behauptung des Fremdschutzes klar abzulehnen ist. Beispielsweise können ungeimpfte Eltern ihre Kinder genauso anstecken wie geimpfte Eltern. Nun sei es aber angeblich unwahrscheinlicher bei denen, die den vollen Impfschutz bereits haben. Aber ist das so? Die Teilhabe am öffentlichen Leben wird gerade für die Geimpften mit Regeln wie 2G in besonderer Weise ermöglicht. Das erlaubt weitgehende Normalität ohne Abstand und Maske, wie in Hamburg. Der Vorteil der Impfung wird also allein durch eine mögliche Verhaltensänderung wieder infrage gestellt.

Zumindest in der Logik der Pandemiebekämpfer, die ja Ungeimpfte mit dem Argument eines höheren Infektionsrisikos vom öffentlichen Leben ausschließen wollen. Ungeimpfte müssten Kontakte vermeiden. Das entspricht im Kern der bekannten Strategie, die sich um eine Eingrenzung des Infektionsgeschehens bemüht. Wenn nun aber Geimpfte ebenfalls ein Infektionsrisiko haben, das aber wegen des meist milden Verlaufs als vernachlässigbar angesehen wird, bleibt die Frage, was erreicht werden soll. Denn diejenigen, die sich nicht impfen lassen können, werden dann auch nicht geschützt. Bei dieser Betrachtung steht also gar nicht mehr die Eindämmung des Infektionsgeschehens im Mittelpunkt, sondern das Ende der Pandemie. Gesundheitsminister Jens Spahn sagte in einem Zeitungsgespräch neulich.

Ich möchte aber nicht, dass wir Geimpfte regelhaft testen. Das ist einfach nicht notwendig. Am Ende messen wir dann Inzidenzen von geschützten Menschen, die keinen Aussagewert haben, mit denen wir aber dann nie aus dieser Pandemie kommen.

Quelle: Welt Online

Mit anderen Worten. Die Pandemie endet, wenn nicht mehr getestet wird. Das ist in seiner nüchternen Schlichtheit absolut richtig. Die Frage bleibt dann aber, warum die Tests bei Ungeimpften, wenn sie nachweislich auch weniger Krankheitslast entwickeln, erforderlich bleiben. Bei den Krankenhauseinweisungen spielt mittlerweile der Impfstatus eine Rolle. Geimpfte Infizierte werden jetzt nur noch als Corona-Fall gezählt, wenn sie auch die spezifischen Symptome der Krankheit aufweisen, was absolut richtig ist. Ungeimpfte Infizierte zählen dagegen unabhängig von den typischen Symptomen als Corona-Fall und in der weiteren Übersetzung als erkrankt. Das ist grob undifferenziert und falsch, weil nie ganz klar ist, ob denn die Corona-Fälle in den Kliniken nun reine Covid-Patienten sind oder Patienten mit positivem Test, aber einer anderen schweren Erkrankung. Die statistische Aussagekraft wird verzerrt. Folgt man nun der Feststellung des Ministers würde dann aufgrund der aktuellen Teststrategie eine Pandemie nur simuliert.


Bildnachweis Jan Vašek auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Dieter  September 6, 2021

    Taiwan hat einen 7 Tage Mittelwert von 8, das ist 13.000 x weniger als Deutschland.
    Man sieht was die vollständige Impfquote von 4,1 % in Taiwan aus macht !
    Von Maßnahmen merkt man im Land kaum etwas.
    Es gibt aber eine strikte Einreisequarantäne von 14 Tagen ohne Ausnahme !