Spahns Speicher

Geschrieben von: am 30. Aug 2021 um 8:28

Es ist nicht besonders schlau, bereits eine Drittimpfung zu propagieren, wenn man doch gerade damit beschäftigt ist, Zweifler überhaupt von einer Impfung zu überzeugen, schreibt zum Beispiel die Autorengruppe der Thesenpapiere ganz aktuell. Dieses Vorgehen ergibt aber möglicherweise Sinn, wenn gar kein Interesse an einer hohen Impfquote besteht, sondern daran, möglichst lange eine klar definierbare Gruppe (hier Ungeimpfte) zu haben, die man gegen das andauernde Regierungsversagen in Stellung bringen kann. Das Gerede von der Drittimpfung ist auch deshalb fragwürdig, weil deren Nutzen gar nicht hinreichend belegt ist. Klar ist nur, dass der Gesundheitsminister viel zu viel Impfstoff bestellt und geliefert bekommen hat, den er nun als großen Vorrat einlagern will. Was zunächst nach einer tollen Idee klingt, ist bei näherer Betrachtung aber vollkommen abwegig.

Das Wesen der politischen Kommunikation ist es, bestimmte Entscheidungen, auch misslungene, in einem positiven Licht dargestellt zu wissen. Das Problem bei Jens Spahn und seinem Ministerium war aber immer, die Lage permanent falsch eingeschätzt zu haben. So fehlte es während der Pandemie an wichtigen Dingen wie Masken, Schutzkleidung, Pflegekräften und natürlich auch Impfstoff. Inzwischen gibt es genug Vakzine, zu viel. Was am Anfang ein knappes Gut war, steht nun im Überfluss zur Verfügung. Zu spät, könnte man sagen, aber das müsste nicht so sein, wenn der Minister dem Rat einiger Kritiker folgen und die überzähligen Dosen an die Länder abgeben würde, die beim großen Abgreifen der westlichen Industriestaaten (nach dem Motto Recht des Stärkeren, nicht Stärke des Rechts) bislang leer ausgingen.

Stattdessen baut der Minister wie Dagobert Duck einen großen Speicher, vermutlich um Eindruck beim Wahlvolk zu schinden. Man sei für den anstehenden Winter gut vorbereitet, so die Botschaft. Dabei sind die verfügbaren Impfstoffe längst Auslaufmodelle. Sie entstanden auf der Basis des Urtyps. Mittlerweile, jeder weiß es, gibt es neue Varianten des Virus und es werden nicht die letzten sein. Folglich wäre es ratsamer, die noch verfügbaren Dosen so schnell wie möglich zu verimpfen und zwar dort, wo Impfstoffe gänzlich fehlen. Allerdings gibt es ein Problem. Die Aufbewahrung und Verteilung der Dosen ist in Entwicklungsländern nicht so einfach, sie zu spenden daher leicht gesagt. Kann der Minister deshalb nicht anders? Einlagern klingt besser, als wegwerfen, sagt Alexander Kekulé in seinem wöchentlichen Corona-Kompass. Da ist vermutlich etwas dran.

Die riesigen Impfstoffmengen behindern folglich auch die Entwicklung einer neuen Impfstoffgeneration, die gegen Varianten schützt, die da noch kommen werden. Denn so lange der alte Impfstoff politisch akzeptiert bleibt und ein möglicher Wirkungsverlust ins Reich der Schwurbelphantasten verbannt wird, gibt es keinen Grund am erfolgreichen Produkt der Hersteller etwas zu ändern, was möglicherweise die Marge erst einmal wieder drückt. Vielleicht empfiehlt der Minister deshalb eine Drittimpfung mit dem, was er im Überfluss hat. Gern auch kreuzweise. Vermutlich wird es aber so sein, dass nach der Wahl der Speicher schnell geleert und die überzähligen Dosen doch noch weggeworfen werden müssen, weil eine Aufbewahrung aufgrund der begrenzten Haltbarkeit nicht dauerhaft möglich ist. Vieles deutet darauf hin, auch das widersprüchliche Dementi, welches das Gesundheitsministerium auf den Bericht zum Einlagervorhaben verschicken ließ. Es bleibt dabei. Der Minister hat viel zu viel Impfstoff übrig und es sind nur noch 27 Tage bis zur Bundestagswahl.


Bildnachweis: Jens P. Raak auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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