Man habe die Lage falsch eingeschätzt. So lautete in etwa die Ausrede angesichts des außenpolitischen Desasters in Afghanistan. Wann kommt diese Einsicht bei der Bekämpfung der Pandemie? Es ist erstaunlich, welche Verrenkungen unternommen werden, um das kolossale Scheitern nicht eingestehen zu müssen. Anhand der Impfkampagne lässt sich das sehr gut beschreiben. Hier geht es nämlich gar nicht mehr um Fragen der Gesundheit, sondern einzig und allein darum, dass jeder Piks einer unglaubwürdig gewordenen Politik aus deren selbst verschuldeten Patsche helfen soll.
Wenn Jens Spahn im Frühstücksfernsehen des ZDF den Satz sagt. „Wir impfen Deutschland zurück in die Freiheit“, dann ist das natürlich ein Aufreger, der die Impfgegner triggert und sie zum üblichen Nazi-Vergleich verleitet. Der Kern der Aussage bleibt aber dadurch unerkannt.
Sie offenbart ein Dilemma der Regierung. Die ist auf einen Impferfolg angewiesen und auch nur dann bereit, die Übergriffigkeit auf die Bürger zu beenden, egal ob die nun geimpft, ungeimpft oder genesen sind. Es geht nicht um Freiheit, sondern um einen Impfdienst an der Regierung. Wenn sich alle impfen lassen, hat die Regierung mit ihrer Strategie recht behalten und kann nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden, was seit über einem Jahr bei der Pandemiebekämpfung schief läuft. Zum Beispiel die große Unwissenheit, die durch einen Mangel an Untersuchungen fortbesteht.
Positionen werden geräumt
Verfolgt man den täglichen Impftrend zeigt sich aber, dass sich die Menschen weder durch freundliche Aufforderungen, noch durch die unfreundliche Androhung von Nachteilen sonderlich beeindrucken lassen. Das allein wäre für die Regierung aber auch kein Beinbruch, da die Bereitschaft dank der fortschreitenden Spaltung hoch zu sein scheint, Unwillige auch so, also ohne gesonderte Anordnungen, vom gesellschaftlichen Leben tatsächlich auszuschließen. Das kann man also machen, nur geht die Rechnung an anderer Stelle nicht auf und das zeigt die hysterische Debatte um die Wirkung der Impfung selbst.
Inzwischen gibt es eine absurde Diskussion darüber, wie viele Geimpfte Covid haben und deshalb behandelt werden müssen oder ob sie weiterhin für das Virus empfänglich sind und es an andere weitergeben können. Die Impfbefürworter erklären mit Statistiken, dass es nicht so viele sind im Vergleich zu den Ungeimpften, die Impfgegner erklären wiederum mit denselben Statistiken, dass es aber immer mehr werden. Die einen sagen, die Impfung hilft, die anderen sagen, die Impfung schadet. Beides lenkt aber vom eigentlichen Thema ab. Dem Versagen der Politik, die sich mit der Impfung eine schöne Exitstrategie zurechtgelegt hat, nachdem die Beschaffung der Impfstoffe ein großes Desaster war und weiterhin ist.
Nun muss die Regierung lernen, dass es weder eine vollständige Immunität, noch einen Fremdschutz durch die Impfung gibt. Der Impfdurchbruch tritt häufiger auf und damit auch die Frage nach der Dauer des erworbenen Impfschutzes. Inzwischen wird betont, dass die Impfung vor einem schweren Verlauf schützt, allerdings auch nicht mehr zu 100 Prozent, aber deutlich besser, als ohne Impfschutz. Nüchtern betrachtet, sind damit im Verlauf der Impfkampagne unhaltbare Positionen geräumt worden, die mit dem Start der Kampagne noch als sicher galten. Es war daher falsch, die Impfstoffe quasi heilig zu sprechen und den Menschen einen Rundumsorglos-Ausweg mit kleinen Piksen in Aussicht zu stellen. Mitunter geschieht das ja immer noch, wie die Bemerkung von Spahn zeigt.
Dabei ist längst klar, dass die als Freiheiten getarnten Sonderrechte nicht von Dauer sein werden, sondern vom Wohlwollen derer abhängen, die über den Ausnahmezustand verfügen. Wenn das Impfzertifikat eine Eintrittskarte ins Leben sein soll, dann wird von der Gültigkeit der Eintrittskarte das Leben dann auch bestimmt. Was ist, wenn Impfstoffe ihre Wirkung verlieren oder, wie es bereits geschieht, offiziell gar nicht zugelassen werden, obwohl sie ähnlich gut wirken, wie jene, die „politisch“ bereits anerkannt sind? Geimpfte machen sich etwas vor, wenn sie glauben, dass die Impfung eine Rückkehr zur Normalität bedeutet. Und sie sollten auch erkennen, dass die Gruppe der Ungeimpften um so verbissener angegriffen wird, je stärker das bisherige Narrativ in sich zusammenfällt. Teile und herrsche.
Ein Abnutzungskampf der Fundamentalisten
Die Impfung ist auch ein bequemerer Weg, um Dinge nicht erledigen zu müssen, zu denen man sich wegen der permanenten Panikmache quasi selbst verpflichtet hat. Wer beispielsweise die Schulen als Drehscheibe für das Virus beschreibt, geht das Risiko ein, dass die Eltern das dann auch tatsächlich glauben und nach mehr Sicherheit, unter anderem in Form von Raumluftfiltern verlangen. Im politischen Betrieb, ein Verschiebebahnhof der Verantwortlichkeit, wird dann das eine in Aussicht gestellt, was die anderen gar nicht umsetzen können. So erfordern stationäre Anlagen einen Eingriff in die Gebäudesubstanz. Die Wirkung der mobilen Geräte ist weiterhin umstritten und nur unter bestimmten Bedingungen empfohlen. Fensterventilatoren dürfen wiederum die „thermische Behaglichkeit“ nicht beeinträchtigen, eine erklärungsbedürftige Formulierung der Förderrichtlinie, die über den Entwurfsstatus noch immer nicht hinausgekommen ist. Die Impfung bietet wiederum eine Lösung an, bei der sich die Politik der Diskussion entziehen und die Suche nach Ausflüchten für ihr Scheitern einstellen kann.
Weil die Impfung die Lösung für alles zu sein scheint, werden natürlich auch Argumente bemüht, die bislang als unzulässig galten. So hat es im Verlauf der Pandemie niemanden interessiert, wie infektiös ein positiv Getesteter tatsächlich ist, er kam in Quarantäne und die engen Kontaktpersonen ebenfalls. Es könnte ja sein, dass… Plötzlich spielt die Infektiösität bei Geimpften aber eine Rolle und die ominösen CT-Werte werden bemüht, um nachzuweisen, dass Geimpfte ungefährlicher als Ungeimpfte sind und nicht mehr in Quarantäne oder sich testen lassen müssen. Juristisch ist so ein Vorgehen aber äußerst heikel, wie man hier nachlesen kann. Denn falls Geimpfte in relevanter Weise das Virus ebenfalls übertragen können wie einige Studien nahelegen, fällt der Grund für ihre Bevorzugung weg, zumindest wenn Infektionsschutzrecht weiterhin Gefahrenabwehrrecht bedeutet. Vermutlich sind deshalb die Fundamentalisten unter den Impfbefürwortern gerade so aktiv. Das macht sie dann aber auch nicht besser, als diejenigen, die gern als Schwurbler verunglimpft werden.
Der Regierung geht es auch gar nicht um Immunität, sonst würde sie den Genesenenstatus nicht ausschließlich an einen positiven PCR-Test knüpfen, sondern an einen Antikörperspiegel im Blut, den man natürlich messen kann, der aber bislang nicht als Genesenausweis anerkannt wird. Gleichzeitig beinhaltet der Genesenenstatus im Vergleich zum Impfstatus ein Ablaufdatum, egal, ob die Person nun eine nachweisbare Immunität besitzt oder nicht. Sechs Monate nach dem positiven PCR-Test ist die Immunität per offizieller Festlegung im Gesetz verschwunden und der Betroffene kann nur durch eine Impfung etwas an diesem Zustand wieder ändern. Dabei ist inzwischen unstrittig, dass eine durchgemachte Infektion einen besseren und vermutlich viel längeren Schutz vor der Covid-Erkrankung bietet als die Impfung selbst.
Transparenz ist wichtig für die Glaubwürdigkeit. Eine Stärke der Regierung ist das aber nicht. Sie verheddert sich in Widersprüche und verschleiert ihr Versagen durch versteckte Gesetzgebung. Am Mittwoch, wenn der Bundestag über eine Fortsetzung der epidemischen Lage berät, wird vorher das Sondervermögen Aufbauhilfe 2021 beschlossen. Da geht es um die Folgen der Hochwasserkatastrophe. In dem Gesetzentwurf enthalten ist aber wieder eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes (Artikel 12 und 13). Es wäre die sechste. Und zwar werden nachträglich die Einreisebestimmungen legitimiert (also die Verpflichtung zum Nachweis des Impf- oder Genesenenstatus oder eines negativen Tests bei der Einreise), die schon seit ein paar Wochen bußgeldbewährt gelten, aber bislang offenbar ohne Rechtsgrundlage.
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AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.