Protokollnotiz wird nicht helfen

Geschrieben von: am 11. Aug 2021 um 0:21

Der Beschluss von Bund und Ländern vom 10. August ist hochnotpeinlich. Klar, das Geschrei um eine Zweiklassengesellschaft, die von den einen bejubelt und von den anderen als Untergang des Abendlandes beklagt wird, zeigt, das Prinzip Teile und herrsche funktioniert ganz wunderbar. Klar ist aber auch, dass die beschlossenen Maßnahmen zur Steigerung der Impfquote kaum Bestand haben werden.

Das Land Niedersachsen hat eine hasenfüßige Protokollnotiz in den Beschluss schreiben lassen. Da steht kurz: Niedersachsen hält einen neuen Maßstab zur Einschätzung des Pandemiegeschehens anstelle der alleinigen Inzidenzbetrachtung für die Zukunft für geboten. Ministerpräsident Stephan Weil wollte freilich mehr erreichen, weil ihm noch die Ohren von den Backpfeifen klingeln, die ihm das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in regelmäßigen Abständen verpasst. Im letzten Beschluss des Gerichts über die jüngste Verordnung des Landes hieß es klar und deutlich:

Der Senat hat zudem darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf das Fortschreiten der Immunisierung der Bevölkerung und der damit verbundenen weitgehenden Beschränkung des Infektionsgeschehens auf weniger vulnerable (jüngere) Gruppen eine Anpassung der Schwellenwerte an die geänderte Sachlage erforderlich sei. Auf Grundlage der derzeit geltenden Schwellenwerte könnten schwerwiegende Grundrechtseingriffe nur noch für einen kurzen Übergangszeitraum gerechtfertigt werden.

Quelle: OVG Lüneburg

Mit anderen Worten: Sollte der aktuelle Beschluss von Bund und Ländern maßgeblich für die nächste Corona-Verordnung des Landes Niedersachsen sein, würde der Ministerpräsident vermutlich erneut rechtswidrig handeln. Die lächerliche Protokollnotiz reicht da kaum für einen Freispruch. Überhaupt ist es ein Skandal, dass über Wochen eine Neuberechnung der Gefährdungslage anhand verschiedener Parameter wie Impfquote und Krankenhausbelegung angekündigt wird und es dann doch wieder auf die Inzidenz von 35 als maßgebliche Größe hinausgelaufen ist. Angeblich arbeite das RKI an einer anderen Berechnungsmethode.

Na dann, die versprochene Neubewertung der Indikatoren bleibt damit vorerst auch nur eine Protokollnotiz. Die Wahrheit ist wohl, dass der Inzidenzwert allein ein fantastisches Steuerungsinstrument ist, das die Regierung noch nicht so gern aus der Hand geben will. Über die Inzidenz lässt sich der notwenige Druck auf Impfunwillige erzeugen. Es wäre ja auch irgendwie blöd, wenn man eine Ungleichbehandlung ankündigt, die dann aber gar nicht eintritt, weil die neue Berechnungsmethode den Pandemiebekämpfern sagt, das eigentlich alles paletti ist. Denn wie sind die Fakten? Der Großteil der Risikogruppen ist geimpft und damit geschützt. Das zeigt auch die Lage auf den Intensivstationen in den Krankenhäusern. Die ist entspannt.

Die Krankheitslast hat nachweislich abgenommen. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass sich diese Lage wieder dramatisch verschlechtert und eine Überlastung des Gesundheitssystems droht. Sicher ist nur, dass es erneut mehr Infektionen geben wird, die, wenn man den Inzidenzwert wie üblich berechnet und über die gesamte Bevölkerung betrachtet, schlimm aussehen könnte. Für die Regierung, die den Impfverweigerer als Sündenbock braucht, um vom eigenen Missmanagement abzulenken, ist das prima, da sie so ihre Einschränkungen weiter begründen kann. Es nutzt aber nichts. Das Versagen der Regierung ist offenkundig. Hinzu kommt angesichts neuer Impfmilliardäre ein schwerer Fall von Untreue. Vor diesem Hintergrund von Testkosten zu sprechen, die man der Allgemeinheit nicht länger aufbürden könne, ist schon einigermaßen lachhaft.

Aber es stimmt. Die Tests sind in den meisten Fällen schlicht sinnlose Geldverschwendung, weshalb auch die Positionen von FDP-Vize Wolfgang Kubicki und dem parlamentarischen Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, falsch sind. Sie plädieren für kostenlose Tests, weil man nur so einen Überblick über das Infektionsgeschehen behalten könne. Kubicki erwähnte zudem, dass das geboten sei, wenn die epidemische Lage fortbestehe, was aber nur zum Teil richtig ist. Denn wer den Notstand weiter feststellt und folglich Impfung oder Pflichttests verlangt, muss diese dann auch finanzieren. Ganz einfach. Das Testen ist aber überflüssig, wenn der Notstand auch beendet werden könnte, weil die Krankheit inzwischen medizinisch beherrschbar geworden ist. Die beabsichtigten Mittel wären dann weder geeignet, noch erforderlich und schon gar nicht angemessen.


Bildnachweis: Screenshot aus Liveübertragung der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt vom 19. Januar 2021.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Rauschi  August 11, 2021

    Danke für en treffenden Kommentar

  2. Dieter  August 11, 2021

    „Beschluss von Bund und Ländern Aus für kostenlose Corona-Tests ab 11. Oktober

    Stand: 10.08.2021 16:05 Uhr

    Steigende Inzidenz und sinkende Impfbereitschaft: Bund und Länder beraten über den weiteren Umgang mit der Corona-Pandemie. Beschlossen wurde bereits das Ende kostenloser Schnelltests ab 11. Oktober.
    .
    .
    https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bund-laender-corona-123.html

    Diese Maßnahmen wird es bringen !
    Inzidenzen steigen trotz Impfung.

    Das ist auch in Island so wo 71,5 % der Bevölkerung ( 350.000 Menschen ) vollständig geimpft sind.
    Allerdings sinken die Inzidenzen in Taiwan, wo 2,1 % der Bevölkerung ( 23 Millionen Einwohner ) vollständig geimpft sind. Der 7 Tage Mittelwert ist trotz 65 x so vielen Einwohnern, 6 x niedriger.

    Aber da schieben wir jetzt einen Riegel vor.
    Kostenlose Tests fallen weg, daraus folgt viel weniger Menschen lassen sich testen.
    Da die Inzidenz von der Testzahl abhängt, wird diese sinken.
    Viele positive Fälle bleiben unendeckt.
    Das Virus kann sich unbemerkt ausbreiten.
    Die Infektionsketten sind nicht mehr nachvollziehbar.

    Was war noch das Ziel der Maßnahmen ?

  3. Argonautiker  August 12, 2021

    Das Problem am Spalten ist, daß es über die Unkontrollierbarkeit irgendwann auch den Spaltenden selbst erreicht. Langfristig gesehen kein guter Weg. Man kann zwar über die Machtposition das Ungemach des spaltenden Prinzip für eine Weile auf die Sündenböcke leiten, und somit unliebsame Gegner aus dem Weg räumen, aber weil das spaltende Prinzip auf einer Lüge beruht, hat es final kurze Beine. Aber ein wenig Weisheit ist von einer bösen Tante eben nicht zu erwarten. Leider hat die böse Tante durch das wiederaufleben lassen des spaltenden Prinzips den Menschen den Rücken gestärkt, die sich ebenso gerne der Lüge bedienen um ihre Interessen zu erreichen. Das dürfte dementsprechend auf die ein oder andere Weise noch eskalieren.