Karl Lauterbach sagt hier etwas vollkommen Richtiges. Infektionen lassen sich nun einmal im normalen Alltag und beim normalen Umgang miteinander auch mit Impfung nicht vermeiden. Es muss also immer noch die Frage beantwortet werden, wie man nun damit umgeht, ob man Infektionen akzeptiert oder nicht. Lauterbach spricht sich dafür aus, Einschränkungen beizubehalten, andere fordern Stufenpläne auf Grundlage verlässlicher Daten in Abhängigkeit zum Alter, also den besonders gefährdeten Gruppen (Stöhr, Antes und Co.), wieder andere, das sind die meisten Landesregierungen, wollen der Frage auch weiterhin ausweichen, indem sie nun Ungeimpfte schikanieren. Das ist populär und soll, so die Hoffnung, zu einem guten Wahlergebnis beitragen.
Die Pandemie geht ihrem Ende entgegen. Nur wie steigt man aus dem verkorksten Ausnahmezustand wieder aus? Es gibt Länder wie Dänemark, die einen pragmatisch unaufgeregten Ansatz wählen und Beschränkungen für alle Bürger aufheben, weil die Risikogruppen durch Impfung ausreichend geschützt sind. Hier spielt es auch keine Rolle, ob alle anderen sich zur Impfung entschließen oder nicht. Ein direkter oder indirekter Zwang, sich impfen zu lassen, findet nicht statt. Die Dänen danken es ihrer Regierung mit einer deutlich höheren Erstimpfquote als in anderen Staaten der EU, einschließlich Deutschland, dessen Impftempo beständig abnimmt.
Pleiten, Pech und Pannen
Das ist dann auch ein Problem für eine Regierung, deren Pandemiemanagement bislang aus Pleiten, Pech und Pannen besteht. Die niedrige Impfquote könnte nämlich genau mit der Plan- und Hilflosigkeit zusammenhängen, die seit Wochen und Monaten unübersehbar ist. Das jüngste Beispiel sind die eilig beschlossenen Einreiseregeln, die seit dem 1. August gelten, so als ob man gerade noch gemerkt hat, dass Urlaubszeit ist. Heute beginnt übrigens die Schule in einigen Bundesländern wieder. Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein machen den Anfang, Hamburg folgt am Donnerstag. Alles in Präsenz natürlich, doch die Diskussion um eine Rückkehr zu Wechsel- und Distanzunterricht reißt nicht ab, auch weil es nun darauf ankommt, ob das umgesetzt worden ist, was in der S3-Richtlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für einen sicheren Schulbetrieb steht, herausgegeben am 8. Februar.
Zu vermuten ist, dass die Umsetzung eher nicht so perfekt gelingt, was auch an der anhaltenden Debatte um den Nutzen von Raumluftreinigern immer noch ablesbar ist. Dass die Landesgesundheitsminister nun heute entscheiden werden, die Impfung von Kindern und Jugendlichen weiter aktiv zu betreiben, ist dann auch eine direkte Folge dieses Umsetzungsversagens, das nicht weiter erklärt werden muss, wenn „kleine Pikse“ in den Oberarm als Königsweg aus der Krise beworben werden. Unterschlagen wird dabei nur, dass für einen nicht unerheblichen Teil der jungen Bevölkerung, der Einrichtungen wie Schule und Kindergarten nutzt, nämlich Kinder unter 12 Jahren, überhaupt kein Impfstoff zugelassen ist, der Königsweg also dann auch in der schönen Vorstellung der Regierenden einen Makel hat und daher nicht wirklich funktionieren kann.
Dieses Glaubwürdigkeitsproblem setzt sich innerhalb der Impfstrategie beständig fort. Nun werden Geimpften Vor- und Ungeimpften Nachteile in Aussicht gestellt. Denn für die Erzählung einer erfolgreichen Rückkehr zur Normalität braucht es mehr Pikse. Dabei wird lediglich von einer Rücknahme der Einschränkungen gesprochen, die gegenüber Geimpften nicht mehr länger gerechtfertigt sind. Das ist vollkommen richtig, nur ist eine Differenzierung zwischen Geimpften und Ungeimpften dafür nicht erforderlich. Letztere dennoch anders zu behandeln, dient ausschließlich dem Zweck, Druck auszuüben, um ein Wohlverhalten gegenüber dem Staat zu erzwingen, der nur dann bereit ist, Einschränkungen der persönlichen Freiheit zurückzunehmen. Dagegen können sich die Betroffenen vermutlich erfolgreich wehren, denn Grundrechte bleiben Abwehrrechte des Bürgers gegen einen übergriffigen Staat. Der muss gut begründen, warum er tut, was er tut.
Auf irrationalen Abwegen
Rational war eine Position, die ein Ende der Maßnahmen für den Fall vorsah, dass jedem ein Impfangebot gemacht werden kann. Inzwischen werden allerdings nur noch Gründe genannt oder erfunden, warum diese Haltung nicht mehr zählt. Dazu gehören dann auch die Kinder, die ja gar nicht geimpft werden können, weil es für sie keinen Impfstoff gibt. In diesem Zusammenhang spielt das dann plötzlich wieder eine Rolle. Auch wird das Risiko derer besonders betont, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können oder dürfen. Diese Gruppen müssten weiter geschützt werden, so das Argument. Nur wie werden sie dann innerhalb des sich abzeichnenden schwarz-weiß Schemas mit Blick auf ihre Freiheitsrechte behandelt? Der Rechtswissenschaftler Thorsten Kingreen von der Uni Regensburg sagt:
„Menschen, die nicht geimpft werden können, müssen die gleichen Freiheitsrechte wie Geimpfte haben. Von ihnen geht zwar eine Gefahr aus, und sie sind gefährdet, aber sie können dieser Gefahr durch eigenmächtiges Handeln nicht begegnen.“
Das dürfte in der Praxis ziemlich kompliziert werden, wenn neben den Kategorien geimpft, genesen und ungeimpft, auch noch unfreiwillig ungeimpft eingeführt und dokumentiert werden müsste. Diese Freiheit wäre zudem mit einem permanenten Misstrauen behaftet, wie das bei den Maskenattesten bereits zu beobachten war. Es ist also nicht sehr hilfreich, diese Kategorisierung auf die Spitze zu treiben, weil dadurch in erster Linie einer gesellschaftlichen Spaltung weiter Vorschub geleistet wird. Es drängt sich somit der Verdacht auf, dass es den Regierenden um den Gesundheitsschutz nicht wirklich geht, sondern vielmehr um ein Wohlverhalten der Bevölkerung, das dabei helfen soll, das Versagen bei der Pandemiebekämpfung zu kaschieren.
Und dieses Versagen besteht vornehmlich darin, einfach nicht entscheiden zu wollen, wie man mit den Infektionen, die es weiterhin geben wird, umgehen will. Deshalb werden unerfüllbare Impfziele gesteckt und die Unwilligen zunehmend stigmatisiert und ausgegrenzt. Das lenkt dann die Geimpften auch von der simplen Tatsache ab, dass ihre Rückkehr zur Normalität von Einschränkungen geprägt sein wird, wie es Karl Lauterbach bereits andeutet, weil er richtigerweise darauf hinweist, dass eben auch Ansteckungen unter Geimpften bei einem bestimmten Verhalten nicht ausgeschlossen werden können. Folgt die Regierung diesem sorgenvollen Narrativ wird es vermutlich dabei bleiben, dass Gastronomen, Konzertveranstalter und viele andere trotz der Ausgrenzung der Ungeimpften nur einen Teil ihrer Kapazitäten auslasten dürfen. Dafür spricht auch, dass die Bundesregierung eine weitere Verlängerung der Corona-Hilfen anstrebt.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.