Zaghafte Abkehr vom Holzhammer

Geschrieben von: am 27. Jul 2021 um 18:42

Niedersachsen ändert seine Corona-Verordnung schon wieder, nachdem man vor nicht einmal zwei Wochen angekündigt hatte, die laufenden Regeln bis Anfang September unangetastet zu lassen. Das Problem, die Inzidenzlogik ist immer noch dieselbe und damit drohen mit steigenden Zahlen auch Verschärfungen gemäß eines bislang starren Stufenplans. Das will man nun vermeiden und schaut genauer hin. Denn falls das Infektionsgeschehen eingrenzbar ist, darf die Inzidenz ruhig höher liegen. Bereiche, die nicht als Verursacher identifiziert sind, müssen dann auch keine schärferen Maßnahmen fürchten. Das ist interessant, da es bislang ja immer hieß, man könne wegen des diffusen Geschehens keine genauen Eingrenzungen vornehmen.

Nun soll es aber keine gesamtschuldnerische Haftung mehr geben, wie es von Seiten der Landesregierung heißt. Offenbar lässt sich das Infektionsgeschehen mittlerweile gut lokalisieren. Die Region Hannover hatte das zu Beginn der Woche bereits praktiziert und erklärt, von einer bestehenden Regel in der alten Verordnung Gebrauch zu machen, wonach ein Landkreis von strengeren Maßnahmen absehen dürfe, wenn die Zunahme des Infektionsgeschehens einem abgrenzbaren Bereich zugeordnet werden kann. Derzeit stehen die gemeldeten Fallzahlen mit Feiern in Clubs und ähnlichen Lokalitäten in Zusammenhang. Die Inzidenz lag an drei Tagen nacheinander über 35 und die Region hätte per Allgemeinverfügung schärfere Maßnahmen gemäß des Stufenplans feststellen müssen, tat das aber mit Verweis auf die besagte Ausnahmeregel und die angekündigte Neufassung der Corona-Verordnung nicht.

Das Land präzisiert nun das, was die Region Hannover bereits für sich in Anspruch genommen hat. Für bestimmte Bereiche gelten trotz höherer Inzidenz die Maßnahmen der niedrigeren Inzidenzstufe. Diskotheken, Clubs und ähnliche Einrichtungen sowie Einrichtungen, in denen Shisha-Pfeifen zum Konsum angeboten werden, sind dagegen bereits für den Publikumsverkehr und Besuche ab einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 10 zu schließen. Eine Verschärfung also, die aus Sicht des Verordnungsgebers notwendig erscheint, damit es nicht nach einer Lockerung in die Welle hinein aussieht. Da kann man nur hoffen, dass sich die Partys nicht in Geschäfte des Einzelhandels, Schwimmbäder oder Vereinsheime verlagern, jetzt wo die Behörden endlich genauer auf die Orte des Infektionsgeschehens schauen wollen.

In Wirklichkeit sind die strengeren Auflagen und das Schließen von Clubs vollkommen sinnlos. Denn eine zusätzliche Krankheitslast ist mit der Zunahme der Infektionen bei jungen Menschen nicht verbunden. Warum zieht man hier also wieder die Daumenschrauben an? Wer oder was muss geschützt werden? Die Inzidenz bei den vulnerablen älteren Gruppen verharrt dank der Impfung auf einem sehr niedrigen Stand. Müssen Tanzlokale jetzt also schließen, weil das einen zusätzlichen Schutz für bereits geschützte Risikogruppen bringt? Oder geht es nur wieder darum, überhaupt Infektionen zu vermeiden? Nur zu welchem Zweck? Weil eine zusätzliche Krankheitslast droht? Gibt es dafür Belege? Der Anstieg der Inzidenz in den jüngeren Altersgruppen führt nun gerade nicht zu mehr Krankenhausaufenthalten. Die Landesregierung hat das auch bestätigt, denn in den Kliniken ist es ruhig. Es besteht also gar kein Grund, etwas zu verschärfen.

So ist das Vorgehen der Landesregierung erneut als Akt der Symbolpolitik zu verstehen, um davon abzulenken, dass der Stufenplan in seiner jetzigen Form nicht mehr funktioniert. Mit ihm ist ein administratives Monstrum geschaffen worden, das seine Erfinder nun selbst auffrisst, weil die nicht von der Inzidenz als maßgeblicher Größe lassen wollen oder können. Die Bewegung hin zu anderen Indikatoren ist zwar erkennbar, wird aber wieder an den Bund delegiert bzw. an den Hort der Untoten, die Ministerpräsidentenkonferenz. Sie soll nun früher als geplant Anfang August stattfinden. Dort wird man sich auch offiziell von der Inzidenz verabschieden müssen. Warum das nun so schwierig ist, liegt auf der Hand. Die Inzidenz verliert an Aussagekraft, weil das Impfen im Prinzip sehr erfolgreich ist. Nur erweckt die Politik den gegenteiligen Eindruck, um mehr Menschen, die es nicht unbedingt brauchen, zu einer Impfung zu drängen. Das ist unnötig.

Viel wichtiger ist es, die Älteren und durch Vorerkrankung besonders gefährdeten Gruppen darauf vorzubereiten, dass sie ihren Impfschutz vermutlich ab Herbst erneuern müssen. Der Epidemiologe Klaus Stöhr sagt:

Gefühlt wird wieder wie im letzten Jahr mehr als 80 Prozent der Zeit über Kinder und Schulen gesprochen. Das wirkliche Thema sind die Alten, die Vulnerablen. Da muss man über die Herbstimpfung nachdenken. Die müssen geschützt sein. Und an diesem Maßstab, der Erkrankungsrate bei den Älteren, der Hospitalisierung-Quote und den Hospitalisierungszahlen, da sollte man die Bekämpfungsziele festmachen.

Quelle: n-tv

Das bedeutet natürlich nicht, dass eine Impfkampagne überflüssig ist. Im Gegenteil. Das Pandemiegeschehen in den vergangenen Wellen hat ja große Ungleichheiten gezeigt. Während es in den reichen Vierteln kaum zu Ansteckungen kommt, verbreitet sich das Virus in beengten Wohnverhältnissen und unter prekären Lebenslagen und Bedingungen rasant. Gezielte Impfkampagnen mit mobilen Teams können also helfen, noch mehr Menschen insbesondere aus den Risikogruppen zu erreichen. Nervige Plakataktionen in neun Sprachen an jeder Ecke und eine crossmediale Kampagne unter dem Motto „Geimpft sind wir stärker! Darum: Impfen, Schützen, Testen“ für insgesamt 3,6 Millionen Euro sind eher nicht so zielführend. Klar ist jedenfalls, dass die Anpassung der Verordnung auf eine zaghafte Abkehr von der Methode Holzhammer hindeutet.


Bildnachweis: MS (Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung)

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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