Bitte nicht lachen

Geschrieben von: am 19. Juli 2021 um 15:49

Wer lacht, hat schon verloren. Besonders in diesen Zeiten. Da gilt der Grundsatz, wenn eine Kamera mitläuft, bleib ernst. Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen und Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, hat diese Regel missachtet und nun einen Shitstorm samt Hashtag am Hals. Dagegen verhielt sich der Tagesschau-Moderator Jens Riewa anders. Er sagte mehrfach Bernd Laschet, verzog dabei aber keine Miene. So ist es wohl richtig. Der Rest der Welt wundert sich derweil einmal mehr über Deutschlands Krisenmanagement.

Kurz nach der Flutkatastrophe war der zuständige Heimatminister Horst Seehofer plötzlich zur Stelle. Per Spiegel-Interview ließ er verkünden, dass sei alles Klimawandel. Das muss natürlich so sein, da es keinen Zweifel an den jüngsten Entscheidungen in Sachen Bevölkerungsschutz geben darf. So haben die Innenminister aus Bund und Ländern den für dieses Jahr geplanten bundesweiten Warntag im September abgesagt. Ende Juni war das der Fall, unter anderem die FAZ hat darüber berichtet.

Die Begründung ist simpel. Kaum etwas funktioniert, was die Bevölkerung bei drohender Gefahr tatsächlich vernünftig warnen könnte. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) baue derzeit eine „umfassende Testlandschaft auf“, die im ersten Quartal 2022 zur Verfügung stehen soll. Das wenig funktioniert, war übrigens auch das Ergebnis nach dem ersten bundesweiten Warntag vor einem Jahr. Er wurde offiziell als Fehlschlag bezeichnet. Eine Wiederholung in diesem Jahr hätte vermutlich ein ähnliches Ergebnis gebracht. Da das Seehofer-Ministerium ein Superministerium ist, darf man aber schon etwas mehr erwarten.

Die Diskussion um die richtige Vorbereitung auf solche Naturkatastrophen kommt gerade erst in Gang. Zum Glück, denn unmittelbar nach der Flut musste man den Eindruck gewinnen, dass der Überraschungseffekt und die klare Adressierung an eine Klimapolitik, die nun beschleunigt werden müsse, die einzigen Reaktionen bleiben würden. Inzwischen ist klar, dass das Wetterereignis keineswegs überraschend vom Himmel herein brach, sondern sich bereits neun Tage zuvor ankündigte. Entsprechende Frühwarnsysteme schlugen an, wie das Europäische Hochwasser-Warnsystem (Efas), das eine Warnung vier Tage vor dem Ereignis an die betroffenen Regierungen sandte.

Es muss also um die Frage gehen, wie ernst solche Warnungen genommen und welche Folgen daraus für den Bevölkerungsschutz abgeleitet werden. Viele Betroffene waren auch deshalb so überrascht von den Fluten, weil diese nicht deutlich genug angekündigt worden waren, sei es nun per Wetterbericht, per Unwetterwarnung über Radio und Fernsehen, Durchsagen, Sirenen oder über die berühmten Apps. Unwetterwarnungen lagen natürlich vor, auch über die besondere Schwere des Ereignisses, sie fanden in den reichweitenstärksten Kanälen aber nicht die Berücksichtigung, die erforderlich gewesen wäre. Das ist ein Problem, dass nicht erst seit letzter Woche besteht.

So brechen Unwetterkatastrophen seltsamerweise immer aus heiterem Himmel über das Land herein. Während die Warnungen im Vorfeld häufig stiefmütterlich behandelt werden, setzt im Nachgang eine umso stärkere Sensationsberichterstattung ein, weil es ein massives Ausmaß an Zerstörung und viele Todesopfer zu beklagen gibt. Das Frühwarnsystem ist ein wichtiger Teil eines funktionierenden Bevölkerungsschutzes. Es kommen aber auch noch andere Parameter dazu. So ein Starkregenereignis wirkt um so verheerender, wenn eine vorhandene, aber in die Jahre gekommene Infrastruktur dies begünstigt.

Enge Bebauung, ein hoher Grad an Versiegelung, all das sind bereits bekannte Faktoren. Ob genug in Hochwasserschutz und die Kapazität von Leitungsnetzen investiert wurde, ist eine andere zentrale Frage. Wenn zu lesen ist, dass diese Flutkatastrophe so zerstörerisch war, dass die Grundversorgung für lange Zeit nicht mehr möglich sein wird, stellen sich weitere Fragen. Welchen Einfluss hat der kommunale Sanierungsstau, der seit Jahren immer größer wird? Für Leitungsnetze wird zudem eine biblische Nutzungszeit von mehreren Jahrzehnten veranschlagt. Notwendige Investitionen werden häufig erst dann vorgenommen, wenn Schäden bereits eingetreten sind.

Wenn also die Schuldenbremse im Grundgesetz schon nicht abgeschafft wird, dann sollte in jedem Fall die Notfallklausel über einen längeren Zeitraum bis zum Ende des Jahrzehnts aktiviert bleiben, so wie es eine Studie des IMK kürzlich dargelegt hat. Denn es wird Jahre dauern, bis die Folgen behoben sein werden, die durch eine neoliberale Sparpolitik angerichtet worden sind. Bereits jetzt wird befürchtet, dass angesichts der Bekenntnisse zu Schwarzer Null und Schuldenbremse insbesondere den Kommunalfinanzen ein Long-Covid droht und damit eine Kürzung notwendiger Investitionen in die kommunale Infrastruktur, was langfristig spürbare Folgen haben wird.


Bildnachweis: Meine Reise geht hier leider zu Ende. Märchen beginnen mit auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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