Die Pandemie isch im Prinzip over

Geschrieben von: am 12. Jul 2021 um 10:49

Der verdammte Fußball, die verdammte UEFA und natürlich diese blöden Engländer, die einfach Party machen, als wäre die Pandemie vorbei. Sehen die denn nicht, wie schlimm es bei denen gerade ist? Müssen wirklich die Oberlehrer-Krauts aus good old Germany den Tommys erklären, dass ihre Inzidenzen durch die Decke gehen und sie einen Superspreader-Sunday veranstaltet haben? Da stehts doch. Eine Region im Nordosten von England hat sogar den Spitzenwert von über 800 geknackt. Pardon: 801,96. Der Deutsche ist ja mittlerweile auf die Nachkommastelle genau. Jedenfalls: Die spinnen doch! Nein. Die Pandemie isch im Prinzip over.

Eine in vielen Belangen bemerkenswerte Europameisterschaft ist zu Ende und hat in Italien einen verdienten Champion. Die Idee eines paneuropäischen Turniers wird allenthalben begrüßt, Umsetzung und Zeitpunkt aber kritisiert. Die vielen Reisen werden angeführt, was natürlich vollkommen lächerlich ist in einer globalisierten Profiwelt, wo das Flugzeug wie auch die Werbung für Qatar Airways ganz selbstverständlich zur Doppelmoral gehören. Nein, das eigentliche Problem ist doch, dass dieses Turnier schonungslos offengelegt hat, wie uneinig und zerstritten der Kontinent ist. Ein Europa-Turnier der Entfremdung, meint Michael Horeni in der FAZ.

Den Regierenden könnte dieser durchaus zutreffende Befund als Mahnung dienen, doch was geschieht? Das alberne nationale Gehampel um eine Pandemie im Endstadium nimmt immer groteskere Züge an. Irgendein Kassenarztchef fordert das Verbot von Reisen für Ungeimpfte, andere sorgen sich um die vierte Welle, die nun wirklich die Schulen flächendeckend erfassen wird und wieder andere loben mal eben 500 Euro Impfprämie aus, während das RKI seine Zahlen zur Impfquote auf der Grundlage neuer Modellierungen – waren ja bisher auch sehr zielgenau – beständig weiter nach oben schraubt. Willkommen im Gagaland, das 2024 selbst die Europameisterschaft ausrichten will. Na, ob das was wird? Karl Lauterbach hat sich noch nicht dazu geäußert.

England war nach 55 Jahren ohne Titel 65 Minuten lang Europameister. Wäre es so geblieben oder hätten Glück und Können im Elfmeterschießen zugunsten der Three Lions den Ausschlag gegeben, der Freedom Day am 19. Juli wäre auf gestern und heute vorverlegt worden und eine Woche Hemmungslosigkeit die Folge. London wurde aber auch so abgerissen. Und das alles bei dieser extrem hohen Inzidenz. Nur interessiert die außer den Deutschen kaum noch jemand. Ist das unverantwortlich? Nein, nur etwas realistischer. Die Inzidenz hat ausgedient, weshalb es auch vollkommen bescheuert ist, sie deshalb auf die Nachkommastelle genau auszuweisen, wie das gerade in den täglichen Reports der deutschen Qualitätsmedien passiert. Hilfe, die Inzidenz steigt nun aber schon das neunte Mal in zehn Tagen.

Hallo, was anderes zu erwarten, wäre auch ziemlich naiv. Man kann nicht oft genug betonen, dass Ansteckungen im Rahmen des Aufhebens von Beschränkungen akzeptiert werden müssen. Man kann nicht beides haben. Mehr Freiheit und weniger Infektionen. Das wird nun auch der Politik allmählich klar, denn nur sie entscheidet über das Ende des Ausnahmezustandes, nicht die Virologen, die sich so jämmerlich blamieren, und auch kein Karl Lauterbach. Dem Bundesgesundheitsminister scheint es jedenfalls zu dämmern. Er will immerhin nach 17 Monaten die Kliniken mal um genauere Daten zur Einschätzung der Lage bitten und das ihm unterstellte RKI hat vor, die Hospitalisierungen als zusätzlichen Leitindikator einzuführen. Spahn meint inzwischen auch, dass die Inzidenz zunehmend an Aussagekraft verliere. Eben. Pandemie isch im Prinzip over. Die Probleme mit dem Politikversagen bleiben aber.


Bildnachweis: André Tautenhahn

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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