Krisenkommunikation statt Gesundheitspolitik

Geschrieben von: am 25. Mai 2021 um 20:28

Nach der heutigen Landespressekonferenz stehen zwei Dinge fest.

  1. Die neue Verordnung, die zum Ende der Woche erscheinen muss, weil die alte ausläuft, wird nicht schöner zu lesen sein, wie Regierungssprecherin Anke Pörksen ankündigte. Die Einarbeitung des Stufenplans 2.0 sei rechtlich nicht so trivial. Mit anderen Worten: Die Rückkehr in die Normalität wird mit noch mehr Paragrafen gepflastert.
  2. Außerdem fordert die Landesregierung rund eine Million zusätzliche Impfdosen für Schüler. Man habe schließlich seine „Hausaufgaben“ erledigt, die Bedingung des Bundesgesundheitsministers erfüllt und als erstes Bundesland ein Impfkonzept vorgelegt. Nun muss also Jens Spahn am Donnerstag beim Impfgipfel erklären, wie er aus der Nummer wieder herauskommt.

Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens ist noch nicht lange im Amt. Ministerpräsident Stephan Weil berief sie im März als Nachfolgerin von Carola Reimann, die aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war. Behrens soll wegen ihrer Fähigkeiten zur Krisenkommunikation eingestellt worden sein. Gute Nachrichten mussten auch her. So jazzte sie das Schlusslicht Niedersachsen bei den Erstimpfungen ins obere Tabellendrittel. Mit einer Quote von 41,3 Prozent liegt man auf Platz 5.

Bei den vollständig Geimpften trägt das Land mit einer Quote von 12,6 Prozent dagegen die Rote Laterne. Das war der Preis. Inzwischen musste der Turbo bei den Erstimpfungen zuletzt abgeschaltet werden (siehe hier und hier), weil die verfügbare Menge an Impfstoff sonst nicht mehr für die anstehenden Zweitimpfungen gereicht hätte. Ein riskantes Manöver, das in Einzelfällen sogar dazu geführt hat, dass bereits geplante Zweitimpfungen verschoben werden mussten. Zumindest stehen die als „Abstimmungsschwierigkeiten“ titulierten Pannen in einem zeitlichen Zusammenhang.

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Die Ministerin, die hier einen hohen Einsatz für gute Schlagzeilen spielte, kann anklagend auf den Bund verweisen, dessen unregelmäßige Lieferungen das Problem verursacht hätten. Das klingt natürlich plausibel, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, das es hier nur um Krisenkommunikation geht. Niedersachsen kommt beim Impfen eben nicht so richtig vom Fleck und versucht deshalb mit einem Impfkonzept für Kinder und Jugendliche Pluspunkte zu sammeln. Betont wird daher auch, als erstes Bundesland einen Fahrplan vorgelegt zu haben.

Es liege nun an Bundesgesundheitsminister Spahn, die erforderlichen Dosen bereitzustellen und an der EMA, die den Impfstoff für jüngere Altersklassen überhaupt erst noch zulassen muss. Damit ist die eigentliche Botschaft der Landesregierung klar. An uns liegt es nicht. Ob eine Impfung der Kinder und Jugendlichen überhaupt gewollt ist, bleibt unklar. Zwar wolle man dafür werben, betont wird aber auch die Freiwilligkeit. „Es ist ein Angebot, keine Pflicht.“ Fragen nach berechtigten Bedenken werden mit Verweis auf die Expertise der Zulassungsbehörden abgebügelt. An der wolle man sich orientieren.

Heißt im Klartext: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Fehlt der Impfstoff, ist der Bund Schuld, fehlt die Zulassung oder die Empfehlung, dann haben die EMA oder die STIKO den Schwarzen Peter. Kommt es zum sozialen Druck, kann die Regierung auf die Zwanglosigkeit verweisen. Die Ministerin hat ihren Auftrag in jedem Fall erfüllt und durch geschickte Krisenkommunikation Schaden von der Landesregierung abgewendet. Unter diesem strategischen Blickwinkel rangiert die Gesundheit der Bevölkerung und hier insbesondere der Kinder und Jugendlichen nur an nachgeordneter Stelle.

Schließlich hätte sich die Ministerin aus ressortfachlicher Sicht auch skeptischer äußern oder gar distanzieren können. Ein Blick nach Israel und Großbritannien zeigt bereits, dass Kinder und Jugendliche nicht geimpft werden müssen, um eine Kontrolle über das Infektionsgeschehen zurückzugewinnen. Die Fachkompetenz von Daniela Behrens ist aber nicht die Gesundheitspolitik, die einen solchen Blick verlangt, sondern die Krisenkommunikation. Vom Ansatz her geht es dann auch darum, den Klienten Landesregierung besser aussehen zu lassen, indem man einem anderen Mitspieler den Schwarzen Peter zuschiebt.

Jens Spahn, der mit seinen Ankündigungen schon oft enttäuschte, wird nun der Landesregierung, die bereits einen Zeitplan entworfen hat, antworten müssen. Weil er das nicht kann, hat er am Wochenende im Interview mit einem Sonntagsblatt vermutlich zu der perfiden Kommunikationsstrategie gegriffen, Menschen mit einem bestimmten Migrationshintergrund als Viruseinschlepper zu verunglimpfen. Die empörten Reaktionen sind einkalkuliert. Sie sollen davon ablenken, dass der Minister innenpolitisch kaum mehr als haltlose Ankündigungen und die Bitte um Geduld zu bieten hat, nachdem nun auch die Freigabe der Priorisierung bei beständiger Impfstoffknappheit zum Bumerang zu werden droht.

So ist die Pandemie längst zu einer politischen Krise geworden, in der es nur noch darum geht, den finalen Shitstorm zu vermeiden. So hat die Landesregierung Niedersachsen die Aufhebung der Maskenpflicht im Einzelhandel, die innerhalb der Koalition besprochen und durchgestochen worden war, sehr schnell wieder einkassiert, nachdem sich in den sozialen Medien eine Welle der Empörung aufbaute. Es war wiederum die Gesundheitsministerin in ihrer Funktion als Fachkraft für Krisenkommunikation, die per Twitter umgehend für eine Klarstellung sorgte.

Team Vorsicht macht mit der Angsthasenpolitik weiter und wird deshalb als nächstes eine Verordnung präsentieren, die vermutlich jeden Rahmen sprengt, nur um sich nicht dem Verdacht der Leichtsinnigkeit auszuliefern. So wird es auch bei der Testpflicht in der Außengastronomie bleiben. Da sehe man keinen plausiblen Grund, das anders zu handhaben. Stimmt. Man kann sich mit Test an einen Tisch setzen und Kaffee trinken oder aber ohne Test den Außenbereich durchqueren und einen Coffee to go an der Theke ordern, um den dann mit Freunden zehn Meter weiter auf einer öffentlichen Bank oder an einem Brunnen sitzend zu genießen. Wer eine Innenstadt kennt, weiß wohl, wie absurd diese Regeln in der Praxis sind. Jemand, der sich nur mit Krisenkommunikation beschäftigt, übersieht das leicht.


Bildnachweis: André Tautenhahn

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Stefan Carl em Huisken  Mai 30, 2021

    Man sieht allerdings die Tendenz: alles nur unter öffentlicher Kontrolle. Bars etc. dürfen bei Inzidenzen zwischen 10 und 35 ohne Maskenpflicht öffnen, privat dürfen sich aber nur 10 Personen aus drei Haushalten treffen. Alles klar? Es geht um Schikane und Vereinzelung, ausser es stärkt die Wirtschaft … siehe Stufenplan Niedersachsen …

    • André Tautenhahn  Mai 30, 2021

      An die Kontaktregeln hält sich ohnehin niemand, überprüft werden sie auch nicht. ;-)