Die Infektionszahlen in Niedersachsen sinken, damit tritt in immer mehr Kreisen die Bundesnotbremse außer Kraft. Der Alltag der Menschen orientiert sich folglich wieder an den jeweiligen Landesregelungen, gegen die wiederum Klagen vor den Verwaltungsgerichten möglich sind. Und prompt gibt es die nächsten Ohrfeigen aus Lüneburg. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat heute die sogenannte „Landeskinderregelung“ außer Vollzug gesetzt. Eine Entscheidung mit Ansage.
Das es so kommen würde, hatte auch die Landesregierung geahnt, als sie den Urlaub im eigenen Land nur für Niedersachsen beschlossen hatte. Sie sprach von einer vorübergehenden Phase, um das Risiko von Viruseinschleppungen zu verhindern. Ein schwaches Argument, das auch dem politischen Marketing des „Team Vorsicht“ folgt. Ein reiner Selbstzweck sozusagen, der unter Missachtung der laufenden Rechtssprechung eine Ungleichbehandlung billigend in Kauf nimmt. Die Landesregierung hätte es besser wissen müssen, sagt auch der 13. Senat in Lüneburg.
In Anwendung und Fortführung seiner Rechtsprechung zur Rechtswidrigkeit des Beherbergungsverbots nach der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung vom 9. Oktober 2020 (Pressemitteilung Nr. 49 v. 15.10.2020) hat der Senat das grundsätzliche Verbot der Beherbergung von Personen ohne Wohnsitz in Niedersachsen zu touristischen Zwecken nicht mehr als notwendige Schutzmaßnahme angesehen. Das bloße Verbot der Beherbergung von auswärtigen Besuchern trage nur wenig zur Eindämmung des Infektionsgeschehens bei, da Tagestouristen trotzdem nach Niedersachsen kommen könnten, ohne einer Testpflicht zu unterliegen.
Quelle: OVG
Mit anderen Worten: Der Verordnungsgeber möge doch bitte zur Kenntnis nehmen, was vor einiger Zeit bereits entschieden worden ist und endlich aufhören, Probleme dort zu vermuten, wo keine sind. Denn es gebe auch weiterhin keine verlässlichen Daten darüber, wie sich das Reisen auf das Infektionsgeschehen konkret auswirke. Licht ins Dunkel hat die Landesregierung jedenfalls seit Oktober 2020 nicht gebracht. Seitdem besteht bekanntlich diese Wissenslücke. Im Ergebnis sei die Landeskinderregelung dann auch weder geeignet, noch erforderlich und schon gar nicht angemessen.
Mit Kanonen auf Spatzen schießen
Im Prinzip gab es somit drei Ohrfeigen und weitere dürften folgen. Denn mit Kanonen auf Spatzen schießt die Politik auch, wenn sie den Besuch eines Straßencafés von der Vorlage eines Impf- oder Genesenenausweises oder einer negativen Testbescheinigung abhängig macht. Seit einem Jahr ist im Grunde bekannt, dass es draußen weniger gefährlich ist als drinnen. Man könnte auch sagen, dass die Infektionsgefahr unter freiem Himmel so marginal ist, dass ein gesondertes Überwachungsprozedere, an dessen Fälschungssicherheit nun gearbeitet werden muss, schlicht unverhältnismäßig ist. Vor allem dann, wenn man sich ohne diesen bürokratischen Unsinn mit einem Coffee to go auch auf die Parkbank nebenan setzen kann.
Es würde ja reichen, einfachste Hygieneregeln zu beachten, doch das widerstrebt offenbar dem deutschen Ordnungssinn. Folglich werden bei immer schneller sinkenden Infektionszahlen zwar Lockerungen verkündet, diese aber mit einer Reihe neuer Einschränkungen verknüpft. Die Verordnungen werden daher mit den beschlossenen Erleichterungen gar nicht kürzer, sondern lustigerweise immer länger, vermutlich weil man sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, zu unvorsichtig zu sein. So will es offenbar die Marketingstrategie des Team Vorsicht. Der Autor Frank Lübberding schreibt in der FAZ, nachdem er die Sendung Hart aber fair gestern gesehen hat:
„Vielmehr schafft ein nicht existierendes Problem eine Kaskade neuer Probleme, die immer um eine Frage kreisen: Wie kann der Staat garantieren, dass sich wirklich nur Geimpfte, Genesene oder Getestete an einen Tisch in der Fußgängerzone setzen, um einen Kaffee zu trinken? Wir brauchen also ein fälschungssicheres Überwachungssystem, damit ein nicht existierendes Risiko wirklich vermieden wird.“
Anderswo würden die Behörden auf den Versuch verzichten, sich mit nicht existierenden Problemen zu beschäftigen. Doch von pragmatischen Lösungen will das Team Vorsicht mit überbordenden Ordnungsfimmel hierzulande nichts wissen, obwohl parallel auch immer wieder an die Eigenverantwortung der Bürger appelliert wird. Das ist nur überflüssig, wenn es im Grundsatz beim Modus der Bevormundung bleibt. Nun wird man also sehen, ob diese unhaltbar gewordene Strategie weiter Bestand haben wird und wie man diese noch absichern will. Die indische Mutante wird ja schon mal recht durchschaubar ins Blickfeld der panikanfälligen Öffentlichkeit gerückt. Sie müsste aber in jedem Fall eine andere Ausbaustufe des Raketenantriebs haben, den man der britischen Mutante lange Zeit angedichtet hat.
Bildnachweis: Screenshot, Corona-Verordnung Land Niedersachsen, Fassung vom 9. Mai.
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.