Das dürfte heute der Auftakt zu einer Woche voller Chaostage gewesen sein. Beim Impfgipfel am Mittwoch gibt es nach dem vorläufigen Platzverweis für AstraZeneca eigentlich nichts mehr zu diskutieren. Ohne Impfstoff braucht man auch keine Hausärzte mehr, die in den kommenden Wochen für mehr Tempo sorgen. Dafür gebe es nun aus Sicht der Bundesregierung wieder einen Grund, den Lockdown ein weiteres Mal drastisch zu verschärfen. Wenn etwas ganz sicher wächst, dann die Welle der Hysterie.
Wegen ein paar Fällen mit Komplikationen wird am heutigen Montag ein kompletter Impfstoff mal eben aus dem Kühlregal genommen. Der Vertrauensverlust ist enorm, nicht nur im Hinblick auf das Produkt von AstraZeneca, sondern generell, was die Impfung gegen die Krankheit Covid-19 anbelangt. Auch andere Vakzine dürften es mit der Akzeptanz nun schwerer haben, aber nicht weil die Menschen nichts von Impfungen hielten, sondern weil sie einer Regierung misstrauen, die erst aus Gründen der Sicherheit auf ein längeres europäisches Zulassungsverfahren setzt und nun plötzlich erklärt, das man sich wegen weniger Thrombosen nicht mehr so sicher ist.
Weil offenbar viele andere Länder den Impfstoff von AstraZeneca nach und nach suspendierten, hat nun auch das Paul-Ehrlich-Institut auf einmal festgestellt, dass es wohl besser wäre, der Herde hinterherzulaufen. Einen anderen Grund gibt es augenscheinlich nicht, da die Blutgerinnsel, die im Zusammenhang mit der Impfung auftreten können, nicht besonders häufig sind. Das Risiko ist eher gering, der Umgang damit aber, nun ja, hysterisch. Und das passt wiederum ins Bild. Denn die Aufregung könnte natürlich auch eine Folge der allgemeinen Panikmache sein, die sich konstant seit einem Jahr durch diese Krise zieht. Mit der Pandemie wird eben nicht gelassen umgegangen, sondern stets alarmistisch.
Seit Tagen starrt man erneut auf Inzidenzen und warnt vor schlimmen Entwicklungen und vielen Toten. Besonders häufig meldet sich Karl Lauterbach zu Wort, der sich nun aber über diesen Impfstopp zurecht wundert. Er hätte so nicht entschieden, eben weil es sich nur um wenige Fälle handelt, die man zwar nicht vernachlässigen dürfe, aber eben auch vernünftig einordnen müsse. Da hat er vollkommen recht. Auf der anderen Seite hatte derselbe Lauterbach vor ein paar Tagen noch einige wenige Fälle aus einer britischen Studie aufgebauscht und zum Anlass genommen, eine deutlich erhöhte Sterblichkeit durch die Virus-Mutation zu postulieren. Dieser Befund hat vermutlich nur bedingt etwas mit der Wirklichkeit zu tun, stützte aber einfach Lauterbachs Alarmismusnarrativ.
Wahlnachlese
Nun driftet das Geschehen ins andere Extrem ab und der Gesundheitsminister beteuert, das sei ja gar nicht politisch. Von wegen. Viele Lockdown-Anhänger, von denen man heute morgen den Hashtag #GenugJETZT lesen konnte, sind verstört. Sie verstehen nicht, warum da nun so übertrieben gehandelt wird. Das ist dann auf eine spezielle Art schon wieder lustig. Chaostage haben es aber so an sich, dass auch die Politik orientierungslos durch die Gegend stolpert. Am Freitag hatte Jens Spahn noch erklärt:
„Ich bedaure es, dass auf dieser Grundlage – Wissensstand jetzt Freitagvormittag – einige Länder in der Europäischen Union das Impfen mit Astrazeneca ausgesetzt haben. Mit dem was wir bisher wissen, ist der Nutzen (…) bei weitem höher als das Risiko.“
Quelle: Ärzteblatt
Am Montagmittag hat sich dieser Wissensstand nun plötzlich geändert, obwohl das medizinische Wissen im wesentlichen dasselbe blieb, wie Freitagvormittag oder Samstagabend. Allerdings hat sich der Kenntnisstand am Sonntag gegen 18 Uhr an anderer Stelle ein wenig erweitert. Vielleicht hat die Kopflosigkeit dann auch mit den Wahlereignissen von gestern zu tun, die im Kreise der Union allgemein als Weckruf verstanden worden sind. So forderte der CSU-Chef Markus Söder heute früh, dass sich etwas ändern müsse, vor allem bei den Impfungen. Die Politik solle dabei eine Vorbildrolle übernehmen und sich öffentlich mit AstraZeneca immunisieren lassen. Das würde dabei helfen, dem Akzeptanzproblem entgegenzuwirken.
Das war ein politisches Manöver, um sich vom Abwärtsstrudel innerhalb der Union zu emanzipieren. Dem Mitbewerber ums Kanzleramt, Armin Laschet, fiel noch weniger Originelles ein. Er drosch verbal auf die SPD ein. Doch weder Laschet, noch Söder machten dabei eine sonderlich gute Figur und der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, musste wiederholt erklären, dass die Länder, die nun reihenweise bei der Umsetzung der Coronabeschlüsse eigene Wege gehen, für deren Umsetzung alleine zuständig seien. Zwischen den Zeilen wurde damit deutlich, das Ding droht wieder zu entgleiten. Der Impfstopp also nur ein innenpolitisches Ablenkungsmanöver?
Der Verdacht liegt nahe, denn AstraZeneca hatte bereits eine weitere Kürzung seiner Liefermengen in der vergangenen Woche angekündigt. Eine Fortsetzung des Impfdebakels hätte man folglich gar nicht mehr aufhalten können. Bleibt nur noch die Flucht nach vorn mit einem Minister, der ohnehin nicht mehr zu halten ist. Dass man lediglich einer fachlichen Einschätzung folge leiste, ist natürlich vorgeschoben. Das Paul-Ehrlich-Institut wie auch das RKI sind Bundesbehörden, die zum Geschäftsbereich des Gesundheitsministeriums gehören. Die EU-Arzneimittelagentur folgt der deutschen Einschätzung jedenfalls nicht und fordert derzeit keine Aussetzung der Impfungen. Spahn wird daher am Ende dieser Chaostage wohl seinen Hut nehmen müssen.
Bildnachweis: Screenshot, Phoenix, 15.03.21
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.