Das mit der Demokratie ist eine blöde Sache. Denn in regelmäßigen Abständen, alle vier oder fünf Jahre, wird gewählt. Blöd sei das deshalb, weil ausgerechnet im zweiten Jahr der Pandemie so viele Urnengänge anstehen, in einigen Bundesländern schon recht bald und natürlich die große Bundestagswahl im Herbst. Gäbe es diese blöden Wahlen nicht, wären die Politiker viel ruhiger und würden nicht um die Krone des größten Lockerers wetteifern, so der Wissenschaftsjournalist Harald Lesch neulich in der Sendung Lauterbach. Er war dort unter anderem neben Maybrit Illner zu Gast.
Zunächst einmal, der Mann hat natürlich recht. Anstehende Wahlen begünstigen wohlfeiles Verhalten. Die SPD wäre da als Beispiel zu nennen. Die Partei läutet mal wieder ihr traditionelles linkes Halbjahr vor wichtigen Wahlen ein. Kanzlerkandidat Martin Schulz Olaf Scholz will wegen der coronabedingten Haushaltsdefizite sogar die Steuern für Besserverdienende und Vermögende erhöhen. Es sieht also danach aus, als beanspruche die SPD nach der Wahl nicht nur das Kanzleramt, sondern auch das Finanzministerium. Gäbe es diese blöde Bundestagswahl nicht, könnten sich die Sozialdemokraten tatsächlich ruhig zurücklehnen und müssten nicht wieder so tun, als wollten sie neben einer Juniorpartnerschaft mit der Union noch etwas anderes erreichen.
So aber fordert der Kanzlerkandidat notgedrungen eine „Gesellschaft des Respekts“, was mit Blick auf seine Karriere als treuer Agenda-Soldat einer gewissen Komik nicht entbehrt. Andere nennen seinen Wahlkampf daher ein kühnes Unterfangen. Aussichtslos, wäre wohl treffender. Insofern steht das Ergebnis bereits fest. Ein Politikwechsel bleibt wohl auch dieses Mal aus. Der Astrophysiker und Naturphilosoph Lesch liegt also ein wenig falsch, wenn er den Wahlen allzu große Bedeutung beimisst. Es geht ja vielmehr darum, dass die künftige Regierung nicht mehr von Königin Angela sediert werden wird. Da ist der ein oder andere aus dem Tiefschlaf erwacht. So muss die Thronfolge im schwarzen Familienbetrieb noch entschieden und möglicherweise auch eine neue Haltung zu Friedrich Merz entwickelt werden, der weiterhin an Selbstüberschätzung leidet und sich einfach von keiner Niederlage beeindrucken lässt.
Lesch hätte also nicht die Wahlen an sich in Zweifel ziehen sollen, sondern die Kanzlerin kritisieren müssen, die nach nur 16 Jahren im Amt, das Land einfach so im Stich lassen will. Gerade viele Haltungs-Linke trifft dieses Mutti-Manöver übrigens unvorbereitet. Nicht wenige haben sich am Rockzipfel eingerichtet und erleben jetzt eine Sinnkrise, die immer häufiger zu autoritären und illiberalen Gedanken führt. Lesch hätte also erkennen können, dass Demokratie möglicherweise keine zeitgemäße Beschreibung der Gegenwart mehr ist und vielleicht deshalb der Unmut in der Bevölkerung zunehmend größer wird. Gerade flattert als Bestätigung dieser These der nächste Entwurf für einen Bund-Länder-Beschluss auf den Tisch. Vier Leute aus den Staatskanzleien haben ihn geschrieben und sich zum Beispiel überlegt, Flugschulen wieder zu öffnen. Eine bekannte Hauptforderung der letzten Tage und über den Wolken soll die Freiheit ja grenzenlos sein.
Für andere Bereiche gilt weiterhin eine sonderbare Beleuchtungsregel.
„Über weitere Öffnungsschritte und die Perspektive für die hier noch nicht benannten Bereiche aus den Brachen Gastronomie, Kultur, Veranstaltungen, Reisen und Hotels wird im Lichte der Infektionslage unter Berücksichtigung der angelaufenen Teststrategie, des Impfens, der Verbreitung von Virusmutanten und anderer Einflussfaktoren auf der nächsten Sitzung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder beraten.“
Blöde Sache halt, aber vielleicht kann der Astrophysiker und aktuelle Ehrenpreisträger des Bayerischen Buchpreises Licht ins Dunkel bringen, auch vor dem Hintergrund, dass die forschen vier, die sich im Kanzleramt zusammenschalten ließen, es schon jetzt für vertretbar halten, Familientreffen an Ostern zu ermöglichen. Eine Diskussion ist erwünscht, am besten bei der nächsten Lauterbach-Sendung, gern mit weiteren Gästen wie Illner, Lanz, Maischberger oder Plasberg.
Bildnachweis: André Tautenhahn
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.