Der Lockdown kann beendet werden

Geschrieben von: am 21. Feb 2021 um 20:47

Der Lockdown kann beendet werden. Der Vorwurf, man wolle damit mehr Tote in Kauf nehmen, ist falsch. Er lenkt auch davon ab, dass das Sterben schon längst einfach hingenommen wird. Denn alle bisherigen Einschränkungen haben nicht verhindert, dass viele Ältere unkontrolliert durchseucht wurden. Eine Anpassung der Strategie fand trotzdem nie statt. Es wurde lediglich allgemein verschärft und verlängert, statt die Risikogruppen besser zu schützen, übrigens auch die, die nicht so im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Bei Markus Lanz rätselte man sogar darüber, ob das Rodeln Ansteckungen begünstige. Das Rodeln nicht, aber vielleicht die Schlange an der Bratwurstbude. Na ja. Später eilten eifrige Ordnungshüter vor laufenden Kameras vermeintlichen Maskenmuffeln im Schnee hinterher. Das war nur noch absurd.

Nun haben wir fast schon so etwas wie Frühling mit viel Sonne. Die Leute gehen einfach raus, weil sie wissen, dass Außenräume gesünder sind. Warum sollte man auch sonst ständig lüften? Aber auch das ist wieder falsch, weil es die Menschen verstärkt dorthin zieht, wo es trotz geschlossener Cafés wenigstens noch etwas Erholung oder Natur zu sehen gibt. Man könnte ja wieder anderen Menschen begegnen, so die Befürchtung. Dabei ist genau das geboten.

Hilfe, wie kann man nur für mehr Kontakte werben. Spinnt der total. Nein. Das Verhalten der Menschen ist und bleibt ja immer noch maßgeblich. Es ändert sich nur nicht durch Maßnahmen, die offenkundig blödsinnig und wirkungslos sind und schon gar nicht durch die sich ständig wiederholenden, penetranten Belehrungen der Regierenden oder des RKI-Chefs, dessen Appelle längst so klingen, als versuche er sie an notorisch unaufmerksame Kinder zu richten. Einfach lächerlich. Der Regensburger Rechtsprofessor Thorsten Kingreen spricht im Interview mit der Berliner Zeitung von einer altväterlichen Rhetorik, die ihn eher an die Rückgabe von schlechten Mathe-Klausuren zu Schulzeiten erinnert: „Thorsten, es reicht noch immer nicht!“ Kurzum: Der Rückhalt für die Maßnahmen schwindet und die Bevölkerung ist allenfalls noch in den Umfragen bereit, den hilflosen Aktionismus zu unterstützen. Die Wirklichkeit sieht dann aber anders aus.

Im Alltag hat jeder Abstandhalten und Hygiene verinnerlicht. Fahrlässig verhalten sich wohl die wenigsten. Wenn man natürlich einen erwischt, der seine Maske mal wieder nicht korrekt trägt, war das bisher immer eine Schlagzeile wert. Nun nicht mehr so häufig, denn so langsam nutzt sich die Empörung auch ab oder verlagert sich in die (a)sozialen Netzwerke. In den Medien geht es inzwischen durchaus differenzierter zu. Es kommen Stimmen zu Wort, die darauf hinweisen, dass es problematisch ist, die einen zu retten, indem man anderen großen Schaden zufügt. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sagt, jemanden zu schädigen, sei etwas anderes, als jemanden einzuschränken. Sie hat dabei vor allem Kinder, aber auch Frauen und Obdachlose im Blick. Und sie hat recht. Es wird viel zu wenig über die doppelt negativen Folgen des Lockdowns gesprochen. Er ist nicht nur offensichtlich wirkungslos beim Schutz der Risikogruppen, sondern zerstört auch noch die Existenz vieler anderer Menschen. Beides ist nicht hinnehmbar.

Die Empfehlung, unter allen Umständen zu Hause zu bleiben, also stay at home zu betreiben, ist eine der widersprüchlichsten, vor allem wenn man sich klarmacht, dass die meisten Ansteckungen gerade zu Hause in der eigenen Familie stattfinden. Es ist auch ein Irrtum, dass man ein größeres Infektionsrisiko eingeht, wenn man draußen mit Fremden zusammen ist. Das Problem sind die geschlossenen Räume, nicht die Außenterrasse eines Cafés. Insofern werden sich auch die Panikmacher nicht durchsetzen, die beim Blick auf den R-Wert – plötzlich hat er wieder Bedeutung – vor der nächsten Welle warnen. Was will man damit auch erreichen? Die Fortsetzung dessen, was nicht wirkt? Warum sollte das, was gerade die nächste Welle auslöst, nämlich der Lockdown, diese verhindern? Die Antwort ist klar. Es sollten aus Sicht der Alarmisten noch härtere Maßnahmen ergriffen werden, aber dafür gibt es wohl keine Mehrheit mehr, auch weil der bereits angerichtete Schaden dafür einfach zu groß ist.

Das erhöht den Druck (auch hier) auf die Politik und es wird daher zu weiteren Öffnungen kommen, auch weil es unsinnig ist, nunmehr jede Infektion verhindern zu wollen. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat vergangene Woche angedeutet, neue Fantastereien um Inzidenzwerte nicht mehr länger dulden zu wollen. Das hat die Politik sehr wohl registriert, die sich auf ein Infektionsschutzgesetz stützt, das vielleicht einiges, aber längst nicht alles deckt. Fakt ist ebenfalls, dass das Gesundheitssystem nicht mehr überlastet ist und es auch zu keinem Zeitpunkt wirklich überlastet war. Es ist aber weiterhin dramatisch unterfinanziert, so dass auch künftig mit starken Belastungen zu rechnen sein wird und regelmäßig Stationen schlichtweg abgemeldet werden müssen. Die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu verbessern, ist daher oberstes Gebot. Allerdings zeigt die Praxis der Klinikschließungen, dass am neoliberalen Modell und der betriebswirtschaftlichen Logik festgehalten werden soll. Man muss sich aber entscheiden. Gewinne und Gesundheit, beides passt nicht zusammen.


Bildnachweis: Gerd Altmann auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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