Öffentlichkeitsarbeit für den deutschen Michel

Geschrieben von: am 01. Feb 2021 um 10:40

Guten Morgen. Biontech will 75 Millionen zusätzliche Impfstoffdosen liefern, heißt es in der ersten Top-Meldung des Tages. Am Sonntag kündigte bereits AstraZeneca etwas Ähnliches an, nachdem es zuvor heftigen Streit zwischen der EU-Kommission und dem britisch-schwedischen Hersteller gegeben hatte, der sogar die Drohung nach einer Beschränkung von Exporten beinhaltete. Am Sonntagabend verkündete dann Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen exklusiv im deutschen Fernsehen beim ZDF heute journal die europäische Impfstoff-Strategie. Der Rest Europas staunt und fragt sich, ob von der Leyen nur dazu da ist, der deutschen Bundeskanzlerin vor dem heutigen nationalen Impfgipfel eine gute Ausgangsposition zu verschaffen.

Die Bundesregierung betreibt Schadensbegrenzung. Vor dem heutigen Impfgipfel folgt ein breit angelegter Befreiungsschlag mit einer Mischung aus zweifelhaften Absichtserklärungen der Hersteller, die ja selbst am Gipfel teilnehmen, und den üblichen Beschwichtigungen. Bevor die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen im heute journal auftrat, gab Gesundheitsminister Jens Spahn bei Berlin direkt ein Interview. Dabei durfte der Minister seine Version der Geschichte erzählen. Für ihn selber sei demnach immer klar gewesen, dass es am Anfang knapp werden würde, doch die Erwartungshaltung sei zu groß gewesen. Da hätte im Nachhinein das Management in Sachen Kommunikation besser sein müssen. Das eigentliche Problem hat er damit elegant umschifft. Schließlich gab es konkrete Lieferpläne und Zusagen, die mehrfach nicht eingehalten wurden.

Die Erwartungshaltung hat die Bundesregierung selbst geschürt, auch weil es ihr mit den bisherigen Maßnahmen nicht gelungen ist, die gefährdeten Gruppen besser zu schützen. Doch die Verantwortung dafür wollen weder der Gesundheitsminister, noch die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen übernehmen. „Wir alle sind in der Verantwortung“, so Spahn moralisierend. An Schuldzuweisungen wolle er sich nicht beteiligen, um dann aber trotzdem zu sagen, dass man überall, im Bund, im Land wie auch in jedem Landkreis manche Dinge hätte früher angehen können. Diese dreiste Art der Verantwortungsverschiebung dürfte bei Ländern und Kommunen vermutlich gar nicht gut ankommen. Dort darf man sich nämlich den Spott und die Unzufriedenheit über die gescheiterte Impfstrategie zu aller erst anhören. Protzige Impfzentren, die seit Mitte Dezember leer stehen und zusammenbrechende Telefonhotlines, die kaum Termine vergeben können, weil der Impfstoff fehlt.

Das Virus ist der gemeinsame Gegner, versuchen Spahn und von der Leyen mit Kriegsrhetorik abzulenken und auf einen Kampf einzuschwören. Es helfe nicht, wenn in dieser Ausnahmesituation jeder mit dem Finger auf den anderen zeige. Also bitteschön kein friendly fire, so lautet die Botschaft vor dem Gipfel. Man könnte auch sagen, alles dient dem Schutz der Kanzlerin, die noch Ende Oktober eine nationale Kraftanstrengung von der Bevölkerung verlangte. Einen Monat lang. Heute beginnt der Februar und Merkel würdigt den gewaltigen Kraftakt, den Familien in dieser Krise leisten. Es sei bitter, dass Kinder und Jugendliche derzeit auf vieles verzichten müssten, was in dieser Lebensphase sonst so wichtig sei und Freude mache: Freunde treffen, Hobbys nachgehen, feiern oder einfach nur unbeschwert in den Tag hineinleben.

Imagepflege für die Kanzlerin

Diese Betroffenheit, die Merkel in ihrem Podcast zeigt, dient ausschließlich der persönlichen Imagepflege. Die Unterstützung für ihre Politik schwindet. Sie demonstriert daher Anteilnahme. Doch läge ihr tatsächlich etwas an dem Schicksal der Kinder, hätte sie auf die Folgen ihrer gescheiterten Pandemiepolitik selbstkritischer hingewiesen. Bewegungsmangel, Sprachentwicklungsstörungen, psychische Probleme, Depression und Traurigkeit. Solche Diagnosen stellen die Kinderärzte immer häufiger in ihren Praxen. Der flächendeckende Ausfall des Präsenzunterrichts trifft zudem die Kinder aus einkommensschwachen Familien deutlich härter. Die Unterschiede zwischen arm und reich werden somit dramatischer, auch was die gesundheitliche Ungleichheit betrifft. Doch über Hilfen für die Ärmsten wird erst einmal gar nicht diskutiert und dann um mickrige Beträge gestritten.

Kinder und Jugendliche wollen nicht einfach unbeschwert in den Tag hineinleben, sondern ihre Grundrechte zurück. Doch Hoffnung auf ein Ende der Lockdown-Logik macht Merkel nicht. Im Gegenteil, sie warnt nun vor den Varianten des Virus, weiß aber nichts Genaues darüber. Es ist derzeit wie im Mittelalter, wo der Glaube das Wissen überwiegt. Wenn man keine verlässlichen Daten hat, kann man am Ende alles rechtfertigen. So war es Ende Oktober, als man das fehlende Wissen über die Nachvollziehbarkeit von 75 Prozent der Neuinfektionen als Begründung für eine weitgehende Schließung des öffentlichen Lebens anführte, die bis heute andauert und um sinnlose Schul- und Kitaschließungen erweitert wurde, ohne dass eine bessere Datenbasis dies irgendwie stützen würde.

Das die Alten in den Heimen sterben, liegt aber nicht an den Kindern, sondern an einem Politikversagen. Nachdem ein besonderer Schutz der Risikogruppen lange Zeit abgelehnt wurde, wird er nun eher halbherzig mit mehr FFP2-Masken und Schnelltests umgesetzt. Das Chaos bei der Beschaffung des Impfstoffes reiht sich in die Negativliste nahtlos ein. Doch statt Verantwortung zu übernehmen, macht es die Kanzlerin wiederum vom Verhalten der Gesellschaft als Ganzes abhängig, wie schnell Bildungseinrichtungen geöffnet werden können. Das ist keine Strategie, sondern eher eine Art Bestrafungsmechanismus, bei dem die Kinder für das Verhalten ihrer Eltern haften müssen. Dabei kommt es natürlich auf jeden einzelnen an. Nur muss die Kanzlerin endlich begreifen, dass die Methode Holzhammer die Köpfe der Menschen kaum noch erreicht. Die erwarten Evidenz und Nachvollziehbarkeit, statt Vermutungen, Panikmache und Chaos.


Bildnachweis: Screenshot, heute journal vom 31. Januar 2021.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Jannis Oberdieck  Februar 2, 2021

    Sehr geehrter Herr Tautenhahn,

    ich habe mich sehr über die zwei Seitenhiebe gewundert, mit denen Sie Schulschließungen für sinnlos erklären. Dass damit massive Schäden für Schüler einhergehen, steht außer Frage. Aber Sie haben doch an anderer Stelle schon sehr kritisch kommentiert, dass KITA- und Krankenhauspersonal in unverantwortlicher Weise Risiken ausgesetzt und verheizt werden. Bis zur Schulschließung im Dezember sah es so aus, dass Schüler bei uns in der Schule wegen Ansteckungsgefahr keine Materialien weitergeben durften, so dass ich mich jeweils in der Stunde zwischen bis zu 32 dicht sitzenden Schülern durchquetschen musste, um Arbeitsblätter auszuteilen – mich nachmittags aber auch bei Einhaltung des Abstands nicht mit zwei Freunden auf einmal treffen durfte. Zudem werden auch jetzt in der Corona-Krise freiwerdende Stellen nicht wieder neu bewilligt, so dass Kurse und Klassen mitten in der Pandemie zusammengelegt werden müssen. Umgekehrt hätte man diese Gelegenheit ja auch für eine Umkehr in der Bildungspolitik nutzen und zumindest wieder langfristig Klassengrößen von maximal 22 anstreben können. Unter den gegenwärtigen Bedingungen (zu große Klassen, zu kleine Räume, z.T. keine Lüftungsmöglichkeiten…) ist in meinen Augen die Sicherheit der Lehrkräfte überhaupt nicht mehr zu gewährleisten und die Schulschließungen sollten daher weniger als Folge von Corona, sondern eher als Folge der massiven Bildungseinsparungen gesehen werden. Ich hätte mir, da mir Ihre Seite ansonsten hervorragend gefällt, doch gewünscht, dass Sie sich entsprechend solidarischer mit den Lehrkräften zeigen.

    Mit freundlichen Grüßen!

    • André Tautenhahn  Februar 2, 2021

      Lieber Harr Oberdieck,
      da haben Sie vollkommen recht. Nur sollen Kitas und Schulen solange geschlossen bleiben, bis die Landesregierungen an ihrer Bildungspolitik endlich etwas ändern und mehr Personal einstellen oder größere Gebäude planen, damit es kleinere Klassen geben kann? Bei uns in Wunstorf gab es den ehrgeizigen Plan, zehn Grundschulen in zehn Jahren zu Ganztagsschulen auszubauen. Wir schaffen aber gerade mal zwei Schulen in sechs Jahren und das auch nur mit Abstrichen bei der Ausstattung. Ich kenne die Wünsche der Lehrer und halte sie für berechtigt. Umgesetzt werden dann aber Kompromisse, die, und das zeigt die Pandemie, nicht krisenfest sind. Ich finde es skandalös, dass unsere Kinder in jeder Entwicklungsstufe auf Baustellen oder in Containern unterrichtet/betreut werden und jetzt eben zu Hause. Ich bitte um Verständnis, dass ich in diesem Fall etwas mehr Partei für die Jüngsten ergreife, auf deren Rücken schon lange Politik betrieben wird. Ihre Kritik ist dennoch berechtigt.