Realitäten anerkennen

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Wenn über Griechenland gesprochen wird, ist immer von einem Programm die Rede. Die Griechen sagen, es sei gescheitert. Die Eurogruppe sagt, es sei eine Bedingung. Damit geht es nicht wie vielfach behauptet um verhärtete Fronten, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, sondern darum, dass hier jemand die Realität nicht akzeptieren will.

Dass Schäuble und seine aalglatte Sprechpuppe Dijsselbloem die gesellschaftliche Wirklichkeit ausblenden, ist sonnenklar. Sie berufen sich auf eine Vertragsrealität und argumentieren juristisch nicht ökonomisch, wie Thomas Fricke schreibt. Während Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis neben ökonomisch vernünftigen Argumenten auch auf die humanitäre Lage in seinem Land verweist, die es zu beenden gilt, erntet er in diesem Punkt nur kühle Ignoranz. Es scheint fast so, als wollte Schäuble sagen, dass das Leid der Menschen in Griechenland nicht Gegenstand der Verhandlungen in Brüssel sein könne.

Teutonische Selbstüberschätzung

Ihm tun die Griechen trotzdem leid, aber nicht, weil sie leiden, sondern weil sich ihre Regierung (dem deutschen Finanzminister gegenüber) unverantwortlich verhalte. An der verwüsteten griechischen Gesellschaft ist Schäuble nicht sonderlich interessiert. Er hält die Demütigung, die das Eingeständnis, bei der Eurorettung völlig versagt zu haben, mit sich brächte, für weitaus schlimmer. Wie stünde Europa auch da, in dem seit Ausbruch der Krise endlich wieder Deutsch gesprochen werde.

Haushaltsdisziplin, schwarze Null und eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang: Das sind die Eckpfeiler, auf denen ein neuer teutonischer Größenwahn beruht und manchen hierzulande glauben lässt, Deutschland sei ein Musterschüler mit Vorbildfunktion. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis glaubt nicht daran, denn er weiß es aufgrund seiner Ausbildung einfach besser. Er bezeichnet das alte Kürzungsprogramm, an dem Juristen wie Schäuble festhalten wollen als Ursache des Problems und nicht als Lösung.

Da spricht ein Fachmann, der volkswirtschaftliche Zusammenhänge versteht und daraus seine Schlüsse zieht. Schäuble ist auch Fachmann, aber nicht auf dem Gebiet der Ökonomie. Er ist vielmehr ein Vollstrecker, der einer vorgegebenen politischen Agenda folgt. Davon lässt er sich weder durch Vernunft noch durch sein offenkundiges Scheitern abbringen. Neben Varoufakis wirkt Schäuble aber nicht sonderlich kompetent. Das führt zu kindischen Reaktionen (Ultimatum) oder zu Frechheiten wie der Bemerkung Varoufakis hätte noch Luft nach oben.

Die griechische Regierung ist gespickt mit Wissenschaftlern, die an renommierten Hochschulen der Welt studiert und gelehrt haben. Sie werden trotzdem als Radikale oder Spinner bezeichnet, weil sie einen seit Jahren eingeübten Glauben bedrohen. Die Bundesregierungen bestehen in der Regel aus gelernten Berufspolitikern mit Sprechblasenzusatzausbildung, die ihre akademischen Grade zum Teil erschlichen haben. Die beruflichen wie wissenschaftlichen Abschlüsse werden von diesen Damen und Herren lediglich zur Dekoration getragen. Etwas mit der Praxis zu tun haben, wollen sie lieber nicht, es aber auf jeden Fall immer besser wissen.

Die Zeit läuft für beide Seiten ab

Im Schuldenstreit heißt es, dass vor allem Griechenland die Zeit davon laufe. Dass muss dann aber auch für die Gläubiger gelten, die im gleichen Boot sitzen und im Falle einer Zahlungsunfähigkeit auf Forderungen in Milliardenhöhe verzichten müssen. Schäuble warnt deshalb: Wenn das aktuelle Hilfsprogramm nicht ordnungsgemäß beendet werde, „wird eine schwierige Situation entstehen“. Nur für wen?

Für die Finanzmärkte wohl eher nicht. Denn da hat eine Pleite der Griechen ihren Schrecken offenbar verloren. Dort sitzen auch kaum noch Gläubiger, die um den Wert ihrer griechischen Staatsanleihen bangen müssten. Diese haben sie nämlich, Schäuble sei Dank, zu einem guten Kurs beim ersten Schuldenschnitt an die öffentliche Hand weiterreichen dürfen. Überhaupt hat sich die Dauer der Eurorettungsaktion für den Finanzsektor gelohnt. 77 Prozent der Hilfen gingen direkt dorthin.

Der Spiegel schreibt: “Von den bis Mitte 2013 nach Griechenland geflossenen knapp 207 Milliarden Euro sind gut 77 Prozent direkt (58,2 Milliarden für Bankenrekapitalisierung) oder indirekt (101,3 Milliarden für Gläubiger des griechischen Staates) an den Finanzsektor geflossen. Für den Staatshaushalt blieben aus den Rettungsprogrammen weniger als ein Viertel.” Griechenland war also nur eine Zwischenstation, um die eigentliche Bankenrettung, um die es in Wahrheit immer ging, zu verschleiern.

Auch diese Realität gilt es endlich anzuerkennen.


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Nichtwähler sind stärkste Kraft in Hamburg

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Die Wahl in Hamburg bestätigt Trends. Ein Trend zur politischen Profillosigkeit und einen ungebrochenen Trend zur Wahlenthaltung. Statt über Erfolge sollte die Politik über ihr Scheitern diskutieren.

Die Wahl in Hamburg ist vorbei und es gibt wieder nur Gewinner. Allen voran die FDP, von der 99 Prozent ihrer Wähler meinen, sie stünde klar für Marktwirtschaft. Tut sie aber nicht. Bei den Liberalen stand nur Spitzenkandidatin Katja Suding im Rampenlicht, nicht die Marktwirtschaft. Sie ist eine PR-Fachfrau, die weiß, wie man ein Image formt. Nicht umsonst lag Suding in der Zufriedenheitsabfrage, die nicht mehr als die Präsenz in der Öffentlichkeit misst, auf Platz zwei hinter Olaf Scholz. Es ist weniger die Marktwirtschaft als eine toll bebilderte Boulevard Kampagne gewesen, die der FDP in Hamburg wieder auf die „Beine“ half.

Heikle Trends

Auf der anderen Seite soll auch Olaf Scholz gewonnen haben, einer, der landauf landab als Ableger eines neuen Politiker Typus beschrieben wird, den offenbar Angela Merkel schuf. Heribert Prantl schreibt von einem Triumph des Fleißigen, der durch auffällige Unauffälligkeit besticht. Ein Trend in der Politik, wie Prantl meint. Aber auch er übersieht das Wesentliche. Dem Triumph steht eine abermals gesunkene Wahlbeteiligung gegenüber. Nur noch 56,6 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre „Stimmen“ ab. Erstmals durften auch Jugendliche ab 16 an die Urne. Rund 1,3 Millionen Hamburger waren zur Wahl aufgerufen und damit rund 40.500 Wahlberechtigte mehr als 2011. Vor diesem Hintergrund wirkt der Rückgang der Wahlbeteiligung noch einmal dramatischer.

Die Nürnberger Nachrichten kommentieren treffend: „Die SPD in Hamburg bleibt stark, sehr stark – aber sie ist nicht die stärkste Kraft in der Hansestadt: Das sind jene Bürger, die von ihrem Wahlrecht gar nicht Gebrauch gemacht haben. Immer mehr Menschen zweifeln an ihrem Einfluss auf die Politik, glauben, sie könnten ohnehin nichts erreichen. Oft sind das weniger gut Gebildete, sozial Schwache, Arbeitslose in Problemvierteln, die es auch in Hamburg gibt. Das Wahlrecht dort macht es gerade ihnen schwer. Es ist kompliziert und demokratisch durchaus reiz-, aber eben auch anspruchsvoll. Deshalb geben zusehends die mittleren und oberen Schichten ihre Stimme ab, die unteren ziehen sich zurück – und sind deshalb tatsächlich schlechter repräsentiert als andere. Ein heikler Trend.“

Ungeachtet dieses Trends zur Wahlenthaltung wird Olaf Scholz schon als künftiger Kanzlerkandidat ins Gespräch gebracht, obwohl er mit dafür verantwortlich ist, dass die SPD im Bund keine Volkspartei mehr ist. Scholz war ja nicht immer Erster Bürgermeister Hamburgs, sondern davor gescheiterter Bundesminister für Arbeit und Soziales. In dieser Funktion prägte er den Satz: „Alles, was an Effekten durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen entsteht, wird jedes Mal zusammen mit der Arbeitsmarktstatistik veröffentlicht. … Ich glaube, dass man sich auf die Seriosität dieses Prozesses verlassen kann. Wer anders rechnen wolle, könne ja seine Zahl veröffentlichen – und dazu ein Flugblatt drucken.“

Scholz steht für den Niedergang der SPD

Der Niedergang der SPD ist untrennbar auch mit dem Namen Olaf Scholz verknüpft. Er gehört zu den Agenda-Befürwortern und war gewissermaßen einer der Totengräber der alten Sozialdemokratie, wie das Neue Deutschland heute richtig analysiert. Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu grotesk, Scholz als neuen Heilsbringer der Sozialdemokratie auch nur in Erwägung zu ziehen.

Zur Diskussion um den Ausgang der Hamburg-Wahl gehört natürlich auch die Spekulation um mögliche Koalitionen. Da spielt dann plötzlich ein Bündnis mit der FDP wieder eine Rolle. Auch das passt irgendwie zur Zeit, deren Beobachter einen sozialliberalen Kurs von Scholz erkannt haben wollen. Es ist immer wieder erstaunlich wie schnell nach einem Wahlerfolg Erklärungen verkündet werden. Scholz habe gewonnen, weil er für Verlässlichkeit stünde und Versprechungen eingehalten habe.

Die Verlierer müssen hingegen das Wahlergebnis immer erst genau analysieren, bevor sie einen Grund für ihr Scheitern nennen können, was freilich nie geschieht. Doch diese genaue Analyse täte auch den vermeintlichen Gewinnern einmal gut, die schon wieder über Inhalte diskutieren und darüber, was gut für die Hamburger sei, die zu einem großen Teil kein Interesse an der Wahl zeigten. Eine Gemeinsamkeit hat die SPD mit der FDP auf jeden Fall. Zwei Männer an der Spitze. Olaf Scholz und Katja Suding.


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