Die große Enttäuschung

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Europa taumelt ökonomisch nicht am, sondern im Abgrund vor sich hin. Stimmen der Vernunft werden vom lauten Chor fanatischer Dogmatiker weiterhin nieder gebrüllt.

In der vergangenen Woche ist etwas bemerkenswertes passiert. Zahlreiche Ökonomen verschiedener Schulen, darunter viele Nobelpreisträger, kritisierten auf einer Tagung in Lindau die Austeritätspolitik von Kanzlerin Merkel. Die verteidigte sich mit der üblichen wie falschen Behauptung, Deutschland habe bewiesen, durch Konsolidierung seiner Haushalte Wachstum zu erzielen. Das könnten andere auch, wenn sie nur die gleichen Reformen umsetzten, wie einst Deutschland mit der Agenda 2010.

Hinzu kam der Vorstoß des inzwischen geschassten französischen Wirtschaftsministers Arnaud Montebourg, der im Interview mit Le monde vor einer dauerhaften Rezession warnte und deshalb einen Politikwechsel forderte. Paris müsse sich vom dogmatischen Berlin lösen und eine wirtschaftspolitische Alternative anbieten. Das ging den geschröderten Sozialisten zu weit und die Regierung trat zurück.

Das Ergebnis: Die deutschen Medien spotten über den vermeintlich kranken Mann Europas. Hollande habe nun gar keine Wahl mehr. Er müsse den Rezepten folgen, die in Deutschland angeblich schon einmal erfolgreich waren. Damit könne er sich wenigstens noch Respekt verdienen, denn zur Wiederwahl wird es nicht mehr reichen, urteilt Michael Strempel in den Tagesthemen.

Er macht sich für uns alle sorgen um Frankreich, das nicht nur Hollande, sondern auch Deutschland als Partner zu entgleiten drohe. Überall Hiobsbotschaften, stellt Strempel fest. „Arbeitslosigkeit stabil zweistellig, Unternehmen verlassen das Land und die Staatsausgaben laufen aus dem Ruder“, kurzum: Die Wirtschaft geht den Bach runter.

Und dann noch orthodoxe Linke wie dieser Montebourg, die immer nach der gleichen Therapie rufen würden, also den Geldhahn aufdrehen und bloß keine Zumutungen für die Bürger. Genau so sei Frankreich dahin gekommen, wo es heute stehe, analysiert Strempel völlig ahnungslos.

Die Wahrheit sieht freilich anders aus und ist von jenen Ökonomen beschrieben worden, denen Merkel vergangene Woche in Lindau begegnete. Sie halten das deutsche Gefasel über Reformen für blanken Unsinn. Jeder kann übrigens sehen, dass der Austeritätskurs in Europa gescheitert ist. Trotzdem wird so getan, als sei der nicht die Ursache für die Misere, sondern die Lösung.

So eine Nulpe wie Strempel meint daher auch, dass echte Wirtschaftsreformen sowie eine Schlankheitskur für den krakenhaften Staatsapparat und ein Arbeitsmarkt, der nicht einbetoniert ist in Besitzstandswahrung, Frankreich aus der Depression hinaus führen könne. Wer fordert denn hier eigentlich die immer gleiche Therapie?

Ist es nicht so, dass genau diese vermeintlichen Reformen eine Abwärtsspirale in Gang setzten, die das Wachstum in Europa einschließlich das Deutschlands nunmehr zum erliegen gebracht hat? Steigt Frankreich in den Wettlauf sinkender Lohnstückkosten ein, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, was macht dann Deutschland, dass seine Wettbewerbsanteile und seine Exportüberschüsse mit aller Macht verteidigen will?

Wie kam Deutschland eigentlich zu seiner relativen Wettbewerbsfähigkeit? Lag es an den Reformen? Oder wohl eher daran, dass den Überschüssen entsprechende Defizite gegenüberstanden. Falls Marine Le Pen die nächste Präsidentin Frankreichs werden sollte, hat nicht Hollande allein diese Katastrophe zu verantworten, sondern vielmehr der Glaube an eine falsche Wirtschaftspolitik.

Beim Treffen in Lindau sagte Merkel einen verräterischen Satz. Sie beschwerte sich über falsche Prognosen der Ökonomen und forderte von ihnen mehr Ehrlichkeit ein. Doch was zwingt die Kanzlerin eigentlich dazu, die falschen Prognosen weiterhin als Wahrheit zu verkaufen? Hat sie etwa selbst ein Problem damit, Fehler einzugestehen?


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Die SZ mal wieder

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Die Staatsanwaltschaft findet keine Beweise für einen Verrat von Dienstgeheimnissen im Fall Uli Hoeneß und legt ihn zu den Akten. Die Süddeutsche erkennt hingegen eine spektakuläre Nachricht, weil so viele Beamte, im folgenden „Hinz und Kunz“ genannt, offenbar Kenntnis hatten.

Bei der Süddeutschen Zeitung Online Ausgabe hat sich heute alles um den Fall Uli Hoeneß und den Bruch des Steuergeheimnisses gedreht. Die Redaktion konnte es kaum fassen, dass über 1000 Beamte Zugriff (zeitweilig noch mehr, was inzwischen zurückgewiesen wurde) auf die Steuerakte des ehemaligen Bayern-Bosses hatten. Missstände beim bayerischen Fiskus, lautete eine Bewertung, die sich aus dem Untersuchungsergebnis der ermittelnden Staatsanwaltschaft speist. Das Verfahren hatte Hoeneß selbst angestrengt, um den gemeinen Whistleblower aus der Steuerbehörde einer gerechten Strafe zuzuführen. Doch das Ergebnis lautet: Einstellung des Verfahrens. Und das ist auch gut so.

Die Süddeutsche sieht das mal wieder anders. Sie ignoriert die eigentliche Nachricht und bläst den massenhaften Zugriff auf sensible Daten zu einem Skandal auf. „Hinz und Kunz lesen Akten von Müller und Hoeneß“, heißt es in einem Kommentar von Ulrich Schäfer. Der Staat dürfe ihnen (also Hinz und Kunz Beamter) den Zugriff nicht erlauben, fordert er, da sonst das Vertrauen schwinde und der Wille zur Ehrlichkeit weiter abnehme. Die Ermittlungsbehörden haben damit aber kein Problem, weshalb sie den Fall auch zu den Akten legten. Offenbar hat mindestens ein Beamter oder eine Beamtin, aber mit Sicherheit nicht alle Zugriffsberechtigten dem Stern brisante Informationen zugespielt. Warum das Steuergeheimnis dann kein Geheimnis mehr sein soll, weiß offenbar nur die SZ.

Das Recht auf ein Steuergeheimnis hat nur dann einen Sinn, wenn die Amtsverschwiegenheit ein Vertrauen schafft, das die Bereitschaft zur Offenlegung steuerlicher Sachverhalte erhöht. So steht es bei Wikipedia, das aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitiert. „Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist der Zweck des Steuergeheimnisses, durch besonderen Schutz des Vertrauens in die Amtsverschwiegenheit die Bereitschaft zur Offenlegung steuerlicher Sachverhalte zu fördern, um so das Steuerverfahren zu erleichtern, die Steuerquelle vollständig zu erfassen und eine gesetzmäßige, d.h. insbesondere auch gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen.“

Im Fall Hoeneß gab es dieses Vertrauen aber nicht, als er seine Einkünfte bewusst vor dem Finanzamt verschleierte. Statt auf Transparenz vor den zur Verschwiegenheit verpflichteten Beamten zu setzen, hoffte Hoeneß lieber auf eine Gesetzesänderung, die ihm als Betrüger Amnestie in Aussicht stellte, aber letztlich nicht zustande kam. Warum diskutiert also die SZ dann nicht die Frage, ob es überhaupt statthaft ist, dass sich ein Steuerbetrüger, der sich nicht nur finanziell, sondern auch politisch verzockte, nun im Nachhinein auf das Steuergeheimnis beruft? Und wo bleibt die Parteinahme für Menschen, die Sozialleistungen beziehen und damit per amtlichen Datenabgleich gar keine Geheimnisse mehr haben dürfen?

Wäre es den Ermittlern hingegen gelungen, den Whistleblower im Finanzamt zu enttarnen und ihn von einem Gericht wegen der Weitergabe eines Dienstgeheimnisses verurteilen zu lassen, Hoeneß hätte zivilrechtliche Schadenersatzansprüche geltend machen können. Was das erst für eine komische Nummer gewesen wäre, möchte sich wohl niemand ausmalen. Im übrigen ist das Gejammer über ein gebrochenes Steuergeheimnis ziemlich daneben, wenn man bedenkt, dass Hoeneß mit Millionen, die er für transparentwürdig hielt, öffentlich um sich warf und Respekt für eine bloß zur Schau getragene Wohltätigkeit einforderte.

Ergänzung: Die Steuergewerkschaft findet den breiten Zugriff auf die Hoeneß-Akte in Ordnung und nicht ungewöhnlich, wie von der Süddeutschen dargestellt.


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