Kompromisse beim Mindestlohn kann es nicht geben

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Die Geschäftsführung der Süddeutschen Zeitung GmbH soll sich laut Bild mit einem Brief an alle Bundestagsabgeordneten gewandt und darin die Bitte geäußert haben, beim Beschluss über den Mindestlohn Augenmaß walten zu lassen. Gäbe es einen Mindestlohn, gäbe es auch Risiken bei der Zeitungszustellung vor allem im ländlichen Raum, heißt es. Mit anderen Worten: Ein flächendeckender Mindestlohn gefährdet die flächendeckende Zustellung der Süddeutschen Zeitung. Dabei dürfte aber nicht der Mindestlohn Abos kosten, sondern die Haltung des Verlages, Austräger mit Recht schlecht zu bezahlen.

Mit der Meinung, der Mindestlohn stelle eine Gefahr für die flächendeckende Versorgung mit Printprodukten dar, steht der Verlag sicherlich nicht allein da. Dass Zeitungszusteller vom Mindestlohn ausgenommen werden sollen, wird ja offenbar zwischen Union und SPD diskutiert. Inzwischen geistern mehrere Entwürfe des Koalitionsvertrages durch die Redaktionsstuben. In den ersten Entwürfen, die an die Öffentlichkeit lanciert wurden, hieß es noch, dass der Mindestlohn nicht nur nicht für Zeitungszusteller gelten solle, sondern auch nicht für Langzeitarbeitslose, Rentner und Erntehelfer. Auch Schüler und Praktikanten sollen außen vor bleiben, obwohl für letztere noch zu Beginn der Koalitionsverhandlungen ebenfalls eine Mindestlohnreglung verkündet wurde.

Bezeichnende Diskussion

Inzwischen ist der Mindestlohn im Eiltempo von der Maut überholt worden. Dennoch ist die Diskussion bezeichnend für das drohende Bündnis aus Union und SPD. Die Union will eigentlich keinen Mindestlohn, die SPD dagegen schon. Ein Kompromiss zwischen diesen beiden Positionen muss scheitern, weil es ein bisschen Mindestlohn genauso wenig geben kann wie ein bisschen Schwangerschaft. Dennoch werden Union und SPD ein Kunststück vollführen wollen. Gestritten wird nur noch um die richtige Formulierung. Angela Merkel gab zu Protokoll, dass es einen flächendeckenden Mindestlohn geben werde. Die Medien interpretieren diese Äußerung völlig falsch als Kompromissbereitschaft und tappen in die Falle der Spindoktoren.

Die geschäftsführende Bundeskanzlerin sprach nämlich auch von Modalitäten, die es beim Mindestlohn noch zu regeln gebe. Damit hat sich an der Haltung Merkels nichts geändert. Sie betreibt lediglich Umetikettierung. Raider heißt jetzt Twix und sonst ändert sich nix. Damit lässt sich der Urnenpöbel dank der schnarchenden Medien sicherlich begeistern. Ihr Modell der Lohnuntergrenze mit zahlreichen Ausnahmen und einer Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die künftig über die Höhe entscheiden sollen, ist weiterhin das Ziel – etwas anderes auch nicht wirklich erkennbar. Der SPD wird also nur gelingen, dass die Lohnuntergrenze der Union künftig als flächendeckender Mindestlohn bezeichnet werden darf.

Angst bestimmt das Handeln

Die Angst vor Arbeitsplatzverlusten, die von der Öffentlichkeit auch ohne empirische Belege geteilt wird, diszipliniert die SPD. Doch warum bestimmte Berufsgruppen in einer Volkswirtschaft durch politische Unterlassung weniger verdienen sollen, bleibt ein Rätsel. Wenn ein Unternehmen der Meinung ist, dass der Vertrieb seiner Produkte zwingend erforderlich ist, muss er diesen auch bezahlen oder die Dienstleistung anders organisieren. Die Tatsache, dass es seit Jahren möglich war, gerade im Bereich der Zustellung an der Lohnkostenschraube immer wieder zu drehen, kann ja keine Begründung sein. Wo die einzelwirtschaftliche Sichtweise vielleicht nachvollziehbar erscheint, bleibt sie volkswirtschaftlich unsinnig.

Denn niedrige Löhne kosten eben auch Geld und zwar das der Allgemeinheit oder kurz der Steuerzahler, die beim Aufstocken aushelfen müssen. Über diese Beträge redet nur keiner. Dabei stehen diese Steuergelder für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung. Daran sollte man denken, wenn die künftigen Koalitionäre wie auch die Medien mal wieder über angeblich zu hohe Ausgabenwünsche und fehlende Gelder jammern. Außerdem sind die Kosten der einen immer auch die Einnahmen der anderen.

Wenn also die Süddeutsche ihre Zusteller anständig bezahlen würde, könnten die sich etwas mehr leisten, vielleicht einen regelmäßigen Restaurantbesuch. Dessen Besitzer hat höhere Umsätze und kann wiederum seiner Kellnerin mehr Gehalt überweisen. Die ist unter Umständen bereit, ein Abo der Süddeutschen Zeitung abzuschließen, weil sie besser informiert sein will und die Reportagen der Seite 3 sehr schätzt, aber bisher nicht genießen konnte, weil ihr wegen der Zweit- und Drittjobs schlicht die Zeit zum Lesen fehlte.

Die ökonomische Welt ist sicher viel komplexer, aber eins ist sicher. Der Binnenmarkt kann nur dann funktionieren, wenn es verfügbare Einkommen gibt, mit denen Nachfrage hergestellt und Kaufkraft entwickelt werden kann. Nur dann lohnt es sich auch für Unternehmen Kapital zu investieren und Menschen einzustellen, um gemeinsam mit ihnen Waren zu produzieren oder Dienstleistungen anzubieten. Eine Volkswirtschaft ist eben mehr als die Summe aller betrieblichen Einzelinteressen. Leider verlässt sich die Politik auf Letzteres.

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Das Elend des Kommentators

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Detlef Esslinger kommentiert heute in der Süddeutschen das Elend der SPD. Für ihn besteht es im ewigen Hadern der Partei mit sich selbst. Die Sozialdemokraten erzählen nicht, was sie erreicht hätten, sondern jammern darüber, was sie nicht durchsetzen können. Damit reiht sich Esslinger in die Liga derer ein, die bereits vergessen haben, was die SPD ihrer Wählerschaft in der Vergangenheit zugemutet hat und offenbar noch zumuten will. Er verdreht die historische Wahrheit, wonach die SPD mit viel Verve eine ökonomisch unsinnige Politik betrieben und diese mit noch mehr öffentlichem Tamtam nach außen hin vertreten hat. Sie hielt eben nicht hinter dem Berg, sondern brüstete sich mit dem Erreichten, wollte aber die Kampfansage an die eigenen Wähler nicht erkennen.

Wer links blinkt und dann aus angeblichen Sachzwängen oder reiner Alternativlosigkeit heraus rechts abbiegt, macht sich unglaubwürdig. So einfach ist das. Esslingers Gerede über Programme, die nur Wunschzettel seien und sich am Ende in einem Koalitionsvertrag gemessen am Wahlergebnis nur fragmentarisch widerspiegeln können, ist neoliberales Geschwätz, das vor allem jenen nutzt, die auf ein Programm gleich ganz verzichtet haben und stattdessen den Satz platzierten: „Meine Damen und Herren, sie kennen mich.“

Esslinger unterstellt, dass es der Union ja genauso schwer fallen müsste, mit der SPD am Kabinettstisch zu sitzen wie es umgekehrt der SPD schwerfalle Herrn Dobrindt zum Minister zu machen. Das thematisiere nur niemand. Ja weil es vollkommen absurd ist. Die Union kann sehr wohl und sehr gut mit einer SPD am Kabinettstisch leben, auf die man das künftige Versagen der gesamten Regierung wieder abladen kann. Esslinger tut ja gerade so, als wären die Regierungen, die Angela Merkel seit 2005 mit ihrer Richtlinienkompetenz zu verantworten hat, erfolgreich im Amt bestätigt worden. Sind sie aber nicht. Vielleicht sollte sich das Herr Esslinger erst in Erinnerung rufen bevor er das Gedächtnis der anderen aufzufrischen versucht.

Würde Esslinger seine Ausführungen selber ernst nehmen, dass Politiker nämlich nicht um ihrer selbst willen da seien, müsste er für eine Minderheitsregierung der Union eintreten. Nur dann wäre die auch gezwungen, sich um die Menschen zu bemühen, die sie zu vertreten beansprucht. Sie müsste ein politisches Programm entwerfen und für eine Mehrheit im Parlament kämpfen, statt sie bloß zu erwarten. Merkel wäre zum Regieren gezwungen, anstatt über den Dingen zu schweben.

Esslinger hätte sich vielleicht einmal die Frage stellen sollen, warum die Kanzlerin auf einer Gewerkschaftsveranstaltung mehr Applaus erhält als die alte und neugewählte Führung der Arbeitnehmervertreter. Er hätte sich fragen können, warum Merkel, egal wo sie sich auch hinbegibt, als Mainevent gefeiert wird, obwohl ihre rhetorischen Fähigkeiten arg begrenzt und die Inhaltsleere ihre Aussagen weiter zunimmt, während bei der Auswahl von Themen und Überschriften Beliebigkeit vorherrscht. Er hätte sie auch an ihrem Programm oder dem messen können, was sie bisher erreicht zu haben scheint.

Das tut Esslinger aber nicht, sondern fabuliert lieber über ein Treffen auf halben Wege und plappert etwas von jenen nur symbolisch gemeinten 50 Prozent, die die SPD doch angeblich durchsetzen könne, wenn sie sich vom kaum noch erkennbaren Rest einer Haltung verabschieden würde. Dass Journalisten nicht rechnen können, ist allgemein bekannt. Mir geht es da ähnlich. Doch ich möchte schon gern wissen, was sich auch nur symbolisch hinter den 50 Prozent verbirgt. Entweder kann oder will Herr Esslinger nicht richtig hinsehen. Sonst würde auch er erkennen, dass es nur der SPD-Parteiführung um ihrer selbst willen geht, wenn sie für die Große Koalition wirbt und vorgibt, etwas für die Menschen zu tun.

Diesem Grundsatz vertraut offenbar auch die Geschäftsleitung der Süddeutschen Zeitung GmbH, die sich laut Bild mit einem Brief an die Abgeordneten des Bundestags gewandt haben soll. Darin soll die Bitte formuliert sein, bei der möglichen Einführung des Mindestlohns Augenmaß walten zu lassen. Da sind wohl noch ganz andere nur ihrer selbst willen politisch unterwegs. Dazu später mehr.

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