Zufriedenheit nicht nehmen lassen

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Der Deutsche steht noch mit 85 und drei Bypässen auf der Baustelle und planiert mit dem Rollator die Auffahrt zur Vollbeschäftigung, meint Christoph Sieber in Neues aus der Anstalt und hat damit einen furiosen Auftritt hingelegt. Bitte mehr davon. Die Zufriedenheit dürfe man sich nicht durch so etwas wie die Realität nehmen lassen. Es sollte mehr Euphorie herrschen. Die Jugend saufe offenbar so viel, dass die Alten vom Flaschenpfand noch leben können. Das sei ein echter sozialer Ausgleich, findet Sieber.

Christoph Sieber in Neues aus der Anstalt vom 27.08.2013

Und in der Tat, der Monat neigt sich dem Ende und die Jubelmeldungen zur wirtschaftlichen Lage häufen sich. Erst hat das ifo Institut seinen monatlichen “Wie-geht’s-uns-Index” veröffentlicht und heute die GfK ihre Klimaforschung sowie das DIW sein Konjunkturbarometer. Gleichzeitig prescht die Bundesregierung mit einem eigenen Wirtschaftsbericht vor, in dem sie alle drei Jubelmeldung bündelt und die Sektkorken ordentlich knallen lässt, noch bevor die offiziellen Zahlen zum Arbeitsmarkt und zum Einzelhandel bekanntgegeben wurden.

Rösler und Schäuble: Solide Haushalte, stetes Wachstum und hohe Beschäftigung – Deutschland geht es gut

Eigentlich schade, dass die Rader Hochbrücke über den Nord-Ostseekanal nicht unter der Last des LKW-Verkehrs krachend eingestürzt ist. Dann hätten die Container voller Konsumgüter schwimmend an die maroden Schleusentore klopfen können. Darüber hätte der sterbende Brummifahrer dann das Wahlplakat der Bundesregierung mit dem Slogan lesen können: Solide Haushalte, stetes Wachstum und hohe Beschäftigung – Deutschland geht es gut. Peinlich wäre das gewesen. So rollt der Aufschwung irgendwo um das gesperrte Nadelöhr herum und vergrößert die Schäden auf den Straßen anderer Baulastträger.

Ich hätte ja noch dazu geschrieben,

Haltet durch: Noch schreiben wir an der Rechnung – Vorlage nach dem 22. September

Wer einigermaßen wach in der Birne ist, weiß natürlich, dass in Deutschland gar nichts gut ist. Die marode Infrastruktur ist nur ein Beispiel von vielen. Die öffentlichen Haushalte mögen solide aussehen, das Land bröckelt aber für alle sichtbar vor sich hin, weil es die Politik nach wie vor für wichtiger hält, notwendige Aufgaben aufzuschieben, statt sie zu erledigen. Schuld sind dann immer die jeweils anderen, die es irgendwann einmal “fahrlässig” unterlassen haben, rechtzeitig zu investieren. Dabei folgen alle Kämmerer stets dem gleichen Ziel, dem ausgeglichenen Haushalt. Was man sich dafür kaufen kann, wird man nach der Wahl sehen, wenn dank Schuldenbremse die Gürtel noch einmal enger geschnallt werden müssen.

Jetzt will davon keiner etwas wissen. Deutschland ist schließlich die Wachstumslokomotive in Europa, auch ohne Stellwerker. Auf die kann Merkels Regierung getrost verzichten, weil sie nicht auf Schienen fährt, sondern auf Sicht vor sich hin segelt mit dem Kompass fest in der Hand, aber ohne Idee, welche Richtung sie einschlagen muss. Man hat keine Erwartung mehr an diese Bundesregierung und selbst das können sie nicht erfüllen, sagte Christoph Sieber. Lassen Sie sich ihre Zufriedenheit nicht nehmen, legen Sie sie doch selber ab. Seien Sie empört!

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Verlogene Haltung

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Die Kommentatoren beschäftigen sich heute morgen mit Syrien und einem bevorstehenden Militärschlag aus humanitären Gründen. Das mit den humanitären Gründen hat der britische Außenminister William Hague erfunden, wahrscheinlich weil ihm genauso wenig Beweise für einen vom Assad-Regime aus gesteuerten Chemiewaffeneinsatz vorliegen wie den USA. In den Medien wird bagatellisiert, um die erneut nicht vorhandene Haltung der Bundesregierung zu stützen.  

Die Süddeutsche unterstellt der Linken gar “Moralische Großmannssucht”, weil die klar von einem militärischen Eingreifen in Syrien abrät und Luftschläge für Wahnsinn hält. Daniel Brössler schreibt an die Adresse der anderen beiden Merkel-Flügel im Parlament: 

“SPD und Grüne sollten sich hüten, dem Beispiel der Linkspartei zu folgen. Der Antikriegswahlkampf 2002 lebte von der Überzeugung, Deutschland habe sich richtig, also gegen Bush, positioniert. Auf diese einfache Formel lässt sich der Fall Syrien nicht reduzieren. Das verbieten die Fakten – und die Bilder aus Damaskus

Nur welche Formel greift im Fall Syrien? Hilft eine Bombardierung, die ja offenbar nur kurz und als Bestrafung gedacht sein soll, den Menschen in Syrien, die ja nicht erst seit dem mutmaßlichen C-Waffen-Einsatz zu leiden haben. In Neues aus der Anstalt brachte Kabarettist Christian Springer die Lage im Nahen Osten und die Rolle des vor Humanität triefenden Westens auf den Punkt.

Die syrischen Flüchtlinge sagen: ‘Wir beten jeden Tag zu Gott, dass er uns ein Erdbeben schickt. Dann hätten wir morgen Hilfe. Aber wir haben nur einen Krieg.’

Und in diesem Krieg sei eine rote Linie überschritten worden. Von wem, wissen offenbar nicht einmal die Geheimdienste, die ihren globalen Bruch von Grundrechten ja immer damit begründen, böse Menschen mit bösen Absichten rechtzeitig zu erkennen. Ein Militärschlag ohne oder mit konstruierten Beweisen, das kommt nicht nur bekannt vor, es ist dieselbe Strategie, genauso wie die Heuchelei über einen “Zivilisationsbruch”, einen Begriff, den neuerdings der deutsche Außenminister in den Mund nimmt. Wo bleibt der Aufschrei der Intellektuellen? Westerwelle setzt den Einsatz von C-Waffen in Syrien mit Auschwitz gleich.

Die Humanität der westlichen Demokratien, die ihre Werte inzwischen nur noch mit Mitteln der Diktatur verteidigen können, ist kaum noch zu ertragen. Erwin Pelzig stellte gestern in der Anstalt der Sorge der Bundesregierung um die Menschen in Syrien jene Flüchtlinge gegenüber, die zu Tausenden im Mittelmeer ersaufen, bei dem Versuch die Grenzen der durch und durch verlogenen europäischen Wertegemeinschaft zu erreichen.

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