“In Europa richtet sich alles nach Muttis Zeitplan”

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Am Montag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Rede vor der Deutsch-Türkischen Handelskammer in Berlin gehalten und in Sachen EU-Beitritt gemeint, die Türkei sei am Zuge. Das Land müsse sich in entscheidenden Fragen wie dem Zypern-Konflikt bewegen. Nur wohin soll sich die Türkei bewegen? Etwa auf die Beliebtheitsstufe, auf der sich Angela Merkel und Deutschland seit geraumer Zeit befinden? Ende März zogen Schüler und Jugendliche in Nikosia mit einem Plakat durch die Stadt, auf dem stand: “Hitler, Merkel, the same shit”. Dazu wurde die Flagge der EU durchgestrichen.

Im Augenblick sieht es ja wieder so aus, als ob Merkel und die EU das kleine Land Zypern am liebsten über die Klinge springen lassen wollen. Denn wieder funktioniert ein von Angelas Finanzgenie Schäuble ausgehecktes Rettungspaket nicht. Das Drama geht weiter, schreibt Flassbeck. “Die „Rettung“ Zyperns war keine Rettung, sondern ein Untergangsszenario.”

Ich will mal sagen, der türkisch-zypriotische Konflikt um staatliche Anerkennung ist doch ein Witz gegenüber jenes finanzpolitischen Radikalfeldzuges, den Merkels Rettungsregime in Berlin und Brüssel vom Zaun gebrochen hat. Aber darum geht es ja nicht bei Merkel. Sie steckt mitten im Wahlkampf und verzichtet vorsorglich auf jene heiklen Entscheidungen, die sie auch ohne anstehende Bundestagswahl nicht getroffen hätte. Die anderen sollen sich bewegen. Erst dann kann sich Mutti an die Spitze setzen, getreu ihrem Motto: Mir nach, ich folge euch.

Die Bürgerproteste in der Türkei kommen Merkel gerade recht, um ein wenig Solidarität zu heucheln und einen Beitritt des Landes zur EU in Aussicht zu stellen, obwohl sie das laut ihrem “Regierungsprogramm” eigentlich und ziemlich deutlich formuliert gar nicht will.

“Eine Vollmitgliedschaft der Türkei lehnen wir aber ab, weil sie die Voraussetzungen für einen EU Beitritt nicht erfüllt. Angesichts der Größe des Landes und seiner Wirtschaftsstruktur wäre zudem die Europäische Union überfordert.” siehe Seite 119

Gleichzeitig kann die Bundeskanzlerin eine neuerliche Zuspitzung der Eurokrise nicht gebrauchen. Wenn die Türkei schon auf Beitrittsverhandlungen bis nach der Bundestagswahl warten muss, dann auch Zypern und Griechenland auf ein weiteres sogenanntes Rettungsprogramm. Alle haben bitteschön Rücksicht zu nehmen und ihre weniger wichtigen Befindlichkeiten und Existenznöte hintanzustellen. “Im „deutschen Europa“ richtet sich alles nach Muttis Zeitplan. Die große Frage ist nun, ob die EU es sich leisten kann, auf Deutschland zu warten.” (Quelle: Lost in EUrope).

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Ein realistisches Gemälde sieht anders aus

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Deutschlands Verbraucher sind in Kauflaune. Denn der Konsumklima-Index der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) befinde sich auf dem höchsten Niveau seit sechs Jahren. Grund genug für eine Jubelmeldung auf allen Kanälen. Damit, so schreibt beispielsweise der berichtende Deutschlandfunk hier, bleibe der private Verbrauch eine wichtige Stütze der Wirtschaft. Diese Aussage ist falsch, weil die Kauflaune die Laune misst und nicht den tatsächlichen Verbrauch.

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher konstanten Einfältigkeit und Sturheit Zusammenhänge herbeikonstruiert werden. Die GfK misst nach eigener Aussage eine Neigung, die regelmäßig von der Realität tatsächlich getätigter Einkäufe abweicht. Es wäre schon mal ein Gewinn, wenn es gelänge den Konsumklima-Index und beispielsweise die Umsätze im Einzelhandel, die vom statistischen Bundesamt auch jeden Monat ermittelt und kurz nach der GfK veröffentlicht werden, gegenüberzustellen. Dann würde man leicht feststellen, dass sich die angebliche Begeisterung der Menschen, Anschaffungen zu tätigen, nicht in den Kassen der Geschäfte widerspiegelt.

Sicherlich ist Sparen, wie es weiter unten in der Begründung heißt aufgrund der historisch niedrigen Zinsen nicht sonderlich attraktiv, doch zum Geldausgeben müsste selbiges eben auch vorhanden sein. Und da behaupten die Klimaforscher und weite Teile ihrer unkritischen Anhängerschaft aus Politik und Medien steif und fest, dass es um die Einkommen der Deutschen doch bestens bestellt sei. Dann fallen immer Sätze wie, die guten Tarifabschlüsse der letzten Zeit würden sich im Portemonnaie der Beschäftigten bemerkbar machen. Was aber bei derlei hübsch aussehender Begründung verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass die Tarifbindung seit Jahren immer weiter zurückgeht, also immer weniger Beschäftigte von Tarifabschlüssen überhaupt profitieren.

Ein Blick in die Statistik gibt Aufschluss. “Im Jahr 2012 arbeiteten nur noch 58 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit Tarifbindung, im Westen sind es 60, im Osten 48 Prozent. Vor 15 Jahren lag die Tarifbindung in West und Ost jeweils rund 15 Prozentpunkte höher!”

Nach der aktuellsten Lohnstrukturerhebung müssen 22,2 Prozent der Beschäftigten in Deutschland mit einem Niedriglohn auskommen. Damit hat Deutschland hinter den drei baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland sowie den Ländern Rumänien, Polen und Zypern den siebtgrößten Niedriglohnsektor in der EU. Gemessen an dem Rekordwert von 41,79 Millionen Beschäftigten, der im Monat April gemessen und als Ausdruck des Wohlstandes gefeiert wurde, gehören über neun Millionen Menschen in diesem Land diesem Sektor an. Die Forscher des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen sagen, dass rund acht Millionen einen Stundenlohn von weniger als 9,15 Euro brutto bekommen. Die Zahl der Niedrigverdiener sei demnach zwischen 1995 und 2010 um mehr als 2,3 Millionen gestiegen.

Fast 800.000 Vollzeit-Beschäftigte erhalten sogar weniger als sechs Euro die Stunde und damit einen Monatslohn von unter 1000 Euro brutto. Der Studie zufolge wuchs die Zahl der Niedrigverdiener in 15 Jahren im Westen um 68 Prozent und im Osten um drei Prozent. Hier passt ein Satz von Georg Schramm, der einmal sagte, dass sich die Lebensverhältnisse zwischen Ost und West rapide angleichen würden, aber nicht so, wie man es uns immer erzählt hat. Die Reichen in Ost haben zügig ihr Vermögen dem noch höheren Westniveau anpassen können und in den beiden Armenvierteln lief es genau umgekehrt. Daher sind die Wachstumsraten im Niedriglohnbereich West auch höher als im Osten. “Auf Augenhöhe in der Gosse. Es wächst zusammen, was zusammen gehört. Reich und reich und arm und arm wächst zusammen”, so Schramm schon vor etlichen von Jahren im Scheibenwischer.

Doch die Klimaforscher der GfK, die Politik und zahlreiche Medien faseln weiterhin vom Konsumboom und bemühen das Bild “Einkaufswagen statt Sparstrumpf”. Dabei ergibt das nur dann ein realistisches Gemälde, wenn man sich den Sparstrumpf stinkend, abgetragen und voller Löcher vorstellt, und den Einkaufswagen als Hilfsmittel für Menschen, die viel Leergut sammeln, transportieren und einlösen müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

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