Fehlendes Geld darf weiter verbuddelt werden

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Der Bahnaufsichtsrat hat dem Weiterbau von Stuttgart 21 zugestimmt, weil der nach Berechnungen des Bahnvorstandes 70 Millionen Euro günstiger wäre als ein Abbruch. Vollkommen richtige Entscheidung. Es ist ja nahezu ausgeschlossen, dass die bisher ausgerechneten Projektkosten von anfänglich 2,5 Milliarden über 4,5 Milliarden bis gegenwärtig 6,8 Milliarden Euro noch einmal steigen könnten.

Bleibt das Problem, wer die noch fehlenden 2,3 Milliarden Euro im Ländle ranschafft, damit diese sinnlos verbuddelt werden können. Keiner wills bezahlen. Die Landesregierung nicht, die Stadt nicht und die Bahn eigentlich auch nicht. Möglicherweise muss das ganze Projekt Hilfen beim ständigen Krisenmechanismus ESM beantragen. Fest steht nur, der Bahnhof wird gebaut, wie und mit welchem Geld ist offenbar nicht so entscheidend.

Schließlich dürfe nicht der Eindruck entstehen, als hätten sich die Kritiker und Demonstranten doch noch durchgesetzt. Nachher glauben auch andere, dass sich Proteste am Ende auszahlen.

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Glosse: Unbehagen in den Südländern

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Die Europäische Zentralbank spielt mit dem Gedanken, aus der Gruppe der Euro-Retter auszusteigen. Damit steht das seit Jahren erfolgreich zusammenarbeitende Triumvirat aus Europäischer Kommission, IWF und EZB vor dem Aus. Eine Hiobsbotschaft mit fatalen Auswirkungen, die in den südeuropäischen Ländern wie zu erwarten für Unruhe sorgt.

In Spanien haben sich vor allem junge Menschen an spontanen Protestkundgebungen im Regierungsviertel beteiligt. Sie fürchten, ihre mühsam durch die Arbeit der Troika gewonnene Freizeit wieder verlieren zu können. Auf der iberischen Halbinsel steigt seit rund zwei Jahren die Jugendarbeitslosigkeit rapide an und liegt inzwischen bei rekordverdächtigen 55 Prozent. Das sei ein Erfolg, sagt ein 24-Jähriger Teilnehmer der Demonstration. „Sollte die EZB wirklich aussteigen und bestehende Auflagen gelockert werden, könnte das ja zu einem Wirtschaftsaufschwung führen, der den Menschen schadet“, äußert er sich entsetzt. Vor allem die Bediensteten im Staatsdienst, wie der Polizei, hätten dann nichts mehr zu tun, wenn plötzlich die jungen Leute wieder arbeiten gingen, anstatt sich vor dem Regierungsviertel mit den Beamten angeregt zu unterhalten. Der 24-Jährige spielt daher mit dem Gedanken, zum ersten Mal mit Steinen zu werfen, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen. Er will deshalb seinen Namen nicht nennen.

Ähnlich sieht es in Griechenland aus, das noch sehr viel länger als Spanien von der Troika profitiert hat. „Erst hat man uns einen deutschen Sparkommissar versprochen und nun löst sich die Expertengruppe einfach auf. Unfassbar“, ärgert sich ein älterer Grieche auf dem Akropolis Hügel, der ehrenamtlich für die Troika arbeitet und gerade einen Kuckuck auf die Säulen des antiken Bauwerks klebt. Die Euro-Retter müssen an Bord bleiben, meint er.

In Brüssel will man von alldem nichts wissen. EU-Währungskommissar Rehn und Eurogruppenchef Dijsselbloem wiesen die Gedankenspiele als Meinungen einzelner EZB-Mitglieder am Rande eines Spitzentreffens zurück und versicherten, dass die Troika intakt bleibe, der Euro weiter geschützt werde und die Finanzmärkte auch künftig bestimmen, wo es lang geht.

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Glosse: Geschönte Arbeitsmarktdaten

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„Die Unterbeschäftigung stellt die gesamte Entlastung des Arbeitsmarktes durch den Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente dar“, heißt es in einem der aktuellen Arbeitsmarktberichte, die in den Bezirken verteilt werden. Wenn sie diesen Satz verstanden haben, hat er seinen Zweck verfehlt.

Herrschaftssprache lebt schließlich davon, dass der Leser über solche Passagen hinweg fliegt und sich denkt: Kann ich sowieso nicht mitreden. Würde da stehen, dass Arbeitslose aus politisch zweifelhaften Gründen einfach nicht mehr mitgezählt würden, sehe die Sache freilich anders aus, aber das kann nicht im Sinne derer sein, die an einem robusten Arbeitsmarkt interessiert sind. Über die Jahre haben Bundesregierung und die Agentur für Arbeit eine ganz eigene Zählweise etabliert.

Da ist es schon verwunderlich, warum neben den über 58-Jährigen, den Kranken und privat registrierten Arbeitslosen nicht auch die unter 30-Jährigen einfach aus der Statistik herausgerechnet werden. Schließlich ist bekannt, dass sich Vertreter dieser Spezies als Dauerpraktikanten und Überlebenskünstler einen Namen gemacht haben und selbst in Phasen, in denen sie keinen Arbeitgeber finden, der sie ausbeutet, genau wissen, wie sie sich produktiv beschäftigen und einbringen können. Die machen dann vielleicht mal eine Reise ins Ausland, weit weg von der Statistik, die auf sie aufpasst.

Dann wären da noch die Arbeitnehmer im Alter zwischen 30 und 58. Wenn die ihre Stelle aus stets nachvollziehbaren betrieblichen Entscheidungen verlieren, sind sie natürlich nicht arbeitslos, sondern ganz einfach mal „between jobs“. Das klingt nicht nur viel cooler, sondern rückt auch die trockene Statistik in ein noch glanzvolleres Licht. Schließlich hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank „Zähl“Weise im letzten Jahr schon gemeint, dass die Zahl der nicht weiter versteckbaren Arbeitslosen nicht ständig sinken könne. Da sind einfach mal neue Ideen gefragt.

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Geschönte Arbeitsmarktdaten

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Laut amtlicher Statistik waren im Februar 3,156 Millionen Menschen arbeitslos. Die Bundesagentur für Arbeit und die Regierung bezeichnen die Zunahme der Erwerbslosenzahl um 18.000 im Vergleich zum Januar als gering und den Arbeitsmarkt insgesamt als robust. Doch nach wie vor werden nicht alle Menschen, die tatsächlich ohne Job sind, auch als arbeitslos gezählt. Hier trickst die Behörde im Auftrag der Bundesregierung.

Seit Beginn der 90er Jahre hat die Politik immer wieder Bereinigungsinstrumente eingeführt und bestimmte Gruppen so aus der Statistik verbannt. Arbeitslose, die älter als 58 Jahre oder kurzfristig erkrankt sind, die einen Ein-Euro-Job erledigen müssen oder sich in einer Weiterbildungsmaßnahme befinden, werden nicht mehr mitgezählt. Seit 2009 werden auch jene nicht mehr offiziell erfasst, deren Arbeitslosigkeit von privaten Jobvermittlern verwaltet wird. Zusammengenommen beläuft sich die Gruppe der Aussortierten oder Unterbeschäftigten, wie es bei der Behörde heißt, auf derzeit 811.166 Personen. Dennoch werden die aktuell gemessenen Zahlen gern mit der Zeit von vor 20 Jahren verglichen.

Würde man ehrlich zählen, käme eine Arbeitslosenzahl von 3.967.408 heraus. Hinzu kommen 567.000 Menschen ohne Job, die von sich aus auf den Gang zum Arbeitsamt und auf ihren Leistungsanspruch verzichten. Hier spricht die Behörde von einer stillen Reserve, die allenfalls am Rande Erwähnung findet.

Damit ist klar, dass Arbeitslosigkeit nicht reduziert worden ist. Stattdessen hat neben der Statistiktrickserei eine Verschiebung innerhalb der Beschäftigungsarten stattgefunden. Es gibt heute weniger Vollzeitstellen als vor 20 Jahren, dafür mehr prekäre Beschäftigung im Teilzeit- und Minijobbereich. Das ist eine Entwicklung, die kaum als robust im Sinne von nachhaltig bezeichnet werden kann.

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Die Sensation, die schon keine war, ist nun verpufft

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Angesichts des klaren Neins der CDU-Spitze zum Thema Gleichstellung der Homo-Ehe gestern Abend, verweise ich auf meinen Beitrag vom 24. Februar „Eine Sensation, die mal wieder keine ist„. Da steht alles drin, worüber die Medien heute jammern. Allerdings lese ich auch, dass Angela Merkel Entscheidungsstärke gezeigt habe (Süddeutsche). Nico Fried meint zu Beginn seines Kommentars „Augen zu – und Vollbremsung“:

„Da sage noch einer, Angela Merkel sei entscheidungsschwach. Zehn Tage Zeit hatte die Kanzlerin in der Unions-Fraktion erbeten, um Gespräche über das weitere Vorgehen bei der sogenannten Homo-Ehe zu führen. Jetzt hat sie gerade mal fünf Tage gebraucht, um zu einem Ergebnis zu kommen.“

Am Ende heißt es dann:

„Peinlich ist nur, dass nun die Totalverweigerung eines Mannes den Ausschlag gab, der gar nicht der CDU angehört: Horst Seehofer.“

Da bleibt der Leser aber mit Blick auf den Begriff Entscheidungsstärke etwas verwirrt zurück. Das hat dann wohl doch mehr mit „Augen zu“ zu tun.

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