Die Wissenschaft liefere Erkenntnisse, die real sind, erklärte Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag, so als ob sie sagen wollte, die Sache sei doch sonnenklar. Allerdings weiß ihre Regierung bis heute nicht, woher ein Großteil der Infektionen überhaupt kommt. Diese Unwissenheit, die man sich Ende Oktober in einer „Scheiß-Schalte“ mit dem RKI zurechtbastelte, war Teil der Begründung für den November-Lockdown, der befristet sein sollte, aber immer noch andauert und in immer kürzeren Abständen um ergänzende Beschlüsse erweitert wird.
Das Schließen von Kultur- und Freizeiteinrichtungen, von Restaurants und Nagelstudios wurde damit erklärt, dass man Infektionen hier nicht ausschließen könne. Die behördlich genehmigten Hygienekonzepte, die wiederum auf nicht unerheblichen Investitionen und Vorleistungen beruhten, erklärte man damit faktisch für wirkungslos. Verloren ging damit auch das darauf aufbauende Vertrauen der Betreiber, ihr Geschäft unter Pandemiebedingungen kontrolliert fortsetzen zu können. Erzeugt wurde dagegen ein Zustand der Unsicherheit.
Es bleibt Wahlkampf
Was ist nun daraus geworden? War es richtig, diese Betriebe und Einrichtungen zu schließen? Oder war es falsch, eine kontrollierbare Umgebung in der Öffentlichkeit aufzugeben, weil das möglicherweise zu mehr Begegnungen in den unkontrollierbaren privaten Bereichen geführt hat? Diese Fragen werden nicht gestellt und nicht geklärt. Stattdessen wird um die nächste Lockdown-Stufe gefleht. Noch mehr Stilllegung des öffentlichen Lebens, am besten sofort und nicht erst nach Weihnachten. Ein kurzer harter Lockdown, das sei jetzt die allerletzte Lösung.
Entscheidend ist aber, dass die Wissenschaft eben nicht die Erkenntnisse liefert, wie Merkel behauptet. Das Gegenteil ist der Fall. Die Wirkung vieler Maßnahmen ist vollkommen unklar. Es wird gar nicht hinterfragt, woran es liegen könnte, dass der sogenannte Wellenbrecher-Lockdown nicht funktioniert. Ein Karl Lauterbach, der am Zustandekommen maßgeblich beteiligt war, wie Merkel im Bundestag besonders lobend hervorhob, sagt jetzt, dass das alles nicht ausgereicht hat. Warum, erklärt er nicht. Am Sonntag warb der SPD-Paniker nach dem Auftritt Söders daher ebenfalls für eine härtere Gangart und ein Schließen der Geschäfte nach Weihnachten. Es folgt die bekannte Corona-Aktionismus-Dynamik.
Sachsen kündigt einen schärferen Lockdown an und die Leopoldina veröffentlicht eine Stellungnahme, gerade rechtzeitig vor der Ansprache der Kanzlerin, die ihre Bundestagsrede am Mittwoch damit schmückte. Es soll die beste ihrer Karriere gewesen sein. Die „Wissenschaft“ mahnt nun zu noch schärferen Maßnahmen. Merkel baute das in ihre als besonders emotional beschriebenen Rede ein, um den Druck auf die Länder zu erhöhen. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet trat anschließend vor die Kameras und empfahl einen Jahresend-Lockdown nach den Feiertagen. Ganz Deutschland müsste mitmachen. Das war diesmal in Richtung der SPD-Länder gerichtet, die sich insgesamt noch zieren. Karl Lauterbach, der das nach seinen Äußerungen vom Sonn- und Montag eigentlich begrüßen müsste, kritisiert Laschet nun wiederum.
„Laschets Vorschläge für einen Lockdown nach Weihnachten bis zum 10. Januar springen zu kurz und kommen zu spät. Wir können es uns nicht erlauben, bis nach Weihnachten mit dem Lockdown zu warten“
Er will also mehr und erhöht den Einsatz im obligatorischen Überbietungswettbewerb. Dabei geht er der Kanzlerin wieder dienstbar zur Hand. Ist das nun Wissenschaft? Nein, das ist Politik, die sich als Wissenschaft tarnt, um Ziele zu erreichen, die wenig mit der Gesundheit der Bürger zu tun haben, als mehr mit einer Verbesserung von Wahlaussichten. Das Jahr 2021 sieht sechs Landtags- und eine Bundestagswahl vor. Die richtige Pandemie-Erzählung und Rolle der Mitwirkenden ist von Bedeutung.
Es fehlt die Substanz
Ginge es nun um Wissenschaft, hätte man beispielsweise mal in Erfahrung bringen können, welchen Beruf die Menschen ausüben, die sich mit dem Virus infizieren. Es wäre wichtig zu wissen, ob bestimmte Berufsgruppen, beispielsweise Friseure oder Lehrer, besonders gefährdet sind, sagt der Medizinstatistiker Gerd Antes. Eine simple Aufgabe, die aber nur unzureichend erledigt werde. Es hat daher eher den Anschein, als ob man gar nicht genau wissen will, welche Maßnahmen wie wirken. Hauptsache es gibt immer mehr davon, was sich in Form von Zustimmung auf das jeweilige politische Konto einzahlen lässt.
Doch was ist davon zu halten? Bayern hat einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt und erlässt Ausgangsbeschränkungen, weil die im geänderten Infektionsschutzgesetz jetzt auch erwähnt werden. Doch diese entschlossen wirkende Ankündigung hat kaum Substanz. Eine Liste von Ausnahmen lässt sich auch so lesen, als ob sich am gegenwärtigen Zustand gar nichts ändert. Die Ausgangssperren nach 21 Uhr sind zwar noch schärfer formuliert, dafür aber auch nutzloser. Fraglich ist vor allem, was das alles mit dem Schutz von Risikogruppen zu tun hat. In den Pflegeheimen gibt es wieder Hotspots, trotz aller ergriffenen Maßnahmen für die Allgemeinheit. Wäre es nicht sinnvoller, diese Bereiche nun endlich besser zu schützen?
Nein, war bislang die Antwort, da das angeblich zu einer Isolierung der Alten führe. Das Gegenteil ist aber der Fall. Jetzt, wo es wieder viele Infizierte in den Einrichtungen gibt, wird panisch zugesperrt. Es gibt Kommunen, die einen anderen Weg eingeschlagen haben und relativ erfolgreich sind, weil sie zielgerichtetere Maßnahmen ergriffen haben. Sie dienen aber nicht als Vorbild für die „Wissenschaft“ oder die Politik, die lieber an den erfolglosen Rezepten und einer Lockdown-Logik festhalten möchte.
Immerhin sollen Menschen ab 60 Jahren oder mit Vorerkrankungen ab Mitte Dezember jeweils 15 FFP2-Masken kostenlos erhalten. Denn die Bundesregierung will mehr als 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger mit gut schützenden FFP2-Masken ausstatten. Für die Zeit ab Neujahr sollen diese Menschen weitere zwölf Masken erhalten. Dafür bekommen die Betroffenen fälschungssichere Coupons zugeschickt. Diese sollen sie in zwei dabei genannten Zeiträumen im neuen Jahr in Apotheken einlösen können. Was für ein Plan mit viel wollen und sollen. Besonders hart, im Sinne von fundiert und eingetütet, klingt das aber noch nicht. Eher wie eine spontane Idee. Wenn das so läuft, wie mit den Novemberhilfen, die vermutlich erst im Januar ausgezahlt werden können, ist größte Besorgnis angezeigt. Die Bundesregierung schützt Risikogruppen eben nicht und hat es versäumt, in den Sommermonaten Vorsorge zu betreiben und simpelste Daten zu erheben. Nun nützen auch dramatische Appelle oder Empfehlungen wie Kniebeugen und Händeklatschen nichts. Eine Bundeskanzlerin, die seit 15 Jahren regiert, muss mehr anbieten als das.
Bildnachweis Jonas Schmidt auf Pixabay
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.