Problemchen der deutschen Kleinbürgerschaft

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Die FAZ kommentiert heute Guttenbergs Abschied, den er nicht selber, sondern durch Horst Seehofer erklären ließ. Also durch den, der ihn entdeckte, erfand oder sogar schuf. 

„Während Wohnungen von Wulffs langjährigem Sprecher durchsucht werden, inszeniert der bayerische Ministerpräsident den Abschied Guttenbergs wie ein sakrales Ereignis. Übersehen wird gern, dass auch Guttenberg – ungeachtet seines einnehmenden Wesens – ein kleinbürgerlicher Karrierist war. Um fast jeden Preis wollte er im Amt bleiben. Sich vor Weggefährten zu stellen kam ihm nicht in den Sinn. Sie mussten gehen, damit er weiterkam. Worin seine Leistungen als Minister eigentlich bestanden, das wussten auch seine zahlreichen Anhänger nicht zu erklären. Sein Abgang aber ist kein Verlust.“

Quelle: dradio Presseschau

Nur wenn Guttenbergs Abgang kein Verlust darstellt, wieso konnte dann seine Erscheinung bei so vielen Menschen einschließlich der Medien Faszination bis hin zur Vergötterung auslösen? Wahrscheinlich, weil eine Wachstumsdelle im Zentralnervensystem auf das sensorische Gehirnareal drückte.  In der marktkonformen Demokratie gehören solche Handicaps eben dazu.

Interessant ist aber die Erkenntnis, wonach auch der hochwohlgeborene und als Kosmopolit fälschlich beschriebene Karl-Theodor doch nur die Attitüde eines kleinbürgerlichen Hanswurstes an den Tag legte. Das hätten die kleinbürgerlich denkenden FAZ-Redakteure aber auch schon bei Friedrich Engels des Vormärzes nachlesen können.

“Wie kleinbürgerlich steht der hohe und niedrige deutsche Adel seit dem zwölften Jahrhundert da neben dem reichen, sorglosen, lebenslustigen und in seinem ganzen Auftreten entschiedenen französischen und englischen Adel! Wie winzig, wie unbedeutend und lokalborniert erscheinen die deutschen reichsstädtischen und hanseatischen Bürger neben den rebellischen Pariser Bürgern des vierzehnten und fünfzehnten, neben den Londoner Puritanern des siebzehnten Jahrhunderts! Wie kleinbürgerlich nehmen sich noch jetzt unsre ersten Größen der Industrie, der Finanz, der Seefahrt aus neben den Börsenfürsten von Paris, Lyon, London, Liverpool und Manchester! Selbst die arbeitenden Klassen sind in Deutschland durchaus kleinbürgerlich. So hat die Kleinbürgerschaft bei ihrer gedrückten gesellschaftlichen und politischen Stellung wenigstens den Trost, die Normalklasse von Deutschland zu sein und allen übrigen Klassen ihre spezifische Gedrücktheit und ihre Nahrungssorgen mitgeteilt zu haben.”    

In Deutschland wird mal wieder gejammert mit dem Prädikat einer besonderen Lokalborniertheit.

Mit Hingabe wird sich Themen wie Wulff und dessen offensichtlich korrupten Netzwerk in Hannover zugewandt oder über eine Rückkehr des ehemals Geölten aus dem Bayerischen diskutiert. Andere wiederum befassen sich damit, wie sie die Zustellung einer kostenlosen Bild-Zeitung zu deren 60-jährigen Bestehen verhindern können oder damit, unter welchen Umständen die Linkspartei wählbar sei (Was den Sasse da reitet, kann ich mir auch nur mit lokaler Borniertheit erklären).  

Da möchte man am liebsten schreiend irgendwo hinlaufen, wo es schöner ist. Vielleicht zu Goldman Sachs. Denn via NachDenkSeiten erfahre ich, dass nun auch die weltführenden Banker die Euro-Krise richtig zu verstehen beginnen. Damit sind die Kriminellen schon weiter und aufgeklärter, als die klägliche deutsche Kleinbürgerschaft mit ihren ganz speziellen Problemchen.

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Der böse Kapitän

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Seit der Havarie der “Costa Concordia” wurde der Kapitän sehr schnell als Sündenbock für die Katastrophe ausgemacht. Naiv verbreiteten die Medien die Geschichte vom Einzelgänger, der Freunden auf der Insel Giglio mit der riskanten Vorbeifahrt bloß imponieren wollte. Die Reederei distanzierte sich umgehend von ihrem Mitarbeiter und machte ihn allein für das Unglück verantwortlich. Keiner interessierte sich für die Frage, ob es vielleicht ein wirtschaftliches Interesse des Unternehmens gegeben haben könnte, im hart umkämpften Kreuzfahrtgeschäft mit einem besonderem Highlight aufzuwarten.

Tagelang rätseln Journalisten und Experten um die Motive des Kapitäns, ein derartiges Risiko in Kauf zu nehmen. Nun, es war wirklich zu erwarten, wurde bekannt, dass der Kapitän Francesco Schettino bereits 2010 die gleiche spektakuläre Route zwischen Insel und Festland wählte und dies auch der Reederei bekannt sein musste.

Wie ARD-Korrespondent Carsten Kühntopp berichtet, veröffentlichte die Reederei auf ihrer Webseite einen begeisterten Erlebnisbericht von einer solchen Vorbeifahrt vom August 2010. Kapitän auch damals: Francesco Schettino.  

Quelle: Tagesschau

Die Überraschung dürfte wieder groß sein. Aber nicht, weil man feststellte, dass systemisches Marktversagen inzwischen zur Regel geworden ist, bei dem es immer auch Opfer zu beklagen gibt, sondern weil hier mal wieder Einzelne aus Profitinteressen ein unverantwortliches Risiko eingegangen sind. Zum bösen Kapitän kommt vielleicht noch der böse Reederei-Manager und das war’s.

Das System, welches Niedertracht erst produziert und riskantes, der Gier geschuldetes, Verhalten belohnt – solange es gutgeht – darf hingegen fortbestehen.

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