Wieder Mumpitz nach Schema F

Geschrieben von: am 24. Nov 2020 um 15:32

Papier ist geduldig, das Corona-Virus offenbar auch. Es wartet gespannt auf die nächste Bund-Länder-Runde am Mittwoch. Wie werden sich die Ministerpräsidenten der A- und B-Länder in Absprache mit der Bundeskanzlerin entscheiden? Zwei Beschlussvorschläge hat es am Montag gegeben, die nun zu einem Kompromiss, erneut ohne parlamentarische Beteiligung, dafür mit reichlich Kommentaren von Markus Söder zusammengeführt worden sind. Das Ergebnis, man muss es so deutlich sagen, ist wieder einmal Mumpitz.

Es läuft nach Schema F mit Spätfolgen für die Demokratie. So beschreibt der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, auf Twitter den nächsten Akt im Corona-Schauspiel. Die Dramaturgie geht aus seiner Sicht so.

  • Wochenende: Söder erteilt Ratschläge an andere Länder.
  • Dienstag: Presse berichtet über Ergebnis vorab.
  • Mittwoch: Kanzlerin und Ministerpräsidenten verkünden Ergebnis.
  • Donnerstag: Regierungserklärung der Kanzlerin im Bundestag.

Dazu noch ein Kleiner Rückblick: Als der November-Lockdown beschlossen wurde, war von einer Befristung die Rede.

Deshalb brauchen wir jetzt im Monat November, beginnend mit dem zweiten November, noch einmal eine nationale Kraftanstrengung, eine befristete Kraftanstrengung, die wir auf die Zeit des Monats November, also bis zu seinem Ende terminieren. Aber wir werden uns als Bund und Länder zwei Wochen nach Inkrafttreten wieder treffen, uns anschauen, wo wir stehen, und gegebenenfalls auch Maßnahmen anpassen. All das dient dem Zweck, im Dezember, natürlich weiterhin unter Coronabedingungen, das öffentliche Leben wieder besser gestalten zu können, etwa so, wie wir es heute kennen.

Quelle: Bundeskanzlerin

Zwar machte die Kanzlerin bereits die Einschränkung, Maßnahmen gegebenenfalls anzupassen, aber das geschah eben nicht erst nach zwei Wochen, sondern bereits unmittelbar vor Beginn des Lockdowns, als bereits über weitere Verschärfungen breit diskutiert worden ist. Mit „uns anschauen, wo wir stehen“ waren auch nicht die Länder gemeint, die nach zwei Wochen eine Vorlage mit Vorgaben aus dem Kanzleramt auf den Tisch bekamen und diese empört zurückwiesen. Man wolle halt erst einmal schauen, wie vereinbart. Damit wäre auch Zeit für eine Diskussion in den Länderparlamenten gewesen, die aber erneut nicht genutzt worden ist. Stattdessen wird es wieder nachgelagerte Unterrichtungen geben. Klar war hingegen von Anfang an, dass die Befristung der Maßnahmen auf den November nie ernst gemeint war, sondern lediglich als Scheinperspektive neben der sogenannten Novemberhilfe implementiert wurde, um die Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den Betroffenen zu erhöhen.

Corona-Festtagsregeln

Alle Maßnahmen zur Kontaktreduktion werden damit begründet, dass das Infektionsgeschehen nach wie vor zu hoch sei. Diese kaum hinterfragte und in sich abgeschlossene Logik wird nun mit dem aktuell vorliegenden Beschlusspapier vollends ad absurdum geführt. Denn an Weihnachten und Silvester sollen ja unabhängig vom Infektionsgeschehen mehr Kontakte erlaubt sein, als an den Tagen davor und möglicherweise auch wieder danach. Das Ganze nennt die Presse dann Corona-Festtagsregeln. Dieser willkürliche Irrsinn ist nun wirklich nicht mehr zu rechtfertigen. Entweder die sogenannte 7-Tage-Inzidenz ist die maßgebliche Größe (Söder: Mutter aller Zahlen) oder sie ist es nicht. Vermutlich spielen die Regierungen aber wie Ende Oktober erneut mit gezinkten Karten und kündigen Erleichterungen nur an, um eine größere Akzeptanz für die noch härteren Einschränkungen ab Anfang Dezember zu bekommen.

Im Grunde zeigt das Hin und Her, dass das Infektionsgeschehen noch immer nicht verstanden wird. So folgt die Zahl der Hospitalisierungen und der intensivmedizinischen Behandlung eben nicht den modellierten Schreckensszenarien, was man als positive Entwicklung in der Krisenkommunikation durchaus mehr herausstellen könnte. Stattdessen gibt es wieder Verschärfungen in der Hoffnung, dass die Zahl der Neuinfektionen sinkt. Nur warum sollte sie, wenn die Verbreitung des Virus doch schon so weit fortgeschritten ist?

Die gegenwärtig vorhandenen epidemiologischen Daten zur SARS-CoV-2/CoViD-19-Epidemie aus dem In- und Ausland sprechen gegenwärtig nicht mehr für eine Welle, die „gebrochen“ werden kann, sondern eher für ein kontinuierliches Ansteigen der Zahlen. Eine leichte Abflachung bzw. ein vorübergehender Abfall der Zahlen mag beobachtet werden, nur die Annahme, dass man während des Winters ein „Zurück“ auf Zahlen wie im August erreichen kann, entbehrt jeder Grundlage.

Quelle: Thesenpapier 6, Teil 6.1: Epidemiologie. Die Pandemie durch SARS-CoV-2/CoViD-19, Zur Notwendigkeit eines Strategiewechsels.

Auf der anderen Seite ist ja hinlänglich bekannt, dass Weihnachten am 25. Dezember ist. Der Weihnachtsmann würde da von Evidenz sprechen, etwas, dass den Corona-Maßnahmen immer noch konkret fehlt. Die Regierung tappt weiterhin im Dunkeln und nimmt nun an, dass das Coronavirus zwischen den Jahren eine Pause einlegen wird. Na ja, nicht ganz. Das soll über die Vernunft der Menschen erreicht werden, die das Weihnachtsfest etwas kleiner als sonst gestalten mögen. Überprüfen kann das aber ohnehin niemand, egal wie viele Leute per Landesverordnung zum privaten Festtagsbraten nun zugelassen werden oder nicht. Mehr Kontrolle ginge übrigens nur in Restaurants, die aber weiterhin aus fadenscheinigen Gründen geschlossen bleiben müssen.

Es ist geradezu lächerlich, wie die Landesregierungen versuchen, ihrem Regelungswahn einen Anschein von überlegter Seriosität zu verleihen. Da steht dann in den Papieren, dass die Kontaktbeschränkungen für Jugendliche bis zu einem Alter von 14 Jahren nicht gelten sollen. Warum 14 und nicht 16, 18 oder 12? Gleichzeitig soll es eine Art Selbstquarantäne vor Weihnachten geben, vermutlich weil das ein bekannter und weitgehend empathieloser Virologe mit nachgewiesener Mathematikschwäche mal in einem Podcast vorgeschlagen hat. Das soll die Gefahr von Corona-Infektionen im Umfeld der Feierlichkeiten so gering wie möglich halten. Man könnte also die Ferien um ein paar Tage vorziehen, wie das die Länder schon machen, die im Rennen um das Kanzleramt ein Wörtchen mitreden wollen. Da ergibt es natürlich Sinn, die Kontaktbeschränkungen bei Schülern nicht mehr anzuwenden, da man die Corona-Regeln mit Hilfe der Polizei ja auch so durchsetzen kann.

Miserable Datengrundlage

Man könnte natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass die Ansteckungsgefahr an Schulen eher überschätzt wird, worauf Kinderärzte nach einer Datenauswertung jüngst hingewiesen haben. Das spräche wiederum dafür, den Schulbetrieb insgesamt etwas gelassener zu sehen. Stattdessen wechseln Schulen vor lauter Angst und Vorsicht mal in das eine, mal in das andere Szenario. Evidenz spielt eben keine Rolle, das Recht auf Bildung übrigens auch nicht, sondern eher der Glaube und das Prinzip Hoffnung. So hoffen die Landesregierungen, dass die Arbeitgeber die abseitige Corona-Politik unterstützen und prüfen, ob Betriebsschließungen oder Homeoffice-Lösung vom 23. Dezember bis zum 1. Januar möglich seien. Warum erst vom 23. Dezember, wenn doch der Ferienbeginn bereits vorgezogen werden soll, damit die Selbstquarantäne für Schüler schon ab dem 18. Dezember beginnen kann? Und warum werden die Arbeitgeber eigentlich um Unterstützung gebeten, wenn der Staat doch in anderen Branchen seit Wochen eine Schließung von Betriebsstätten einfach so anordnen kann? Oder anders gefragt, warum sollten Unternehmen ohne eine staatliche Entschädigung, die es für Zwangsschließungen gibt, freiwillig den Betrieb einstellen?

Es drängt sich immer mehr der Verdacht auf, dass Bundes- und Landesregierungen nicht mehr wissen, was sie noch tun sollen und daher von einer sinnlosen Verordnung zur anderen stolpern. Dabei helfen dann die roten Karten mit den Inzidenzwerten, die aber das Infektionsgeschehen überhaupt nicht adäquat abbilden. Es ist nämlich viel schlimmer. Darauf weist der Infektiologe Matthias Schrappe hin, der zusammen mit Vertretern verschiedener Bereiche im Gesundheitswesen ein Thesenpapier erarbeitet hat. Schrappe sagt, dass das akute Infektionsgeschehen in Deutschland schlicht unbekannt sei, da die Menschen, die das Virus in sich tragen, aber keine Symptome entwickeln, nun einmal kaum zu entdecken sind. Die politisch gesetzten Inzidenzwerte sind damit vollkommen unbrauchbar, da sie nicht messen, was sie messen sollen und folglich als Zielvorgaben auch gar nicht mehr erreicht werden können. Sinnvoller wären Kohorten-Studien, bei denen jeweils mehrere Tausend Menschen nach spezifischen Kriterien aufgeteilt und beobachtet würden.

Das ist ein alter Vorschlag, der sicher dabei helfen würde, die miserable Datengrundlage endlich zu verbessern. Den Regierungen sind verlässliche Zahlen allerdings seit neun Monaten herzlich egal, sofern sie nicht als Grundlage irgendwelcher Horrorrechnungen dienen. Gerade das Unwissen bildet ja die Hauptgrundlage für die Lockdown-Politik. So werden auch weiterhin nur die Neuinfektionen zur Kenntnis genommen oder das Lüften als eine der wichtigsten Maßnahmen beschrieben. Dessen Sinnhaftigkeit wird aber durch eine absurde und immer schärfer ausformulierte Maskenpflicht an der frischen Luft gleich wieder infrage gestellt. Dinge zu tun, die schwachsinnig sind, bleibt keine kluge Strategie. Dinge zu unterlassen, die notwendig wären, gefährden hingegen Menschenleben. So gibt es schon wieder eine Reihe von Corona-Ausbrüchen in Altenpflegeheimen (siehe auch hier). Das genaue Lagebild ist der Regierung allerdings unbekannt. Das heißt auch, dass der Schutz von Risikogruppen immer noch nicht umgesetzt ist und schon gar nicht dadurch verbessert werden kann, indem man ständig Lockdowns macht.

Ein Strategiewechsel ist daher unvermeidlich.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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