Anleger halten sich nie zurück

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Seit gestern heißt es auch für den deutschen Musterschüler, die Anleger halten sich zurück. Sogar von einem generellen Anlegerstreik war die Rede. Deutschland hatte Probleme Staatsanleihen am Finanzmarkt zu platzieren.

Doch ist es richtig, dass Anleger sich zurückhalten oder gar in einen Streik treten können? Nein. Kein Anleger kann das. Es widerspricht dem Wesen des Kapitalismus. Es ist immer wieder lustig, wie offenbar in den Köpfen das Bild von Dagobert Duck gepflegt wird, der sein Geld in riesigen Geldspeichern aufbewahrt und niemandem etwas abgibt.

Zur Grundbedingung des Kapitalismus gehört, dass Kapital angelegt werden muss. Selbst wenn es auf dem Sparbuch herumliegt, ist es angelegt. Kein Kapitalist hortet Geldbündel in seinem Keller. Die Amerikaner haben trotz hoher Schulden und einem Patt zwischen Konservativen und Demokraten kein Refinanzierungsproblem. Anleger nehmen sogar Verluste in Kauf (die Inflationsrate liegt mit über 3 Prozent höher als die Verzinsung 10-jähriger Bonds mit unter 2 Prozent), nur um amerikanische Staatsanleihen zeichnen zu können.

Wenn Investoren verunsichert sind, sind sie dennoch gezwungen, ihr Geld irgendwo anders anzulegen oder auszugeben, was wiederum einer Anlage in Sachwerten oder Konsumgütern entspricht. Wenn Europa nun immer unsicherer wird, steigt automatisch die Nachfrage nach Bonds anderer Währungsräume. Würde die deutsche Regierung mal kapieren, dass Anleger ihr Geld nur Staaten auf diesem Planeten verleihen können, weil die Bewohner des Mondes und des Mars noch keine attraktiven Wirtschaftsräume gebildet haben, müsste doch klar werden, dass ein gemeinsamer europäischer Anleihemarkt von großem Vorteil wäre.

Doch dagegen sträubt sich die gerade wieder in den Medien abgefeierte Krisenkanzlerin vehement. Die alberne Ablehnung von Eurobonds, die für jeden sichtbar das Verschuldungsproblem der Defizitstaaten aufgrund überhoher Risikoaufschläge nur noch weiter verschärft, schlägt sich nun auch auf dem deutschen Anleihemarkt nieder. So als wollten die Finanzmärkte sagen: Seid doch nicht so borniert.

Merkels Kompass führt geradewegs in die Isolation und, für Anleger wichtig, in den Abgrund. An einem Eurozonenkollaps haben selbst die Spekulanten, die auf Staatspleiten wetten, kein Interesse. Solange sichergestellt ist, dass die Milliarden fließen, kein Problem. Aber offenbar ist den Finanzmärkten bereits bewusst, dass weder ESFS mit oder ohne Hebel noch ESM ab 2013 den Kapitalbedarf decken können, wenn sich an den Zinsniveaus nichts ändert.

Gemeinsame Eurobonds sichern aus Sicht der Märkte ein Überleben der Eurozone. Mit 7 Billionen Euro wäre das Anleihevolumen vergleichbar mit dem des Dollarraums (10 Billionen Euro) und dem Japans (7 Billionen). Der sichere Währungshafen wäre wiederhergestellt und vor allem soviel Liquidität vorhanden, dass kein Spekulant, kein Investor und keine Ratingagentur mehr Geld aufbringen könnte, um die Bonität der gesamten Eurozone in Zweifel zu ziehen.

Das ändert nur nichts an den bestehenden Handelsungleichgewichten, deren Beseitigung oberstes Ziel sein muss. Behält Deutschland seine Überschüsse, behalten alle anderen auch ihre Defizite. Das muss klar sein. Falls nicht wäre der nächste Crash auch unter der Bedingung gemeinsamer Anleihen vorprogrammiert.

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Richtige Worte und Gesten

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Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz hat dem Bundesinnenminister nahegelegt zurückzutreten, weil er mit Blick auf den “Rechtsterrorismus” nicht die richtigen Worte und Gesten finde.

Das ist schon sehr seltsam, weil die gesamte Regierung weder die richtigen Worte noch die richtigen Gesten findet, und das gilt nicht nur für rechte Straftäter, die weitgehend unerkannt mordend durch die Lande ziehen. Aber bleiben wir ruhig einen Augenblick beim Bundesinnenminister. Im Sommer tourte er noch als Wahlkampfhelfer von Veranstaltung zu Veranstaltung in der kommunalen Provinz. Dabei hielt er immer dieselbe Rede.

Er sprach über die innere Sicherheit und die Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus (Deutschland sei noch stärker im Fadenkreuz als vor zehn Jahren) und darüber, dass das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, das seit 1968 gelitten habe wieder neu justiert werden müsse.

Junge Menschen sollten wieder lernen, nicht nur von einer sozialen Gemeinschaft etwas zu erwarten, sondern dem Land auch etwas zu geben, weil sie es ihm schulden. Und ja, er nahm den Kennedy Satz für sich in Anspruch, wonach man als Bürger nicht fragen solle, was das Land für einen tun, sondern was man selber für das Land tun könne. Im Kampf der Systeme müsse Deutschland international wettbewerbsfähig bleiben, und es stimme nicht, dass die Freiheit durch den Staat bedroht werde, sondern nur durch Angreifer von außen.

Dabei richtete sich sein Blick konsequent auf angeblich 1000 Personen, die man als mögliche Terroristen bezeichnen könne. Von diesen seien 128 als sogenannte Gefährder eingestuft, von denen man annehme, dass sie erhebliche Straftaten begehen könnten. 20 dieser Gefährder hätten gar eine Ausbildung in Terroristenlagern absolviert.

„Die größte Gefahr geht heute eher von Einzeltätern aus. Sie sind schwer zu entdecken“

Quelle: Süddeutsche

Heute wirken solche Aussagen noch unbegreiflicher. Nur hat damals kein Wiefelspütz zum Rücktritt aufgerufen, weil Friedrich mit demagogischen Reden die Hoheit über den Stammtischen erringen wollte. Offenbar war auch die SPD überfordert und wollte nicht erkennen, dass auch in Deutschland von rechts systematisch Straftaten begangen werden. Norwegen war ein Schock, aber auch relativ weit weg. Nicht zuletzt der Umgang mit Thilo Sarrazin hat gezeigt, dass es auch bei der SPD an richtigen Worten und Gesten mangelt.

Allerdings muss man Dieter Wiefelspütz zugute halten, dass er Sarrazin zu Recht vorwarf, rassistisches Gedankengut zu verbreiten und hat deshalb konsequent dessen Austritt aus der SPD gefordert. Nur als Anders Behring Breivik in Oslo Amok lief und SPD-Parteichef Gabriel einen Zusammenhang zwischen ihm und fremdenfeindlichen Gedankengut à la Sarrazin in Europa herstellte, ruderte Wiefelspütz wieder kleinlaut zurück.

Gabriel: „In einer Gesellschaft, in der Anti-Islamismus und Abgrenzung von anderen wieder hoffähig wird, in der das Bürgertum Herrn Sarrazin applaudiert, da gibt es natürlich auch an den Rändern der Gesellschaft Verrückte, die sich letztlich legitimiert fühlen, härtere Maßnahmen anzuwenden.” 

Wiefelspütz: „Für seine Analyse ist alleine Herr Gabriel verantwortlich. Ich würde so weit nicht gehen. Alles wird mit allem verrührt. Es fehlt dann an der Präzision der Analyse.“ Wiefelspütz will nicht falsch verstanden werden als Fan von Sarrazin. Er hält ihn, wie er sagt, für „borniert, statistikgläubig, herzlos und zynisch“. Gabriels Hinweis aber sei „nicht hilfreich“, im Gegenteil: „Sarrazin auch nur im Nebensatz in Verbindung zu bringen mit Norwegen, finde ich unangemessen.“

Quelle: Tagesspiegel

Ja, was denn nun Herr Wiefelspütz? Wischi Waschi hat mit richtigen Worten und Gesten auch nicht wirklich etwas zu tun.

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Eurobonds sind gerade “unpassend”

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Die Kanzlerin hat eine gerade wieder aufflammende Diskussion über Eurobonds als “unpassend” bezeichnet. Gemeinsame Anleihen würden keinen Anreiz mehr bieten, zu sparen und den Haushalt zu konsolidieren. Die Verschuldung würde also zunehmen. Dann hat sie auf dem Arbeitgebertag noch gesagt, dass die Frage einer “Haftungsgemeinschaft” erst am Ende der Krise beantwortet werden könne. Was heißt denn das?

Inzwischen sind die Kapitalmarktzinsen für südeuropäische Länder so hoch, dass diese sich aus eigener Kraft kaum noch refinanzieren können. Unterm Strich wird die Verschuldung dieser Länder weiter zunehmen, wenn sich nichts ändert. Nun gibt es ja diverse Sparprogramme und neue Regierungen, die bereit sind, eine rigorose Austeritätspolitik, in der Hoffnung, so das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen, auch gegen den Willen des eigenen Volkes umzusetzen.

D.h. beim neuen Papa in Griechenland und beim Monti in Italien handelt es sich strenggenommen um Vertreter der Banken und des Großkapitals, die sich als eigenständige Klasse über die Ländergrenzen hinweg bereits vereinigt haben.

Jedenfalls ist an Griechenland sichtbar geworden, dass Sparprogramme in einer Wirtschaftskrise der Volkswirtschaft als Ganzes noch mehr Schaden zufügen und den Schuldenberg nur noch weiter anwachsen lassen. Wenn Frau Doktor Merkel nun also von einer Haftungsgemeinschaft am Ende spricht, sagt sie doch nur, dass Eurobonds natürlich eingeführt werden. Es gibt sie ja als Teil des ESFS auch schon. Irgendwann wird sie ihre Meinung mal wieder grundsätzlich ändern. Allerdings erst dann, wenn die Staatsschulden in den betroffenen Ländern noch weiter gestiegen sind.

Die Krisenstrategie der Kanzlerin ist wirklich beeindruckend. Wer die Verabredungen im Euroraum nicht einhalte, müsse mit einem automatisiertem Durchgriffsrecht rechnen, sagt Merkel. Das gelte natürlich nicht für Deutschland, das mit seinen permanenten Bilanzüberschüssen auch ganz klar gegen die Verabredungen im Euroraum verstößt. Doch Bundesfinanzminister Schäuble habe eine Strafe gegen den “Exportsünder” Deutschland auf EU-Ebene verhindern können, hieß es zu Beginn der Woche.

Aus deutscher Sicht bleiben Überschüsse gut und Defizite schlecht. Dass ein Zusammenhang zwischen beiden besteht, wird der Öffentlichkeit weiterhin verschwiegen. Es wird nicht einmal ein Gedanke daran verschwendet, dass Deutschland Wettbewerbsanteile zwingend abgeben muss, damit Länder wie Griechenland, Italien und Spanien aufholen können. Vielmehr wird behauptet, dass Deutschland seine Marktanteile behalten und alle anderen welche hinzugewinnen könnten. 

Ich weiß, es ist gerade “unpassend”, weil Medien und Umfragen die Merkel-CDU im Aufwind sehen, aber diese Regierung ist so unfassbar schlecht, und sie wird es auch bleiben, wenn Merkel so weitermachen darf wie bisher. Es ist schon bezeichnend, dass Frau Bundeskanzlerin unmittelbar bevor sie im Parlament ihren Etat verteidigen muss, zu den Arbeitgebern rennt, um sich öffentlich warmzureden. 

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Invisible Hand

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Eine neue Regierung darf nicht regieren, sondern bloß den Anschein von Demokratie wahren. Denn im Kern soll auch die neue das tun, was ihre Vorgängerin auch getan hat. Nämlich sparen. Das gilt für Griechenland, Italien und Spanien. Alle drei Länder haben neue Regierungen, die allesamt freudig begrüßt worden sind. Sie sollen nun fortsetzen oder wahlweise auch verschärfen, woran ihre Vorgänger gescheitert sind.

Man kann die Heuchelei schon gar nicht mehr hören. Sie stinkt zum Himmel. Was soll sich ändern, wenn sich nichts ändert? Was soll sich an der Situation der Griechen, Italiener und Spanier ändern, wenn ihnen noch immer das Mantra des Sparens und einer wie auch immer gearteten Reformpolitik zur Auflage gemacht wird? Da quatschen vermeintliche Experten darüber, dass sich mit dem Wechsel in der Exekutive der Sparerfolg automatisch einstelle und die Wirtschaft schon an Fahrt gewinnen werde.

Dem traut man es zu, heißt es ahnungslos. Was traut man ihm zu? Das er die unsichtbare Hand zu führen vermag? Wenn der nur richtig spart und Reformen anpackt – wahrscheinlich die Staatsgewalt neu organisiert und gegen den Pöbel in Stellung bringt – dann wird auch wie von Zauberhand die Wirtschaft wieder wachsen. So unfassbar banal ist die Welt der durch Steuergelder finanzierten Weisen, Berater und Berufspolitiker.

Doch zunächst müssen alle bluten, weil nun einmal die Zeit der harten Einschnitte gekommen sei. Da sind sich alle Experten und medialen Mietmäuler und Nachbeter einig. Es gibt keine Alternative zum aktuellen Mainstream. Wer dagegen anschwimmt, ist schon verloren. Es wird nur keine unsichtbare Hand geben, die die vielen Einzelinteressen in das Wohl aller zu verwandeln vermag.

Sie wurde längst abgelöst. Und zwar durch den Knüppel einer herrschenden Kaste, die augenscheinlich keine Ketten mehr braucht, um jemanden zu fesseln. Man nimmt es hin oder klatscht Beifall. Was kümmert schon der eigene Schmerz, wenn der andere noch viel mehr leidet. Wie bequem für die herrschende Kaste, wenn sie auch den Knüppel nicht selbst zu schwingen braucht.  

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Überraschende Erkenntnisse

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Rechtsextremismus in Deutschland. Die Überraschung auf Seiten der Politiker ist groß. Das muss man verstehen. Es ist nicht lange her, da hat Bundesinnenminister Friedrich die Erkenntnisse aus dem Verfassungsschutzbericht zitiert und gesagt: 

Im Bereich des Rechtsextremismus konnte Friedrich zufolge zwar ein leichter Rückgang der Aktivisten auf 25.000 Personen festgestellt werden. Rückläufig sei auch die Zahl der NPD-Mitglieder. „Der Misserfolg der NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt beweist einmal mehr die Kraft der Demokraten in unserem Land“ sagte der Innenminister.

Friedrich wies zudem darauf hin, dass sich das Erscheinungsbild der rechtsextremen Szene wandle: Neonazis legten neuerdings Wert auf schicke Designer-Kleidung. Glatze und Springerstiefel gelten demnach in rechtsextremen Kreisen mittlerweile als veraltet.

[…]

„Wir haben zwar mehr gewaltbereite Personen in der rechten Szene“, sagte der CSU-Politiker. „Betrachtet man aber die Straftaten, bei denen tatsächlich Gewalt angewandt wird, stellt man fest: Sie werden mehrheitlich von Linksextremisten verübt.“

Quelle: Süddeutsche

Zusammengefasst wollte Friedrich sagen, dass die rechte Szene zwar gewaltbereiter, aber auch disziplinierter sei, sich besser kleide und ordentlich auftrete, wohingegen die “Dagegen”-Linken auf alles unorganisiert eindreschen würden.

Heute Morgen stellt die Frankfurter Rundschau fest:

„Bestürzender als die Nachrichten über die Verbrechen der thüringischen Neonazi-Gruppe ist die Ahnungslosigkeit der Sicherheitsbehörden, die es offensichtlich nicht für möglich hielten, dass eine Mordserie an neun Ausländern ausländerfeindlich motiviert sein könnte, die es nicht beunruhigte, dass stadt- und bundeslandbekannte straffällige Neonazis sich dem Haftbefehl jahrelang entzogen. Das Versagen der Behörden wirft einige interessante Fragen auf: Hat der Verfassungsschutz Thüringens von der Neonazi-Gruppe tatsächlich nichts gewusst? Welche Rolle hat der als V-Mann eingesetzte führende Neonazi Tino Brandt gespielt? Womit beschäftigt sich der Verfassungsschutz?

Antwort: Der Verfassungsschutz beschäftigt sich mit der Linkspartei oder Phantomislamisten, die angeblich den Rechtsstaat bedrohen. Das bindet Kräfte und lässt den V-Leuten in der rechten Szene freie Hand, um, wie es scheint, Morde zu begehen oder zu tolerieren. 

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“Markt”News am Montagmorgen

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Ich war etwas erstaunt, als ich vorhin in den Nachrichten hörte, dass der neue italienische Ministerpräsident Mario Monti unter Druck gestanden habe, eine neue Regierung zu bilden, weil heute die Finanzmärkte wieder öffnen. Bei Spiegel Online steht:

Ob die Märkte wirklich wieder Vertrauen in die italienische Regierung fassen, wird sich bereits am Vormittag zeigen. Mit Spannung wird der geplante Verkauf fünfjähriger italienischer Staatsanleihen erwartet. Die Regierung in Rom will im Volumen von drei Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen. Die Zeichnung der Scheine soll um elf Uhr enden.

Und ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht. Es scheint vollkommen normal geworden zu sein, die Abhängigkeit von den Finanzmärkten als gegeben hinzunehmen. Immerhin hat es die Demokratie wie auch die italienische Rechtsprechung  nicht vermocht, einen wie Berlusconi aus dem Amt zu jagen. Aber ist es nun beruhigend, dass die Finanzmärkte bestimmen, wer regiert und wer nicht (Welt: “Monti beruhigt die Märkte”?

Immerhin wurde es dem Bonsai-Duce noch gestattet, seinen Rücktritt an Bedingungen zu knüpfen, die auf dem Leipziger Parteitag der CDU und auch vom Garagenhofparteitag der FDP in Frankfurt eifrig beklatscht wurden. Das italienische Sparprogramm sieht nämlich unter anderem vor, das Renteneintrittsalter nach deutschem Vorbild zu erhöhen und öffentliches Eigentum zu privatisieren. Die Umsetzung weiterer neoliberaler “Erfolgsrezepte” ist geplant. Und das alles bei einem Wachstum von 0,1 Prozent.

Bundeskanzlerin Angela Merkel:

“Auf dieser Grundlage hoffe ich, dass das Vertrauen in das Land Italien zurückkehrt, was dringend notwendig ist, damit wir insgesamt in der Euroregion eine Beruhigung bekommen.”

Die “marktkonforme Demokratie” habe ihre selbstreinigenden Kräfte und ihre Funktionsfähigkeit unter Beweis gestellt. Bundesaußenminister Guido Westerwelle dankte Berlusconi gar für die gute Zusammenarbeit. Auch er hält das Sparpaket für einen wichtigen Beitrag zur Stabilität der Europäischen Union. Und alle starren gebannt auf die Börsen und Kurse. Dabei hätte ein Blick auf Griechenland genügt, um zu begreifen, dass die aufgezwungene neoliberale Agenda grandios gescheitert ist. Griechenland steckt tief in der Rezession und Italien wird folgen, wenn es der Erpressung durch Merkel und die Finanzmärkte nachgibt.

Dann wird die deutsche Kanzlerin wahrscheinlich wieder nach einer Erhöhung der Dosis rufen und im Namen des Vertrauens der Finanzmärkte noch mehr Sparanstrengungen einfordern. Vielleicht ist das ja dann wieder die Chance für Berlusconi, der bereits angekündigt hat, der Politik erhalten bleiben zu wollen. Somit könnte Berlusconi schneller zurückkommen als manchem lieb ist. Fragen sie ihren Anlageberater.

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Georg Schramm in Frankfurt am Main und die Vorstellung eines etwas tiefer angesetzten Haircuts

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Schramm gab einen kleinen Hinweis an den Verfassungsschutz: Als Satiriker und Kabarettist, der als Pausenclown zwischen politischen Beiträgen eingeladen wurde, dürfe man durchaus darauf hinweisen, dass Frankreich in der Vergangenheit mehrere Staatspleiten hingelegt habe und immer wieder gut aus der Sache herausgekommen sei. Und zwar habe man alle verbliebenen Gläubiger, die noch übrig waren verhaftet und einen Kopf kürzer gemacht. Die Franzosen hätten damals noch die Vorstellung eines etwas tiefer angesetzten Haircuts besessen.

Großartig!

Der Exkurs über das Platzen der Tulpenzwiebelblase in den Niederlanden 1637 dürfe man ebenfalls nicht als Aufruf zur Gewalt missverstehen. Damals hätten wie heute die Banker und Spekulanten bei der Regierung um Hilfe ersucht und das damals wie heute damit begründet, dass ein Nichteingreifen des Staates zu einem schweren Zusammenbruch Mitteleuropas führen würde. Daraufhin habe sich die Regierung erschrocken 24 Stunden zwecks Beratung zurückgezogen und schließlich verkündet, dass die Tulpenmanie vergleichbar mit einem krankhaften Fieber wäre. Und für Fieber sei nicht der Staat zuständig, sondern der Arzt.

Damit zeichnete Schramm nach eigener Aussage auf, dass sehr wohl Alternativen zum alternativlosen Getue der heutigen Regierungen bestünden. Das Platzen der Tulpenblase zog keine gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen nach sich, weil sich der Handel mit den begehrten Zwiebeln ausschließlich zwischen den wohlhabenden Schichten abspielte. Damals haben sich dann auch diese Spekulanten vor Pferdekutschen geworfen, um sich das Leben zu nehmen. Das sei durchaus begrüßenswert und tauge auch für die Gegenwart.

Ganz ohne satirischen Unterton verwies Schramm in seiner Rede auf die tatkräftige Mithilfe des bürgerlichen Lagers in Deutschland bei der Abschaffung der demokratischen Grundrechte im März 1933, als deutsche Antwort auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Dagegen stellte er die Antwort der Amerikaner mit Roosevelts New Deal Act. Das ist spannende Aufklärungsarbeit eines Kabarettisten, der eine politische Botschaft formuliert.

Dass Faschismus, Nationalsozialismus und der New Deal eine entfernte Verwandtschaft besitzen, weil man sie als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise begreifen muss, hat schon der großartige Wolfgang Schivelbusch beschrieben. Georg Schramm hat aber pointiert herausgearbeitet, dass das deutsche Bürgertum einmal mehr im Weberschen Sinne versagt hat und lieber einen rechten Schlägertrupp engagierte, als die Wohlhabenden und Mächtigen, die Max Horckheimer als “Rackets” beschrieb, in die Pflicht zu nehmen.      

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Nachtrag zur Krawalldiplomatie

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Diese Woche bin ich der Frage nachgegangen, ob der Iran tatsächlich an der Bombe baut und wie man die Informationen der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) einordnen müsse. Nun ist das entsprechende Papier aufgetaucht, das belegen soll, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm fortführe. Und was soll man sagen. Kein normal denkender Mensch würde nach der Lektüre des IAEA-Berichts der abschließenden Einschätzung der Behörde zustimmen.

Der Bericht trägt den Titel:

Implementation of the NPT Safeguards Agreement and relevant provisions of Security Council resolutions in the Islamic Republic of Iran    

Er ist auf der Website der israelischen Zeitung HAARETZ veröffentlicht worden. Wie bei den Berichten der CIA zur weltweiten Gefahrenlage handelt es sich auch hier inhaltlich um Einschätzungen der IAEA. Kein einziger Beweis wird benannt, der die Schlussfolgerung rechtfertigen würde, der Iran unterhalte ein Atomwaffenprogramm. Gleich zu Beginn wird in dem Report nur von der “möglichen militärischen Dimension” eines iranischen Atomprogramms gesprochen und davon, dass der Iran gewissen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei.

5. This report addresses developments since the last report (GOV/2011/54, 2 September 2011), as well as issues of longer standing, and, in line with the Director General’s opening remarks to the Board of Governors on 12 September 2011, contains an Annex setting out in more detail the basis for the Agency’s concerns about possible military dimensions to Iran’s nuclear programme. The report focuses on those areas where Iran has not fully implemented its binding obligations, as the full implementation of these obligations is needed to establish international confidence in the exclusively peaceful nature of Iran’s nuclear programme.

Nur wird ganz deutlich, dass die IAEA aus diesem Versäumnis einen Vertrauensverlust konstruiert, den man sich konsequenterweise nur damit erklären will, der Iran wolle die Existenz eines geheimen Atomwaffenprogramms verbergen. Um diese Behauptung zu untermauern, wird in die Zeit vor 2003 zurückgegriffen – also jenem Zeitraum, in dem der Iran tatsächlich ein solches Programm unterhielt – und es wird unterstellt, dass das Programm in der Folge weiterbetrieben wurde.

45. The information indicates that prior to the end of 2003 the above activities took place under a structured programme. There are also indications that some activities relevant to the development of a nuclear explosive device continued after 2003, and that some may still be ongoing.

Besagte Anzeichen (indications) bleibt der Report aber schuldig. Bekannt ist, dass die Geheimdienste noch im Jahr 2007 der Auffassung waren, der Iran habe sein Waffenprogramm in 2003 eingestellt.

We judge with high confidence that in fall 2003, Tehran halted its nuclear weapons program.

We assess with moderate confidence Tehran had not restarted its nuclear weapons program as of mid-2007, but we do not know whether it currently intends to develop nuclear weapons.

Den Geheimdiensten lagen also nie Beweise vor, dass Teheran das Waffenprogramm wiederaufgenommen hätte. Mehr noch, die Geheimdienste haben immer wieder betont, dass sie nichts wissen. Auch in diesem Jahr.

CIA-Iran

Nun erklärt aber die IAEA, dass CIA und Co. etwas übersehen haben müssen. Ein starkes Stück. Aber in Wirklichkeit haben die Medien mehr gedichtet als berichtet und schlichtweg die Rhetorik des neuen IAEA Chefs Yukiya Amano übersehen, der mit Blick auf den Bau eines Sprengkopfes für eine Rakete nur von einer Möglichkeit und offenen Fragen sprach und nie von direkten Behauptungen und Beweisen.

Dabei stützt sich Amano erneut auf sog. Laptop-Dokumente, die angeblich von einem iranischen Computer stammen, den ein Unbekannter gestohlen und 2004 einem US-Geheimdienst übergeben haben soll. Darin sei eine Reihe von Zeichnungen von einer Rakete, die vielleicht einen Atomsprengkopf hätte tragen können, sowie Berichte über Tests mit hochexplosiven Sprengstoffen, die zur Zündung einer Atomwaffe hätten dienen können. Dieser Bericht wurde bereits von Amanos Vorgänger Mohammed el-Baradai verworfen und für unglaubwürdig gehalten. Nun ist er wieder da. Das ist die Neuigkeit.

Einige bezeichnen diese Dokumente als Fälschung. Das kann ich nicht beurteilen. Fakt ist jedenfalls, dass auf Grundlage dieser vermeintlichen Beweise und der Weigerung des Iran, dem Westen seine Annahme zu bestätigen, die gesamte Auseinandersetzung fußt. Wie bei Saddam im Irak wird einfach behauptet, du hast die Bombe, wir wissen es, gib es zu und wenn nicht, werden wir kommen und sie finden. Und wenn wir sie nicht finden, ist das auch nicht so schlimm. Dann können wir wenigstens die Demokratie einführen, 10 Jahre Brunnen bohren, Schulen bauen und Frauen befreien. 

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Irrtümliche Systemstörung

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Angela Merkel hat den Rumänen gestern ihre Hochachtung mit Blick auf deren Haushaltskonsolidierung und Reformanstrengungen ausgesprochen. Das Land will nun in den Euro, doch die Kanzlerin wiegelt vorerst ab:

Merkel sagte, sie habe «allergrösste Hochachtung», dass Rumänien so hart an der Haushaltskonsolidierung arbeite. «Auf die Dauer wird sich das auch für die Menschen in Rumänien auszahlen – aber ein leichter Weg ist es nicht.»

Quelle: NZZ

Man fragt sich bloß, welcher Weg der Kanzlerin vorschwebt. Der rumänische Staat ist gerade Mal mit 34,4 Prozent vom BIP verschuldet, Deutschland mit knapp 83 Prozent vom BIP. Die ursprünglich einmal eingeführte Maastricht-Grenze liegt bei 60 Prozent.

Interessant ist nun, dass Deutschland, obwohl deutlich höher verschuldet, fast gar keine Zinsen mehr auf neue Schulden zahlen muss und das Top-Rating AAA genießt. Die Rumänen müssen dagegen für die eigenen Obligationen mit die höchsten Zinsen innerhalb der Europäischen Union berappen (weit über 7 Prozent), falls sie ihre Anleihen überhaupt loswerden mit dem Rating BBB.

Woran liegt’s?

An der öffentlichen Verschuldung, wie vielfach behauptet, kann es ja nicht liegen. An Nokia übrigens auch nicht. Die haben sowohl Deutschland als auch Rumänien den Rücken gekehrt, als die staatlichen Bestechungsgelder, pardon, Subventionen aufgebraucht waren. In der Realität gibt es keine Staatsschuldenkrise, sondern eine seltsame Systemstörung, bei der deutsche Schulden gut sind und die der anderen nicht.

Die Absurdität des Finanzsystems konnte gerade gestern wieder studiert werden. Ein angeblich technischer Defekt habe bei der Ratingagentur Standard & Poor’s dazu geführt, dass Abonnenten eines Newsletters fälschlicherweise über die Herabstufung Frankreichs informiert wurden. Folglich reagierten die Börsen.

In den Nachrichten heißt es nun, dass es sich um eine irrtümliche Herabstufung handele. Dabei ist doch nur die Mitteilung irrtümlich versendet worden. Irgendein Analystenhirn muss aber den Inhalt der Nachricht bewusst verfasst haben. Möglicherweise war ein anderer Zeitpunkt für den Rundbrief vorgesehen und der eifrige Mitarbeiter hatte statt auf speichern, versehentlich auf senden gedrückt.

Wie gut, dass die jugendlichen Schnösel in den Ratingagenturen nicht auch an den Schaltpulten militärisch relevanter Raketenabschussanlagen sitzen. Man stelle sich nur vor, im kalten Krieg hätte ein Soldat irrtümlich auf den roten Knopf gedrückt und die Regierung hinterher von einem technischen Defekt gesprochen. Die Märkte hätte das wahrscheinlich beruhigt. Nur wäre keiner mehr da gewesen, den das hätte interessieren können.

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