Vermeidbare Engpässe

Geschrieben von: am 24. Okt 2020 um 17:29

Etwas bedauerlich ist der wiederholte Verweis auf die Personalengpässe im Gesundheitswesen, die eine Versorgung von Covid-19-Patienten erschweren. Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin aber auch andere weisen völlig zurecht darauf hin. Das Problem mit derlei Nachrichten ist nur, dass sie dazu dienen, den Regierungskurs in der Pandemiebekämpfung zu stützen. Dabei ist es die Politik, die die Mängel im Gesundheitswesen immer noch zu verantworten hat. Das sollte bei der Betrachtung nicht unterschlagen werden.

Man kann es ja drehen und wenden wie man will. Es gibt zu wenig Fachkräfte. Dass beispielsweise Mitarbeiter in der Pflege fehlen, war vor und während der Pandemie so. Und es wird auch danach mit großer Wahrscheinlichkeit so bleiben. Schon die Zurückhaltung der öffentlichen Arbeitgeber in der laufenden Tarifauseinandersetzung zeigt, dass eine Verbesserung von Arbeits- und Gehaltsbedingungen nur sehr schwer zu erreichen ist. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Attraktivität ganzer Berufsfelder, die sich in dieser Krise als überlebensnotwendig erwiesen haben.

Es ist richtig, dass Personal, das zu Beginn der Pandemie schon fehlte, jetzt rund sieben Monate danach nicht einfach neu zur Verfügung stehen kann. Und so bleibt die Dynamik des Infektionsgeschehens auch weiterhin ein großes Problem, übrigens schon immer, nicht erst seit Corona. Während der schweren Grippesaison 2017/2018 meldeten die Krankenhäuser ähnliche Engpässe und Überlastungen. Damals dachte aber niemand an eine dauerhafte Einschränkung des öffentlichen Lebens, um die Versäumnisse bei der Personalpolitik im Gesundheitssektor zu kompensieren. Grippe geht halt wieder vorbei oder man kann sich dagegen impfen lassen. 2017/2018 gab es übrigens einen Dreifachimpfstoff, der nur bedingt gegen das dominierende Grippevirus half. Einen Vierfachimpfstoff bezahlten seinerzeit die Krankenkassen nicht. Mittlerweile ist dieser Standard und wird empfohlen.

Mit gutem Beispiel gehen daher Politiker voran. Der Gesundheitsminister Jens Spahn hatte sich öffentlichkeitswirksam am 14. Oktober gegen Grippe impfen lassen. Eine Woche später bemerkte er Symptome einer Atemwegserkrankung und ließ sich testen. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Interessant ist natürlich die Frage, ob die vorübergehende Schwächung des Immunsystems infolge der Grippe-Impfung eine Corona-Infektion im Anschluss erleichterte. So genau wird sich das nicht aufklären lassen, aber die Überlegung zeigt auch, dass es doch viele Unbekannte gibt und ein Königsweg selbst bei absoluter Einhaltung aller Regeln und Empfehlungen auch mal hölzern sein kann.

Besorgen muss allerdings, dass eine Rückkehr zur Normalität auch nicht mehr an die Verfügbarkeit eines Corona-Impfstoffes geknüpft wird. Entsprechende Äußerungen deuten jedenfalls in diese Richtung.

Auch wenn die Impfung ein wichtiger Teil der Pandemie­bekämpfung ist, wird diese allein –insbesondere in der ersten Phase der sicher limitierten Verfügbar­keit – nicht ausreichen und muss weiterhin einhergehen mit verantwortlichem Verhalten und gewissen Modifikationen des Miteinander-Seins, insbesondere im Sinne der weiteren Einhaltung der AHA+A+L-Regeln (Abstandhalten – Hygiene­regeln beachten – Alltags­masken tragen, Corona-Warn-App nutzen und Lüften) sowie der Verlegung von Freizeit­aktivitäten möglichst nach draußen, so dass geschlossene Räume mit schlechter Belüftung und Gedränge mit vielen Menschen an einem Ort vermieden werden.

Quelle: Strategiepapier des RKI

Man könnte auch sagen, eine dauerhafte Einschränkung des öffentlichen Lebens wird inzwischen als beinahe alternativlos im Kampf gegen die Pandemie betrachtet, um nicht eingestehen zu müssen, dass die Fortsetzung des neoliberalen Kurses das Problem des personellen Engpasses nicht mindert, sondern weiter verschärft. Möglicherweise wird an diesem Wochenende bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst noch der berühmte „Durchbruch“ erzielt. Das wird aber nichts daran ändern, dass diese Tätigkeiten, die für unser Gemeinwesen unerlässlich sind, auch künftig als bloßer Kostenfaktor betrachtet werden.

Das Coronavirus, das Missstand und Mangel als Folge der neoliberalen Politik gnadenlos aufgedeckt hat, schwächt nun die Verhandlungsposition der Beschäftigten. Der Applaus ist längst verklungen, jetzt dominiert der Vorwurf, aus der Position des vermeintlich sicheren Arbeitsplatzes heraus, ungerechtfertigte Forderungen zu stellen. Die erhebliche Zusatzarbeit in den Krankenhäusern, den Gesundheits- und Ordnungsämtern, bei der Polizei und in den Schulen wird dabei mal eben ausgeblendet und gegen Kurzarbeit und Jobverlust in der Privatwirtschaft ausgespielt. Der neoliberale Irrweg wird mit neuen Kampagnen weiter beschönigt. Dort, wo die Politik eigentlich aufräumen wollte, wird der Spieß einfach wieder umgedreht. Die Lage ist also ernst. Doch dazu äußerst sich die Kanzlerin als Regierungschefin leider nicht. Stattdessen gibt es den Podcast von letzter Woche zu sehen.


Bildnachweis Jonas Schmidt auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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