Kritik an Deutschlands "Geschäftsmodell"

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Das ist ja mal sehr interessant. Nun meldet sich der große Nachbar Frankreich endlich mal zu Wort und beklagt die deutschen Exportüberschüsse, die in der europäischen Gemeinschaft mehr schädlich als nützlich sind und sofort formiert sich hierzulande die gesamte Presse, Wirtschaftsvertreter und Politik, um dem alten „Erzfeind“ die Krallen zu zeigen. Man müsse sich schließlich nicht dafür entschuldigen, dass man seine Hausaufgaben gemacht hätte. Und schon gar nicht müsse man sich von EU-Staaten, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten, etwas vorwerfen lassen. Schließlich sei Deutschland der größte Beitragszahler der Europäischen Union.

Das ist natürlich ein Argument. Zieht man mal die Gelder ab, die auch Deutschland aus dem EU-Topf erhält, überweisen wir jährlich rund 9 Mrd Euro nach Brüssel. Zum Vergleich, der Handelsbilanzüberschuss Deutschlands wuchs bis zum Jahr 2007 auf rund 195 Mrd Euro an. Im Jahr 2008 waren es noch etwa 176 Mrd und im Krisenjahr 2009 immerhin noch 136 Mrd Euro. Im Januar 2010 beläuft sich der Überschuss auf 8,71 Mrd Euro. Mit anderen Worten: In der EU sind wir zwar ein sog. Nettozahler, aber volkswirtschaftlich betrachtet sind wir ein großer globaler Gläubiger.

Und Frankreich ist bilanztechnisch unser Schuldner wie im Übrigen der gesamte südeuropäische Raum auch. D.h. wir exportieren in diese Länder mehr als wir aus diesen importieren. Wenn jetzt also die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde sagt, dass Deutschland seine Handelsbilanz ausgleichen müsse, mit anderen Worten, mehr aus den Schuldner-Ländern importieren sollte, dann wäre das ein Beitrag zur Stabilität des Euroraums und jener Länder, die hoch verschuldet sind. Deutschland müsste dazu aber die eigene Binnenkaufkraft stärken und das heißt wiederum höhere Löhne und höhere Sozialleistungen zulassen statt ständig dem Kürzungsdogma oder unverdächtig formuliert, der moderaten Lohnentwicklung, zu folgen.

An diesem Vorschlag ist nichts Falsches und zwar aus einem ganz wichtigen Grund. Wegen John Maynard Keynes. Im letzten Jahr noch gefeiert, in 2010 wird er schon wieder verdammt. Eine Volkswirtschaft kann sich nicht auf Dauer von der globalen Wirtschaft abkoppeln und so tun, als gäbe es auf der anderen Seite keine Bilanz, die negativ ausfällt. Während Deutschland seine Exporterfolge feiert und am liebsten dahin zurück möchte, muss einer positiven Bilanz immer auch eine entprechend negative gegenüberstehen. D.h. damit Deutschland überhaupt Exporterfolge vorweisen kann, bedarf es eines Schuldners, der bereit ist, über seine Verhältnisse zu leben. Deutschlands Überschüsse müssen also in den Handelsbilanzen der Partner-Staaten als Defizite wieder auftauchen.

Doch was passiert, wenn der Schuldner zahlungsunfähig wird bzw. an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gerät? Wie muss der Gläubiger dann reagieren? Mit Beschimpfungen und wilden Sparvorschlägen, die die Rückzahlungsfähigkeit des Schuldners weiter verschlechtern?

Nein, aber genau das tut Deutschland mit seinen Schuldnern in Südeuropa, aber auch mit Frankreich. Statt auf einen Ausgleich zu setzen, um die Rückzahlungsfähigkeit zu wahren, schwadronieren die hiesigen Hausaufgabenweltmeister davon, dass die anderen gefälligst für ihre Finanzprobleme selber geradestehen und sich vielleicht am Welt- und Europameister ein Beispiel nehmen sollten. Dann hätten wir mehr solide Gläubiger und weniger schlechte Schuldner, so die deutsche Logik. Aber wer nimmt dann am Ende die Kredite der Gläubiger?

„Der Mond? Der Mars? Oder doch wieder die Amerikaner?“

Das fragt Heiner Flassbeck in seinem Buch „Gescheitert“. Deutschland selber wolle nichts an seinem Geschäftmodell der ständigen Verbesserung der Wettbewerbsposition ändern. Das bedeutet aber ganz zwangsläufig, dass Schuldner wie Griechenland ihre Verbindlichkeiten nicht mehr ohne Hilfe bedienen können. Sie können eben nicht auf Dauer über ihre Verhältnisse leben und die Exporterfolge der Deutschen finanzieren. Das durch die EU den Griechen auferlegte Sparprogramm ist gerade deshalb auch ein Witz, weil es dem Ziel der Defizitreduzierung zuwider läuft. Auch das lehrt John Maynard Keynes, dem selbst Frau Merkel im letzten Jahr mit der Bemerkung folgte, dass es falsch sei, in die Krise prozyklisch hineinzusparen.

Baut Deutschland die Ungleichgewichte innerhalb der EU nicht ab, in dem es beispielsweise mit einem Konjunkturprogramm antizyklisch in die Wirtschaft eingreift und selbst für eine Nachfragebelebung sorgt, wird man als Gläubiger zwangsläufig zahlen müssen. Entweder über verbesserte Zinskonditionen, einen Schuldenerlass oder im Fall der Pleite mit einem Totalausfall der Ansprüche gegen Griechenland. Wenn sich also die Finanzminister der 16 EU-Staaten heute in Brüssel treffen, kann nur als Ergebnis herauskommen, dass Deutschland zahlt und zwar als größter Gläubiger einen riesigen Batzen.

Und statt den französischen Vorstoß zu geißeln, sollte man einmal darüber nachdenken. Dazu noch einmal Heiner Flassbeck (aus: „Gescheitert“):

„Wenn nicht bald im Bundeswirtschafts- oder Finanzministerium ein Referat eingerichtet wird, das nichts anderes tut, als die Auswirkungen der deutschen Wirtschaftspolitik auf andere Länder abzuschätzen und den Minister vor den Rückwirkungen zu warnen, wird Deutschland noch oft in diese Falle der Globalisierung tappen.“

Auf diese Tatsache hin könnte man ja auch mal die Westerwellsche Türöffnungspolitik im Ausland abklopfen und nicht die Frage stellen, wem Westerwelle da die Tür öffnen will, sondern welchen Zweck die Öffnung eigentlich volkswirtschaftlich erfüllen soll. In diesem Zusammenhang finde ich übrigens Sigmar Gabriels heutige Kritik am „rechthaberischen Schreihals“ Westerwelle sehr amüsant:

„Diejenigen, die Herr Westerwelle – zum Teil aus der Schweiz – mitnimmt auf Auslandsreisen, sind das Gegenteil von Leistungsgesellschaft. Sie gehören eher zur Lumpenelite, die den Wirtschaftsstandort Deutschland schädigen und nichts dazu beitragen, dass es in diesem Land vorangeht.“

Quelle: Stern

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