Kein Tag ohne Westerwelle

Geschrieben von:

Ich weiß, es nervt langsam. Aber dieser „Dummschwätzer“ bleibt leider immer noch aktuell, vor allem weil die Stammtische ihm jetzt noch zujubeln. Auch ich musste gerade heute wieder die Erfahrung machen, wie einige über Westerwelle denken. Eigentlich hätte er ja Recht, mit dem was er sagt und auch damit, dass kein anderer sich trauen würde, es ihm gleich zu tun. Ich frage mich an dieser Stelle immer, warum man das besonders hervorhebenswert findet. Schließlich betont Westerwelle bei jeder Gelegenheit, dass er vor der Wahl klar gesagt habe, was er nach der Wahl machen will. Bei Hartz-IV scheint das offensichtlich nicht zu stimmen, wenn erst jetzt die Erkenntnis in ihm gereift sei, etwas auszusprechen, was sich andere nicht trauten. Wie soll man das nennen? Bisher unterdrückte Ehrlichkeit?

Egal. Außer der Bild-Zeitung, die Westerwelle in den letzten Tagen massiv unterstützt und in Schutz genommen hat, lesen die Leute des Stammtischs offenbar keine anderen Dinge. Vielleicht mal einen Trivial-Roman, aber sonst war es das auch schon. Das Thema Westerwelle lässt sich leicht besprechen. Nur kann einem dabei schlecht werden, wenn man entsetzt mit anhören muss, wie plötzlich ohne Scham gegen angeblich faulenzende Hartz-IV-Empfänger gewettert wird, die den ganzen Tag im Warmen hocken würden und auch noch Kohle für’s Nichtstun abgreifen, während sich draußen die Arbeit stapelt. Die könnten doch die Straßen fegen oder die Böschungen sauber machen. Arbeit gäbe es genug und schließlich kriegen sie ja Hartz-IV als Entlohnung. Dafür können die doch diese brach liegenden Tätigkeiten verrichten und wer nicht will, dem solle man gefälligst die „geschenkte“ staatliche Leistung unterm Hintern wegkürzen.

Die Stimmung an der Bild-Basis scheint ziemlich eindeutig zu sein. Der Fuß zum Tritt nach unten ist bereits ausgefahren. Das hat Westerwelle immerhin geschafft. Juristisch nennt man so etwas ja Volksverhetzung. Aber zurück zum Thema. Wie kann man nur einem Mann Glauben schenken, der eine Millionenspende eines Hoteliers annimmt und dann ein Gesetz beschließen lässt, dass diesem Hotelier und anderen jährlich eine Milliarde Euro schenkt? Eine Milliarde, die nun in den Kassen der öffentlichen Hand fehlt, um genau jene Arbeitskräfte zu beschäftigen und anständig zu bezahlen, die u.a. die Straßen reinigen. Geht’s noch? Ist das Hirn schon doppelt aus? Der neue Westerwelle Fan-Club scheint leider noch immer nicht zu begreifen, dass von der Höhe der Sozialleistungen auch die Höhe der eigenen Einkommen abhängt.

Denn je niedriger die Regelleistungen sind und je häufiger billigere Hartz-IV-Empfänger zu regulären Tätigkeiten unter Ausschluss des Arbeitsrechts zwangsverpflichtet werden, desto höher wird der Druck auf die noch regulär Beschäftigten und deren Löhne. Statt Westerwelle erschreckend gleichgeschaltet zuzujubeln – wie in alten braunen Zeiten, möchte man fast anfügen – sollte man sich ernsthaft mit dem rechtspopulistischen Hetztiraden auseinandersetzen und den Verstand benutzen.

Westerwelle beklagt sich beispielsweise über den hohen Anteil am Bundeshaushalt, der für Soziales ausgegeben wird. Via Bild-Zeitung ließ er ja verbreiten:

„45 Prozent des Bundeshaushalts werden mittlerweile für den Sozialetat ausgegeben. Zusammen mit den Zinsen für die Schulden sind es sogar 60 Prozent. Wenn das so weitergeht, wird durch diese Umverteilungspolitik der ganz normale Steuerzahler zum Sozialfall.

Ich habe den entscheidenden Satzteil mal unterstrichen. Das müssten die Bild-Leser ja gewöhnt sein. Denn diese Aussage ist sehr verblüffend, wenn ich an den Reformvorschlag von Westerwelles Parteifreund Rösler denke, der das Gesundheitssystem mit einem Umstieg auf die Kopfpauschale nicht nur neu gestalten will, sondern auch sein politisches Schicksal an das Gelingen dieses Unternehmens knüpft. Rösler will nämlich den Sozialausgleich für diejenigen, die sich die Kopfpauschale nicht leisten können aus dem Steuertopf bewerkstelligen. Das könnte bis zu 30 Mrd. Euro an Steuermittel bedeuten, die, na, richtig, umverteilt werden müssten. Schimpft dann Westerwelle wieder?

Wahscheinlich. Denn mit normaler Steuerzahler meint die hohle Freiheitsstatue ja auch seine betuchte Klientel und nicht den Normalo-Stammtisch, der ihm jetzt noch dumm und einfältig zujubelt. Auch hier gilt es, den Kopf endlich einzuschalten. Klaus Ernst, der designierte Chef der Partei Die Linke kommentierte die Pläne in der Gesundheitspolitik sehr treffend wie folgt:

„Ist die Kopfpauschale zu niedrig, dann fehlt das Geld für eine Vollversorgung, und die Versicherten werden mit neuen Zuzahlungen geschröpft. Ist die Kopfpauschale zu hoch, können sich das viele Versicherte nicht mehr leisten und brauchen Staatszuschüsse. Dann würde das halbe Land plötzlich zum Sozialfall.

Wenn die Pauschale für die Versicherten bei 150 Euro liegen würde, dann müssten 95 Prozent aller Rentner einen Staatszuschuss beantragen, weil sie sonst schlechter als vorher dastehen würden. Alle mit weniger als 1.800 Euro Bruttorente zahlen heute nämlich weniger Eigenbeitrag. Dasselbe würde für alle Arbeitnehmer gelten, die heute weniger als 1.800 Euro brutto verdienen. Dieser angebliche Sozialausgleich wäre ein bürokratisches Monstrum. Millionen müssten entwürdigende Bedarfsprüfungen über sich ergehen lassen. Das ist nichts anderes als Hartz IV im Gesundheitswesen.“

Quelle: Die Linke

Warum wird in den Medien dieser offensichtliche Widerspruch zwischen Westerwelle, der weniger staatliche Umverteilung im Sozialsystem will und Gesundheitsminister Rösler, der eine Politik betreibt, die genau das Gegenteil zum Ziel hat, nicht thematisiert? Für den Stammtisch wäre das wohl zuviel Input und der triviale Unterhaltungswert, den Westerwave mit seinen Lügen liefert, schnell wieder verflogen.

2

"Ausgehungerte Redaktionen, starke PR-Agenturen" – zum Zapp-Bericht "Das Geschäft der PR-Berater"

Geschrieben von:

Im Zapp-Bericht „Das Geschäft der PR-Berater“ von gestern (siehe Video hier) wird sehr schön gezeigt, wie sich Public Relations vor allem in kleineren und mittleren Zeitungen breit macht, weil gerade dort viel Personal abgebaut wird. Die PR-Agenturen rüsten dagegen auf. Etwa 50.000 Journalisten stünden bereits rund 40.000 PR-Beratern gegenüber. Das ist ein Problem für den seriösen Journalismus.

Klaus Kocks, ein PR-Guru, sagt:

„Wir haben ausgehungerte Redaktionen, die dankbar sind für alles, was man ihnen anbietet.

Das alte Monopol der Journalisten, dass ausschließlich sie entscheiden, was in den Zeitungen steht oder was auf dem Fernsehschirm zu sehen ist, ist dahin.

Wer seine Redaktion aushungert, bis auf das absolute Minimum von Mitteln und Zeit, der liefert seine Blätter, seinen Sender, PR aus, das ist so!

Alles was an fragwürdiger PR wirklich funktioniert, funktioniert, weil es irgend ein Journalist nimmt!“

Oha. Die blühende Blume der PR sei auf dem Mist des Journalismuns gewachsen, meint Kocks und PR-Berater und PR-Award-Preisträger Norbert Essing sagt, Kommunikationsmanager seien letztlich Konstrukteure von Realität. Diese Realität wollte Essing auch für sich schaffen, als er einen Ex-Kunden nach der Trennung offenbar unschön zu diskreditieren versuchte.

Pressefreiheit sei zur Gewerbefreiheit verkommen, die Nachricht sei nunmehr Ware, sagt Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, der einst Hans Eichel managte, um aus ihm einen angesehenen Sparkommissar und Kassenwart zu machen. Zwanzig Mal schleuste er Eichel bei Sabine Christiansen ein. Doch letzten Endes ist Eichel grandios gescheitert, ohne dass die Medien je sonderlich Notiz davon genommen hätten, welche Politik Eichel praktizierte und welche ihm bloß zugeschrieben wurde und durch wen.

Schmidt-Deguelle berät übrigens auch Klaus Zimmermann, Chef des DIW. Offensichtlich braucht die mit Steuergeldern finanzierte Wirtschaftswissenschaft Unterstützung in Sachen Marketing. Sie wissen ja, dass uns Herr Zimmermann seit geraumer Zeit eine Mehrwertsteuererhöhung auf 25 Prozent schmackhaft machen will. Mit Schmidt-Deguelle könnte das wohl auch gelingen, so der Plan.

Thomas Leif von „netzwerk recherche“ brachte es am Ende des Beitrags sehr schön auf den Punkt.

„Die jetzige Medienkrise und der Spardruck ist quasi der Humus, auf dem sich PR entfalten kann.“

1